Freie Fahrt für ukrainisches Getreide?
Am 18. März läuft das Getreideabkommen im Schwarzen Meer aus. Ob Moskau einer Fortführung des Deals zustimmt, hängt vor allem davon ab, ob die Exporthindernisse für russische Düngemittel beseitigt werden.
Das hat geopolitische Gründe!“ Als Mitte Februar der Weltmarktpreis für Getreide jäh in die Höhe schnellte, hatten die Händler nur eine Erklärung: Der Krieg in der Ukraine, die Kraftprobe zwischen Russland und den westlichen Ländern, war für die Preisexplosion verantwortlich.
Natürlich spielte auch der starke US-Dollar eine Rolle, der alle Rohstoffe verteuerte; dazu noch die Dürre in Europa und in Nordamerika der fehlende Schnee, der normalerweise die Getreidefelder schützte. All das ließ schlechte Ernten erwarten, doch ausschlaggebend war die geopolitische Lage.
An der Warenterminbörse Euronext kostete eine Tonne Weizen fast 300 Euro. Das war zwar deutlich unter der Rekordmarke von 400 Euro im März 2022, unmittelbar nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine (danach war der Weizenpreis wieder auf 250 Euro gesunken), aber die steigende Tendenz hat bei den Käufern – darunter große Importnationen wie China oder die nordafrikanischen Länder – erneut Unruhe ausgelöst. Wichtig für die Marktentwicklung ist dabei vor allem ein Thema: die Zukunft des humanitären Getreidekorridors im Schwarzen Meer.
Der internationale Schutz für diese Schiffspassage ermöglicht den Export ukrainischer Landwirtschaftsprodukte aus Häfen der Region Odessa. Ermöglicht wird das durch ein Abkommen, das Russland und die Ukraine unter Vermittlung der Türkei und der Vereinten Nationen im Juli 2022 in Istanbul unterzeichnet hatten. Es trat am 1. August 2022 in Kraft und erlaubte bis Ende Februar 2023 den Export von 22 Millionen Tonnen Nahrungsmitteln, vornehmlich Weizen und Mais.
Damit halfen die rund 1300 Getreide- und anderen Frachter, die unter Aufsicht der UNO und der Türkei die Schwarzmeerhäfen anliefen, die Folgen der durch den Krieg ausgelösten Versorgungskrise zu mildern. Das Welternährungsprogramm (WFP) erwarb 8 Prozent des verschifften Getreides für seine Notfallprogramme gegen den Hunger.
Nach UN-Angaben war China der Hauptabnehmer der ukrainischen Exporte, gefolgt von Spanien und der Türkei; fast 44 Prozent des Weizens wurde in Entwicklungsländer verkauft.1 Experten schätzen, ohne diesen Korridor würde die Tonne Weizen bereits über 400 Euro kosten – ein Preis, bei dem Ägypten oder Tunesien nicht mehr mithalten könnten und schon gar nicht die meisten Subsahara-Länder.
Mitte Februar reagierte der Markt auch auf die Unsicherheit über die Zukunft des Getreidekorridors. Tatsächlich gilt das Abkommen nur bis zum 18. März, nachdem sich beide Konfliktparteien im November 2022 auf eine Verlängerung verständigt hatten.
Damals konnten die Frachter das ukrainische Getreide trotz mancher Vorbehalte Russlands weiter exportieren. Doch da die Lage heute weitaus angespannter ist, könnte Russland die automatische Verlängerung des Abkommens infrage stellen. Auf einer Pressekonferenz am 15. Februar äußerte sich UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths eher pessimistisch: Im November letzten Jahres sei er einigermaßen zuversichtlich gewesen, dass die Verlängerung klappen würde. Jetzt aber sei die Lage nach seinem Eindruck „etwas schwieriger“.2
Die Schwierigkeiten rühren daher, dass das ursprüngliche Getreideabkommen vom Juli 2022 mit einer weiteren Vereinbarung verknüpft ist, die gleichzeitig zwischen Moskau und der UNO getroffen wurde: Demnach sollten auch die russischen Düngerexporte über drei Jahre lang weitergehen können.
