Grüner Goldrausch in der Tiefsee
Auf der Jagd nach seltenen Metallen für die elektromobile Revolution gerät der Meeresboden immer stärker ins Visier. Er steht unter dem Schutz einer UN-Behörde, die gleichzeitig Abbaulizenzen vergeben soll. Doch hat die Bergbauindustrie erst mal die Tiefsee erobert, wären die ökologischen Folgen fatal.
Ende Juli hatte die Internationale Meeresbodenbehörde (International Seabed Authority, ISA) eine schwierige Entscheidung zu treffen. Die 1994 durch das UN-Seerechtsübereinkommen (Unclos) gegründete Organisation mit Sitz in Kingston (Jamaika) war eigentlich verpflichtet, bis dahin ein Regelwerk für die kommerzielle Ausbeutung des Meeresbodens zu verabschieden.
Sollte das nicht geschehen, wollten einige Unternehmen ihre Bergbauvorhaben auf dem Tiefseeboden auch ohne dieses Regelwerk vorantreiben. Nun hat die ISA zwar kein grünes Licht gegeben, zugleich aber die Möglichkeit offengelassen, dass diese Operationen bereits 2024 beginnen könnten.
Wir stehen vor dem Beginn eines grünen Goldrauschs, bei dem seltene Metalle, die für den Übergang zu einer klimafreundlichen Wirtschaftsform erforderlich sind, in großen Meerestiefen abgebaut werden.
Für einige beginnen damit aufregende Zeiten – doch andere betrachten den Zugriff eines zerstörungswütigen Industriezweigs auf eine der letzten unberührten Lebenssphären unserer Erde als schwerwiegende Umweltbedrohung. „In technischer Hinsicht hat eine neue Ära begonnen, sodass viele Unternehmen mit dem Abbau beginnen könnten“, erläutert die Projektleiterin der Greenpeace-Kampagne „Stop Deep Sea Mining“ Louisa Casson.
„Was sich hier anbahnt, ist die rasche und unbeschränkte Ausweitung des Bergbaus auf die Tiefen des Meeres“, meint Diva Amon, Tiefseebiologin am Benioff Ocean Science Laboratory der University of California. Für sie ist das „nicht zukunftsfähig“. Das sehen auch andere so: „In den letzten 200 Jahren hat es in der ganzen Welt kein einziges positives Bergbauprojekt gegeben“, meint Matthias Haeckel, der am Kieler Helmholtz-Institut für Ozeanforschung (Geomar) arbeitet.
Manganknollen und Kobaltkrusten
Seit den 1960er Jahren haben Unternehmen wie auch Staaten immer wieder versucht, mineralische Vorkommen auf dem Meeresboden zu erschließen – stets ohne Erfolg. Nun hofft The Metals Company (TMC), ein Start-up aus Vancouver, schon Anfang 2024 in der Clarion-Clipperton-Zone (CCZ) tätig werden zu können. Die CCZ erstreckt sich zwischen Hawaii und Mexiko und umfasst 4,5 Millionen Quadratkilometer, was 60 Prozent der Fläche Australiens entspricht.
Auf dem zerklüfteten, bis 5000 Meter Tiefe abfallenden Meeresboden der CCZ vermutet man Billionen von Knollen, die neben Mangan weitere wertvolle Erze wie Kobalt, Kupfer und Nickel enthalten.1 Für einige Metalle, zu denen Kobalt und Nickel gehören, sollen die Vorkommen auf dem Meeresboden quantitativ größer sein als die terrestrischen Reserven.
Die CCZ ist Teil des internationalen Meeresbodens in den maritimen Zonen, die nicht von einem Küstenstaat als ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ) beansprucht werden. Diese fernen Bereiche unseres Planeten unterliegen keiner offiziellen Aufsicht oder Kontrolle. Speziell der Meeresboden und seine Ressourcen stehen allerdings unter der Aufsicht der ISA. Diese internationale Behörde hat bislang 30 Explorationsverträge vergeben, die sich auf ein Gebiet von 1,4 Millionen Quadratkilometer beziehen.
