Kuba und die Schweiz: Sonderfall in Havanna

Die Sanktionen der EU gegen Kuba wanken, und die Schweizer Diplomatie sieht sich bestätigt. Der US-Botschafter aber poltert munter weiter.

«Die Schweiz dürfte wohl das einzige kapitalistische europäische Land sein, über das Fidel Castro in 46 Revolutionsjahren öffentlich noch nie ein böses Wort verloren hat.» Solche oder ähnliche Sätze bekommt man zu hören, will man von kubanischen Intellektuellen etwas zum Verhältnis beider Staaten hören. Das ist nicht weiter verwunderlich.

Spätestens seit Sabine Boss und Viktor Giacobbos Filmhit «Ernstfall in Havanna» vor drei Jahren sind in der Schweiz die diplomatischen Sonderbeziehungen zu Kuba bekannt. Seit 1961 vertritt die Schweiz treuhänderisch die Interessen der USA gegenüber Kuba, und seit dem Jahr 1990 nimmt sie diese Funktion auch in umgekehrter Richtung wahr – ohne viel Aufhebens und mit gut schweizerischer Diskretion. Diese Tugend gilt ganz besonders auch in Menschenrechtsfragen, also da, wo andere Länder bezüglich Kuba viel Lärm veranstalten. Allerdings scheint Kuba zu einem Teil der Lärmenden wieder einen besseren Draht gefunden zu haben: Aussenminister Felipe Pérez Roque gab am 10. Januar bekannt, man werde die Beziehungen zur EU normalisieren. Bereits eine Woche zuvor hatte er Normalisierunsschritte zu acht EU-Staaten angekündigt.

Die Beziehungen zwischen Kuba und der EU waren ab Juni 2003 empfindlich gestört. Die EU hatte zu jenem Zeitpunkt – in Reaktion auf die drakonischen Urteile gegen 75 DissidentInnen und die Erschiessung dreier Schiffsentführer – Sanktionen gegen Kuba verhängt. Kulturelle Kontakte wurden eingefroren und die Entwicklungszusammenarbeit heruntergefahren. Besonders verärgert zeigte sich das offizielle Kuba in der Folge über die demonstrativen Einladungen kubanischer DissidentInnen zu diplomatischen Empfängen und Feierlichkeiten in EU-Botschaften.

«Ob die Sanktionen gegen Kuba sinnvoll waren, daran hatten auch Diplomaten aus den diversen EU-Staaten hier in Havanna ihre Zweifel», sagt Francesco Ottolini. Er ist seit Mitte der neunziger Jahre erster Sekretär der Schweizer Botschaft, die an Havannas vornehmer Quinta Avenida liegt. Die Nummer zwei der Schweizer Diplomatie in Kuba verbirgt in diesen Tagen keineswegs ihre Genugtuung darüber, dass nach dem Ausscheren Spaniens aus der EU-Sanktionsfront im November offenbar noch weitere europäische Staaten eine ähnlich flexible Haltung gegenüber der Regierung in Havanna einnehmen, wie dies die offizielle Schweiz schon seit eh und je tut.

«Totaler Misserfolg»

«Mir kommt es ein wenig so vor, als ob alle paar Jahre wieder mal andere Staaten oder Staatengruppen unbedingt ihre eigenen Erfahrungen beim Umgang mit Druckversuchen bezüglich Menschenrechtsfragen in Kuba machen müssen. Ende der neunziger Jahre hatte bereits Kanada – das zuvor ausgezeichnete Beziehungen zu Kuba unterhielt – wegen eines Dissidentenprozesses seine diplomatischen Kontakte auf ein Minimum reduziert. Und was hat es gebracht?» Ottolinis rhetorische Frage wird beim WOZ-Gespräch durch seinen Chef, Botschafter Bertrand Louis, um die Feststellung ergänzt, dass die kubanische Seite die Position der Schweiz in dieser Frage sehr wohl kenne. Doch deswegen brauche man keinen medienwirksamen Lärm zu veranstalten. Noch nie habe es die Schweiz zur offenen Konfrontation kommen lassen und beabsichtige dies auch für die Zukunft nicht.