Die reichen Länder horten Weizen
Doch seitdem hat sich Russland mehrfach beschwert, dass es seine Düngemittel, die in der Landwirtschaft weltweit dringend gebraucht würden, gar nicht mehr exportieren kann. „Die Umsetzung dieses Abkommens ist in vielerlei Hinsicht erheblich komplizierter“, erläuterte Griffiths, „aber es ist wichtig, dass es funktioniert, dass wir die russischen Düngemittel rauslassen.“
Russland erinnert immer wieder daran, dass Düngemittel von den UN-Sanktionen ausgenommen sind. Doch während ukrainische Frachter durch das Schwarze Meer fahren dürfen, liegen russische Schiffe weiterhin in den Häfen fest, weil sie keine Erlaubnis zum Auslaufen erhalten.
Zudem werden die Düngerlieferungen in europäischen Häfen von den Behörden blockiert. Wie Moskau beklagt, halten Belgien, Lettland und Estland über 300 000 Tonnen Düngemittel aus Russland zurück, von denen ein Teil für arme Länder bestimmt sei. Deshalb kontern jetzt die Russen, wie ein Genfer Trader erzählt, mit der Drohung: „Kein russischer Dünger, kein ukrainischer Weizen.“
„An dieser Börse glaubt kein Mensch, dass der Korridor wirklich zugemacht wird“, meint allerdings Philippe Duriava, Broker bei Emeric, einer Handelsgesellschaft für Getreide und Ölsaaten in Toulouse. In einer derart angespannten Lage sei natürlich alles möglich, dennoch sei kaum denkbar, „dass Russland seine wirtschaftlichen, aber auch geopolitischen Interessen aufs Spiel setzt und mit einer Schließung des Korridors die Preise in die Höhe treibt“. Damit würde der Kreml viele Länder verärgern, die er schließlich auf seine Seite ziehen will.
Nach Ansicht eines französischen Brokers sorgt die Unsicherheit über die Zukunft des russisch-ukrainischen Abkommens dafür, dass sich die weltweite Ernährungskrise weiter zuspitzt: „Die reichen Länder horten Getreide, während die anderen für ihre Bestellungen auf sinkende Preise warten müssen, was unwahrscheinlich ist.“
Die Blockade der russischen Düngemittel hat nicht nur direkte Auswirkungen auf die Zukunft des Getreidekorridors im Schwarzen Meer, sie gefährdet auch die weltweite Ernährungssicherheit. Im November 2022 forderte das Welternährungsprogramm der UN „konzertierte Bemühungen“, um dieses Problem zu lösen: „Wir können nicht zulassen, dass die Probleme mit der globalen Verfügbarkeit von Düngemitteln auch zu einem weltweiten Mangel an Lebensmitteln führen. Es ist unerlässlich, die Märkte wieder zu öffnen.“3
Der Düngemittelmarkt erlebte bereits vor dem Einmarsch Russlands in die Ukraine einen Boom; der Krieg ließ die Preise dann explodieren: Für Ammoniak- und Stickstoffprodukte stieg er gegenüber 2019 im Durchschnitt um 250 Prozent. Allerdings zeigt der Weltmarktpreis für Stickstoff seit Februar 2023 wieder einen deutlichen Abwärtstrend, was mit den sinkenden Energiepreisen zusammenhängt.
Doch die Gefahr einer globalen Nahrungsmittelkrise im Gefolge des Ukrainekriegs bleibt akut. Russland ist nach wie vor der wichtigste Exporteur von Stickstoffdünger sowie der zweitwichtigste für Kali- und Phosphordünger. Die Hälfte der Weltbevölkerung ist auf diese Produkte angewiesen.
Daher gilt nach wie vor: Die Schließung des Getreidekorridors im Schwarzen Meer und die fortdauernde Blockade russischer Düngemittelexporte hätten katastrophale Folgen für die globale Ernährungssicherheit.