In diesen lizensierten Zonen können interessierte Tiefseebergbau-Unternehmen die mineralischen Reichtümer des Meeresbodens erkunden. Die Verträge beziehen sich auf drei Typen von Ressourcen: polymetallische Knollen (wie sie in der CCZ entdeckt wurden), kobalthaltige Krusten und massive Sulfidvorkommen.
Die kobalthaltigen Krusten, die an den Flanken und Krateröffnungen erloschener Unterwasservulkane lagern, enthalten hohe Anteile von anderen hochwertigen Metallen wie Platin und Molybdän, aber auch Spuren von seltenen Erden.
Das Interesse am Abbau dieser schwer erschließbaren Vorkommen ist jedoch sehr begrenzt. Die Sulfidvorkommen sind dagegen leicht zugänglich und enthalten zahlreiche Metalle, darunter Zink, Nickel, Kupfer, Gold, Silber und – in kleineren Mengen – seltene Metalle wie Indium, Germanium,
Tellurium und Selenium. Diese Lagerstätten bilden sich an hydrothermalen Durchbrüchen, wo bis zu 350 Grad Celsius heißes Wasser aus dem Meeresboden dringt und sich mitgerissene Metalle um die entstandenen Kamine ablagern.
Von den 30 abgeschlossenen Explorationsverträgen für Tiefseebergbau wurden 17 für Gebiete innerhalb der CCZ vergeben. Drei der Lizenzen gingen an die erwähnte kanadische TMC, die unter formeller Federführung pazifischer Kleinstaaten wie Tonga oder Nauru agiert. Im Juli 2021 beriefen sich TMC und die Regierung von Nauru im Namen ihres gemeinsamen Unternehmens Nori (Nauru Ocean Resources Inc.) auf ein obskures Gesetz, das ihnen angeblich erlaubt, binnen zwei Jahren mit dem Abbau von Mineralien zu beginnen.
Andere Unternehmen sind vorsichtiger und warten ab, bis die ISA ihre Richtlinien für den Tiefseebergbau ausgearbeitet hat. Mit ihrem dreisten Vorpreschen hat sich die TMC die beste Startposition im Rennen um die Ausbeutung dieser Ressourcen verschafft. „Ganz offensichtlich gibt es derzeit international nur einen Player, der mit dem Abbau loslegen will“, meint Pradeep Singh, Experte für Meerespolitik am Potsdamer Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit.
Die TMC betrachtet den Tiefseebergbau als rare Gelegenheit, bislang unerschlossene Vorkommen wertvoller Erze zu erschließen, die für die Entwicklung und den Ausbau vermeintlich grüner Technologien, also Elektroautos, Solarzellen oder Windturbinen, gebraucht werden. Die Schätzungen des Unternehmens gehen davon aus, dass die in den von ihm beanspruchten CCZ-Gebieten geförderten Mengen an Nickel, Kupfer, Kobalt und Manganerzen ausreichen, um mehr als 250 Millionen Batterien für Elektroautos herzustellen.
Es gibt jedoch vielerlei Bedenken, was die ökologischen Folgen betrifft, zumal es wie gesagt noch keine Regeln für den Tiefseebergbau in diesem Bereich des Pazifik gibt. Es besteht die Gefahr, dass lokale Arten aussterben; darunter auch Spezies, die wissenschaftlich noch gar nicht erfasst sind. Eine neuere Studie hat ergeben, dass fast 90 Prozent der in der CCZ entdeckten Tierarten der Fachwelt bislang völlig unbekannt waren.
Der Abbau der Mineralien wird zudem gewaltige Sedimentwolken aufwirbeln, an denen Lebewesen noch in einer Entfernung von mehreren Kilometern ersticken könnten. Und wenn die bei den Arbeiten anfallenden chemischen Abfallstoffe im Ozean entsorgt werden, wird das für schwimmende Meerestiere katastrophale Folgen haben; über den kommerziellen Fischfang könnten die toxischen Substanzen am Ende auch in die menschliche Nahrungskette gelangen.
Für Diva Amon ist es gar keine Frage, dass „der Tiefseebergbau zu einem Verlust an Biodiversität und Habitaten führt“ und so die Funktion der Ökosysteme beeinträchtigt wird. Und Matthias Haeckel weist darauf hin, dass die Auswirkungen auf die Tiefsee nicht nur ein paar Jahrzehnte, sondern „viele hundert oder sogar tausende Jahren anhalten werden“.