Louis, zuvor Schweizer Botschafter bei der Uno in Genf, hat seinen Posten in Havanna erst am 1. Dezember 2004 angetreten. Er ist überzeugt davon, dass man mit beharrlicher und stiller Kleinarbeit mehr erreicht als mit grossen Worten und Gesten. Louis erinnert daran, wie Mitte der neunziger Jahre, als man zaghafte Zeichen einer Öffnung in Kuba wahrnehmen konnte, auch die Schweiz versucht habe, ihren bilateralen Menschenrechtsdialog mit Kuba zu führen. «Ausser zwei so genannten Vorsondierungen auf Expertenstufe in den Jahren 1998 und 1999 ist nichts passiert. Man kann auch sagen, dass diese Versuche ein totaler Misserfolg waren.»

Die Deza übt Zurückhaltung

Der Botschafter erläutert, wie man nach dieser Erfahrung schweizerischerseits dann entschied, nicht mehr frontal vorzugehen. Stattdessen habe man im Sinne von «Soft Power», von sanftem Druck, begonnen, die Entwicklungszusammenarbeit – die zuvor nur punktuell bestanden hatte – mittels der Errichtung eines ständigen Büros der Deza in Havanna zu vertiefen. Seit Herbst 2000 ist die Schweizer Entwicklungshilfe mit einem so genannten «Spezialprogramm» in Havanna permanent vertreten.

Untergebracht in einem Gebäude auf dem Gelände der kubanischen Uno-Mission im Stadtteil Miramar, etwa zehn Gehminuten von der Schweizer Botschaft entfernt, residiert und arbeitet Olivier Berthoud. Der gebürtige Genfer, ursprünglich Historiker und Sekundarlehrer, ist mit lateinamerikanischen Verhältnissen bestens vertraut. 1980 ging er als Alphabetisierer und Koordinator des Schweizerischen Arbeiterhilfswerkes (SAH) für einige Jahre nach Nicaragua. Von 1991 bis 1995 koordinierte er die Arbeit der Deza in Bolivien.

Im Gegensatz zu Ottolini und Louis ist Berthoud extrem vorsichtig in seinen Formulierungen bezüglich des Verhältnisses Kubas und der Schweiz. Am liebs­ten möchte er nur über die Projekte der Deza in Kuba sprechen und ansonsten keine politischen Erklärungen abgeben. Immerhin ist er bereit, die Publikation «La cooperación Suiza en Cuba» zu erläutern. Der eng bedruckte Faltprospekt lag im Dezember während des Filmfestivals von Havanna in den Kinos Riviera und 23 y 12 auf. Dort wurden im Rahmen der Schweizer Reihe sieben Filme gezeigt, was sich die Schweiz immerhin 82000 Franken kosten liess.

Das Faltblatt stellt die über drei Provinzen verteilten Projekte der Deza in Kuba vor und erklärt das Schweizer Engagement dabei so: «Die Schweizer Entwicklungszusammenarbeit begleitet die kubanische Gesellschaft im Prozess einer friedlichen, partizipativen und auf Gleichheit beruhenden Entwicklung. Sie trägt dazu bei, indem sie Initiativen lokaler Akteure unterstützt, welche es erlauben, die eigenen Fähigkeiten zu fördern und konkrete Lösungen bei der Verbesserung der Lebensbedingungen zu finden. Um einen Beitrag zur Überwindung der Isolierung des Landes zu leisten, bietet sie Begegnung, Austausch und Zugang zu neuen Kenntnissen an.»

Diese Formulierungen seien ein Mus­terbeispiel für einen Text, der gerade noch akzeptabel für die kubanischen Behörden sei, merkt Berthoud an. Seit 2004 habe die Schweiz, nach einer dreijährigen Pilotphase, ihre Hilfe für Kuba fest etabliert und auf ein Niveau von knapp vier Millionen Franken jährlich festgelegt. Die Schwerpunkte lägen in der Landwirtschaft, beim Energiesparen und im Gesundheitssystem – Letzteres in Zusammenarbeit mit dem seit 1992 bestehenden Schweizer Hilfswerk Medi Cuba.

Verglichen mit den 11 und 19 Millionen Franken, welche die Schweiz in die so genannten regionalen Schwerpunktländer Ecuador und Peru, sowie den 41 Millionen, die nach Zentralamerika fliessen, oder den rund 26 Millionen Franken, die momentan jährlich nach Bolivien gehen, sei dies natürlich gering, gibt Berthoud zu verstehen. Er bittet, dazu keinen weiteren Kommentar abgeben zu müssen.