1 Statistik vom 18. Januar 2023.
2 Pressekonferenz in Genf, 15. Februar 2023.
3 WFP-Erklärung anlässlich der ersten Verschiffung von russischen Düngemitteln, 12. November 2022.
Aus dem Französischen von Sabine Jainski
Dünger aus Russland
Die Welt braucht Dünger. Russland produziert Dünger – und war 2021 der größte Exporteur. Vor allem Lateinamerika, Osteuropa und Zentralasien sind auf diese Lieferungen angewiesen. Allein Brasilien kaufte 2021 für mehr als 3,5 Milliarden Dollar russischen Dünger.
Neben Phosphat und Kali brauchen Pflanzen vor allem Stickstoff – und bei dessen Produktion spielt Russland eine doppelte Rolle. Während Kali- wie auch Phosphordünger aus natürlichen Rohstoffen gewonnen werden, die in Russland reichlich vorkommen, wird der Grundstoff für Stickstoffdünger seit gut einhundert Jahren synthetisch hergestellt. Im sogenannten Haber-Bosch-Verfahren – benannt nach den deutschen Chemikern Fritz Haber und Carl Bosch – wird atmosphärischer Stickstoff mit Wasserstoff unter hohem Druck und hoher Temperatur zu Ammoniak synthetisiert.
Dabei kommt heute überwiegend Erdgas zum Einsatz: als Brennstoff (zu einem Fünftel) sowie als Prozessgas (zu vier Fünfteln), aus dem der Wasserstoff gewonnen wird. Der Herstellungsprozess ist so energieintensiv, dass auf das Haber-Bosch-Verfahren mehr als 1 Prozent des Weltenergiebedarfs entfallen. Weil also Erdgas bis zu 80 Prozent der gesamten Produktionskosten für Stickstoffdüngemittel ausmacht, werden diese vor allem dort hergestellt, wo Erdgas vorhanden ist oder wo ein besonders hoher Eigenbedarf an Düngemitteln herrscht.
So ist es nicht verwunderlich, dass der Preis des Düngers sich weitgehend parallel zum Erdgaspreis entwickelt. Schon ab Mai 2020, also lange vor Beginn der russischen Invasion, kletterten die Düngemittelpreise (mit Ausnahme von Kaliumchlorid) auf das Zwei- bis Dreifache – auch weil die rasche Erholung der Weltwirtschaft nach Ende der Coronapandemie die Energiepreise in die Höhe trieb. Zudem wurde bereits 2021 mit Belarus ein wichtiger Düngemittelexporteur direkt boykottiert.
Als diverse Länder auch noch ihre Ausfuhren beschränkten, führte dies zu weiteren Turbulenzen auf den globalen Düngemittelmärkten. Vor allem afrikanische Staaten gerieten in eine prekäre Lage. Schon im Mai 2022 beklagte sich die Afrikanische Union, dass die EU durch ihr Sanktionsregime russische Lieferungen blockiere, was von Moskau auch propagandistisch ausgeschlachtet wurde.
Agrarprodukte und Düngemittel sind eigentlich von den EU-Sanktionen ausgenommen. Doch die Sanktionen gegen kremlnahe Oligarchen hatten zur Folge, dass einige Frachter mit russischem Dünger zeitweise in europäischen Häfen festsaßen. Hinzu kommt, dass westliche Versicherer, Spediteure und Banken die finanziellen, rechtlichen und Reputationsrisiken offenbar so hoch einschätzen, dass sie zögern, sich am Handel mit russischen Agrarprodukten und Düngemitteln zu beteiligen.
Mit dem neunten Sanktionspaket beschloss die EU im Dezember 2022, dass es den EU-Staaten künftig überlassen bleibt, Strafmaßnahmen gegen einige russische Milliardäre abzuschwächen, wenn damit russische Düngemittelexporte in afrikanische Länder erleichtert werden können. Derweil inszeniert sich Moskau als großzügiger Helfer, indem es die Ladung „befreiter“ Schiffe zu „Spenden“ an Entwicklungsländer deklariert.
Stefan Mahlke