Laut Louisa Casson beginnt nun die „intensive juristische und politische Debatte“, und der Ausgang ist ungewiss. Die ISA könnte zum Beispiel die schon vorliegenden Anträge bewilligen und damit Abbauaktivitäten ab sofort ermöglichen. Oder die Agentur könnte alle Operationen so lange blockieren, bis die Richtlinien für den Abbau stehen. Das würde allerdings den interessierten Unternehmen missfallen, die ihre Pläne für die Ausbeutung der unberührtesten Zonen unseres Planeten hartnäckig vorantreiben.
Die Naturwissenschaft hat die CZZ erst vor rund 50 Jahren entdeckt, aber der Forscherdrang hat neuen Auftrieb bekommen, seitdem die Bergbauindustrie auf die Erschließung und Nutzung des Tiefseeraums drängt. Aufgrund der extremen Bedingungen – mit Temperaturen nahe dem Gefrierpunkt und einem gewaltigen Wasserdruck – ist die CCZ eine Zone niedriger Energie. Da es kaum Strömungen gibt, vollzieht sich die Sedimentablagerung extrem langsam (pro Jahrtausend allenfalls ein Zentimeter).
Und weil auch die oberen Wasserschichten eine niedrige Produktivität aufweisen, sinken nur wenig Nährstoffe in die Tiefseezonen ab. Entsprechend ist das Leben auf dem Meeresboden alles andere als üppig, wenngleich äußerst vielfältig. Für viele Tiefseearten sind die sogenannten Knollenwälder, die sich über Millionen von Jahren gebildet haben, ein wichtiges Habitat, das durch nichts ersetzt werden kann.
Nach den Regeln der ISA hat ein Lizenznehmer bis zu 15 Jahre Zeit, um die beanspruchten Gebiete zu erforschen. Für eine spätere kommerzielle Nutzung ist für die CCZ ein Standardvertrag mit einer Laufzeit von 25 bis 30 Jahren vorgesehen. Dann wird jedes Unternehmen in einer Zone von 75 000 Quadratkilometern (was der Fläche der Beneluxstaaten entspricht) die Manganknollen am Tiefseeboden „abernten“ können. Und zwar mit Geräten von der Größe eines Traktors, die pro Stunde eine Ernte von etwa 400 Tonnen schaffen, pro Woche also knapp 70 000 Tonnen. Eine einzige dieser Maschinen könnte während ihrer Lebensdauer 10 000 Quadratkilometer des Tiefseebodens abgrasen.
Die stockfinstere Zone der Ozeane zwischen 4000 und 6000 Metern unterhalb des Meeresspiegels sind bislang wissenschaftlich kaum erforscht. Umso weniger kann man die Auswirkungen abschätzen, die jahrzehntelange Schürfaktivitäten auf derart riesigen Gebieten haben werden.
Erste Aufschlüsse sollen die kleinformatigen Testoperationen von Unternehmen wie TMC liefern. Aber Umweltschützerinnen und Wissenschaftler warnen vor weiteren Schritten mit dem Argument, es gebe noch zu viele Ungewissheiten und zu wenig Forschungsergebnisse. Immer mehr Regierungen, aber auch Firmen nehmen solche Bedenken inzwischen ernst. Die Tiefseebiologin Amon bringt es auf den Punkt: „Wir sind noch immer dabei, herauszufinden, welche Spezies da unten leben; und schon gar nicht wissen wir, wie diese Spezies und das Ökosystem insgesamt reagieren werden.“
Die Skepsis hat dazu beigetragen, dass inzwischen viele Staaten ein allgemeines Moratorium fordern, das so lange gelten soll, bis die ökologischen Auswirkungen genauer erforscht sind. Dem Aufruf, der von Chile, Costa Rica und Frankreich initiiert wurde, sind unter anderem Spanien, Deutschland, Neuseeland, Irland und die Schweiz gefolgt; zuletzt hat sich am 10. Juli Kanada als 17. Land der Forderung angeschlossen.2
Die Bedenken betreffen nicht nur den Abbau der polymetallischen Knollen, sondern auch die weiträumigen Auswirkungen bergbaulicher Operationen auf dem Tiefseeboden, bei denen Sedimente aufgewühlt werden, die sich über zehntausende Kilometer ausbreiten können. Zudem müssen die Unternehmen die Sedimente, die sie zusammen mit den Knollen über ein Rohrsystem zur Wasseroberfläche hochpumpen, wieder in tiefere Schichten entsorgen, wobei die noch zu bestimmende Mindesttiefe bei 1000 Meter liegen dürfte.