Einen Fuss in der Tür

Über Sinn und Zweck der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit in Kuba hat eine andere Schweizerin, die das Land gut kennt, eine klare Meinung. Marianne Pletscher, Zürcher Dokumentarfilmerin und Fernsehjournalistin, lehrt seit 1993 als Gastdozentin an der internationalen Filmschule von San Antonio de los Baños in der Nähe von Havanna. «Dass die Schweiz mit ihren Projekten der Entwicklungszusammenarbeit auf Kuba präsent ist, hat zu einem wichtigen Teil damit zu tun, dass man hier einen Fuss drinnen haben will, wenn das eines Tages mal alles kippt. Und allzu hoch ist diese Summe von drei Millionen Franken jährlich ja nun wirklich nicht.»

Positiv hebt Pletscher die Förderung der Filmschule hervor. Zwischen 2001 und 2003 flossen insgesamt 900000 Franken nach San Antonio de los Baños. Mittels eines Stipendienprogramms für AustauschstudentInnen geht das Engagement der Schweiz auf tieferem Level auch in den nächsten Jahren weiter. Als Gastdozent ist Fredi Murer im Gespräch, dessen neuer Film «Vollmond» in Havanna einer der Publikumslieblinge auf dem Filmfestival war.

ENTWICKLUNGSHILFE SCHWEIZ – KUBA: Die Top Ten 2004

Moçambique 36,1
Indien 30,7
Tansania 29,6
Bolivien 25,8
Burkina Faso 24,1
Vietnam 22,1
Serbien u. Montenegro 21,9
Bosnien Herzegowina 21,7
Palästina 21,5
Nicaragua 20,5
(alle Angaben in Millionen Franken)
Quelle: Deza

Herr Cason provoziert

Seit dem 10. September 2002 residiert in Havanna James Cason als Vertreter der USA. Auch wenn er offiziell nicht als Botschafter, sondern nur als «Repräsentant» der USA firmiert: Cason gehört zu den wichtigsten Diplomaten in der kubanischen Hauptstadt. Sein festungsähnlicher Amtssitz am Malecón, der Uferpromenade Havannas, ist faktisch Kubas grösstes Botschaftsgebäude. Während Casons Vorgängerin, Vicky Huddleton, eine der demokratischen Partei nahe stehende Diplomatin, auf den Abbau der Spannungen setzte, ist der von George Bush eingesetzte Cason ein republikanischer Hardliner, wie er im Buch steht.

Die Aktivitäten, die dieser Mann seit seiner Ankunft in Kuba entfaltet, würden wohl auch von so manch demokratisch regiertem Staat der Welt als «Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Landes» bewertet. Und während mit der Verhaftung von 
75 Dissidenten im April 2003 für Cason ein Jahr relativer Zurückhaltung begann – einige der zu absurd hohen Strafen Verurteilten waren von ihm schamlos manipuliert und instrumentalisiert worden –, inszeniert der US-Repräsentant seit letztem Herbst erneut eine Serie plumper Provokationen.

Am 1. Oktober erschien er beim Empfang zum Nationalfeiertag Chinas in der dortigen Botschaft in eine Guyabera gekleidet; die Guyabera ist ein traditionelles kubanisches Hemd. An diese hatte er seine militärischen Rangabzeichen der US-Army geheftet. Und 
am Vorabend der US-Präsidentschaftswahlen lud er den US-hörigen Teil der kubanischen Dissidentschaft zu einem Fest. Dort durfte man in einer symbolischen «Wahl» Bush die Stimme geben. Seit Bushs Wiederwahl liess Cason 
keine Gelegenheit aus, um zu polarisieren. Eine Einschätzung, die nicht nur das offizielle Kuba teilt, sondern auch unabhängige Oppositionelle wie Manuel Cuesta Morúa, Sprecher des sozialdemokratischen Arco Progressista. «Herr Cason wurde nach dem Wahl-sieg Bushs offensichtlich instruiert, eine neue diplomatische Eiszeit einzuläuten», sagt Amir Valle. Der Schrift-steller und Journalist publiziert regelmässig in Spanien und wurde seinerseits in Kuba auch schon als Konter
revolutionär beschimpft.

Als Cason Mitte Dezember eine pompöse Weihnachtsdekoration im Innenhof der US-Vertretung montieren liess – mit einer grossen 75 in 
Anspielung auf die 75 inhaftierten 
Dissidenten, von denen allerdings 
14 bereits wieder frei sind –, schlug 
Kubas Regierung zurück. Rund ums Botschaftsgelände wurden riesige 
Fotos von Folteropfern aus Abu 
Ghraib aufgestellt. Schulkinder 
und StudentInnen halten dort seither Manifestationen ab und sorgen ihrerseits dafür, dass der Propagandakrieg weitergeht.