Das ist ein Problem, weil bislang kaum erforscht ist, was die Operationen ganz allgemein für das Leben in der Wassersäule der CCZ bedeuten. Die in tieferen Meeresschichten treibenden Sedimente bedeuten wahrscheinlich ein Problem für Meerestiere wie Garnelen oder Großfische. Nach einer jüngst publizierten Studie, an der Diva Amon beteiligt war, dürfte sich der Thunfischfang bis 2050 zum Teil in die CCZ hinein verlagern. Aufgrund der Erwärmung des Pazifischen Ozeans wird sich die Population der drei wichtigsten Thunfischarten in dieser Zone um 10 bis 30 Prozent erhöhen.3 Das würde bedeuten, dass die negativen Folgen des Tiefseebergbaus für den Fischfang – und damit die Nahrungsmittelversorgung – künftig immer größer werden.
Eine andere Studie über die Kobaltkrusten im Nordwestpazifik kommt zu dem Ergebnis, dass selbst der Tiefseebergbau in einer kleinen Zone zu riesigen Verlusten an maritimem Leben führt, die weit über diese Zone hinausreichen. Bei der von der japanischen Regierung finanzierten Studie wurde eine Testoperation ausgewertet, bei der von einem Tiefseeberg ein 120 Meter langer Streifen kobalthaltiger Kruste abgeschürft wurde.
Die Operation dauerte nur zwei Stunden, hatte aber unvorhergesehene Folgen. Ein Jahr nach dem Test war die Dichte der schwimmenden Lebewesen (inklusive Fische und Shrimps) direkt am Schürfort um 43 Prozent und in den angrenzenden Gebieten um 56 Prozent geschrumpft.4
„Selbst eine einzige Abbauoperation hätte räumlich weitreichende Auswirkungen auf die Wassersäule wie auf den Tiefseeboden“, erklärt der Niederländer Matthew Gianni, der verschiedene UN-Einrichtungen berät und 2004 eine NGO namens Deep Sea Conservation Coalition (DSCC) mitbegründet hat. „Wie genau die aussehen werden, weiß man nicht, aber in jedem Fall werden sie schwerwiegend und von langer Dauer sein.“
Obwohl sich die Zuständigkeit der ISA auf unseren halben Planeten erstreckt, wurde die Arbeit der Agentur bisher von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Als die ISA 1994 von der UNO als unabhängige Behörde etabliert wurde, bekam sie einen ungewöhnlichen und widersprüchlichen Auftrag: Sie soll den Abbau von Bodenschätzen in der Tiefsee beaufsichtigen und fördern und zugleich dieses größte und am wenigsten erforschte Habitat der Erde vor Schaden bewahren.
Mit der Gründung der ISA kamen die Vereinten Nationen einer Forderung mehrerer Entwicklungsländer nach, die an der Ausbeutung der Ressourcen des internationalen Tiefseebodens partizipieren wollten. Nach dem UN-Seerechtsübereinkommen (Unclos) von 1994 gehören die in internationalen Gewässern lagernden Bodenschätze zum „gemeinsamen Erbe der Menschheit“; das heißt auch ihre Ausbeutung muss allen Ländern zugutekommen.
Dass die armen Ländern vom Tiefseebergbau profitieren können, dient als gängiges Argument gegenüber kritischen Stimmen, die auf die offensichtliche und irreparable Schädigung der Umwelt verweisen. Eine der potenziellen Einnahmequellen für Entwicklungsländer ist die Partnerschaft mit Unternehmen, wobei Erstere lediglich eine formelle Rolle als sponsoring state (bürgender Staat) übernehmen.
Wenn ein Antrag auf Aktivitäten in internationalen Tiefseeregionen von einem Industrieland gestellt wird, muss laut den aktuellen ISA-Regeln die betroffene Nutzungszone groß genug sein für zwei Abbauoperationen. Diese Zone, die aus mehreren Teilzonen bestehen kann, wird dann in zwei Gebiete von ungefähr gleicher Werthaltigkeit aufgeteilt, von denen nur eines dem Antragsteller überlassen wird. Die ändere Hälfte bleibt als „reserviertes Gebiet“ der Erschließung durch ein Entwicklungsland vorbehalten.
Ein Entwicklungsland kann sich aber natürlich mit einem Unternehmen zusammentun, das die Bodenschätze in seiner „reservierten“ Hälfte erkundet. Genau dies haben bislang die pazifischen Ministaaten Kiribati, Cookinseln, Tonga und Nauru gemacht, wobei der Nutzen – etwa im Fall Nauru – ein rein finanzieller ist.
Die seit 1968 unabhängige Republik Nauru (Ripubrikin Naoero), der kleinste Inselstaat der Welt, ist ein klassischer failed state, der geprägt ist von Korruption, Inkompetenz und Umweltzerstörung als Folge des seit 1906 betriebenen Phosphatabbaus.
Dabei gehörte Nauru früher zu den nominell reichsten Ländern der Welt. Noch in den 1970er Jahren hatte es ein Bruttoinlandsprodukt von 2,5 Milliarden US-Dollar, das glatt ausgereicht hätte, um den Lebensunterhalt der Bevölkerung über viele Generationen zu sichern. Die Staatseinnahmen stammten aus dem Abbau der scheinbar unerschöpflichen phosphathaltigen Guanoschichten, die Seevögel über Jahrtausende hinterlassen hatten.5
Vernichtung noch unbekannter Arten
Aber der bis 1970 von britischen und australischen Unternehmen betriebene Phosphatabbau, bei dem die Erdschichten über den Lagerstätten abgetragen wurden, hat 80 Prozent des naurischen Territoriums unbewohnbar gemacht. Heute ist das Eiland ein kahler, unfruchtbarer Flecken Land, auf dem keine Pflanzen mehr wachsen.
Die aus dem Phosphatabbau gewonnenen Einnahmen wurden von unfähigen Regierungsfunktionären verschleudert. Das macht die Vorstellung umso attraktiver, dass man durch die Ausbeutung des Tiefseebodens – und zumal weit von der Insel entfernt in internationalen Gewässern – etwas von dem früheren Reichtum wiedergewinnen könnte.
Allerdings ist unklar, welcher Anteil an den Profiten an das kommerzielle Unternehmen, in dem Fall an die TMC, gehen wird – und welcher Anteil nach den vertraglichen Abmachungen dem Sponsoring State verbleibt.
Louisa Casson befürchtet, dass Nauru mit seiner „sehr geringen Einwohnerzahl, einer langen Ausbeutungsgeschichte und einem sehr niedrigen Bruttoinlandsprodukt“ am Ende sehr wenig abbekommen wird. Zugleich könnte man den Ministaat für Schäden verantwortlich machen, die von Operationen herrühren, an denen er als Bürge beteiligt ist. Bei einer unklaren Rechtslage, so Casson, könnten die Staaten, die für das ganze Unternehmen bürgen, am Ende die Verlierer sein.
Mittels der ISA wollte die UNO die Entwicklungsländer noch auf andere Weise unterstützen: Die Agentur soll sich selbst als Abbauunternehmen betätigen und dafür eine eigene Firma gründen dürfen. Dieses schlicht „Enterprise“ genannte Unternehmen soll seine Gewinne, die es als Geschäftspartner eines Sponsoring State erzielt, an Entwicklungsländer abführen. Anfangs gab es sogar die Idee, Enterprise das Monopol für den gesamten Tiefseebodenbergbau zu übertragen.
Heute ist die Vision bescheidener: Enterprise soll die Abbaulizenzen für einige der Tiefseezonen erhalten, aber darüber hinaus am Abtransport wie an der Verarbeitung und Vermarktung von Mineralien beteiligt werden, die andere kommerzielle Unternehmen aus der Tiefe fördern.
Nach beiden Geschäftsmodellen wird die ISA so etwas wie eine öffentliche Bergbaufirma sein, die ihre operativen Entscheidungen unabhängig trifft. Wie das im Einzelnen funktionieren soll und was mit den Enterprise-Gewinnen geschieht, muss im abschließenden Regelwerk der ISA geklärt werden.
Würde man die Gewinne an einzelne Länder abführen, würden diese nach vorläufigen Berechnungen nur kleinere Summen erhalten. Deshalb hat der meeres- und klimapolitische Experte Singh eine andere Idee: Die Gelder könnten in einen autonomen Vermögensfonds fließen, aus dem gemeinwohlorientierte Projekte, zum Beispiel für den Meeresschutz und die Klimaanpassung, finanziert werden.
Die ISA muss noch über ein weiteres kontroverses Thema befinden: Soll man die Länder, die zugleich Sponsoring State und Entwicklungsland sind, an den Enterprise-Gewinnen beteiligen? Dann würde allerdings ein Land wie Nauru ein „zweites Stück von dem Kuchen“ abbekommen, wie es Singh formuliert: Einnahmen aus seinem Bergbauunternehmen plus die Gelder aus dem Gemeinwohlfonds.
Zu klären ist fürderhin, ob Entwicklungsländer, die stark vom Abbau terrestrischer Bodenschätze abhängen – wie etwa die Demokratische Republik Kongo mit ihren Kobaltvorkommen – für Verluste entschädigt werden sollen, die ihre Wirtschaft durch den konkurrierenden Tiefseebergbau erleidet.
Die größte Sorge ist derzeit, dass mit der TMC ein Unternehmen in den Startlöchern steht, bevor die Detailfragen geklärt sind. Die nächste Mitgliederversammlung der ISA wird im Oktober 2023 stattfinden. Dann sollen die Umweltschutzrichtlinien ausgearbeitet und auch die Fragen der Gewinnausschüttung geklärt werden. Allerdings ist unwahrscheinlich, dass bis dahin das gesamte Regelwerk verabschiedet werden kann.
Bevor das geschafft ist, wird die ISA keinen TMC-Antrag genehmigen. Allerdings bleibt abzuwarten, inwieweit man die Unternehmen verpflichten wird, die ökologischen Schäden ihrer Tätigkeit zu begrenzen. Zudem bleibt die Frage zu klären, wer die Verantwortung trägt, wenn etwas schiefgeht.
Die entscheidende Frage lautet also, ob man der ISA angesichts ihrer widersprüchlichen Doppelrolle zutrauen kann, den Tiefseeboden wirksam zu schützen. Matthew Gianni meint: „Es wäre wahrlich fatal, wenn die ISA schon in nächster Zeit Abbaulizenzen vergeben würde, dazu wissen wir einfach zu wenig.“
Louisa Casson sieht genau dies aber möglicherweise kommen: „Die rechtlichen Möglichkeiten, diese Schürfmonster vom Tiefseeboden fernzuhalten, sind doch sehr begrenzt.“
1 Diese geschätzte Zahl nennt ein Factsheet des Pew Charitable Trusts von 2017: „The Clarion-Clipperton Zone. Valuable minerals and many unusual species can be found on the eastern Pacific Ocean seafloor“, 15. Dezember 2017.
2 Siehe Yusuf Khan, „Canada Joins Nearly 20 Nations Calling for Halt to Deep-Sea Mining as Negotiators Meet to Agree Rules“, Wall Street Journal, 11. Juli 2023.
3 Siehe Diva J. Amon und andere, „Climate change to drive increasing overlap between Pacific tuna fisheries and emerging deep-sea mining industry“, in: npj Ocean Sustainability, Nr. 2, 11. Juli 2023.
4 Travis W. Thrashburn und andere, „Seamount mining test provides evidence of ecological impacts beyond deposition“, in: Current Biology, Nr. 33/24, 24. Juli 2023.
5 Über Guano als Objekt kolonialer Eroberungen siehe Laleh Khalili, „Erst Guano, dann Kopra, dann Kanonen“, LMd, April 2023.
Aus dem Englischen von Niels Kadritzke
Olive Heffernan ist Wissenschaftsjournalistin und ausgebildete Meeresbiologin.
© LMd, Berlin