Tiefseediplomatie: Schatz am Meeresgrund

Nr. 16 –

Ein Schweizer Konzern will in kaum erforschter Tiefsee Rohstoffe abbauen. Das könnte ökologisch katastrophale Auswirkungen haben. Doch der Streit um die begehrten Manganknollen am Meeresgrund hat erst begonnen.

Illustration von Alice Kolb: ein Schiff und ein Walfisch

Jeroen Hagelstein, Sprecher des Schweizer Konzerns Allseas, ist nicht um grosse Worte verlegen: «Wir haben schon immer Grenzen verschoben. Der Ozean ist unser Feld, die Tiefsee ist eine grosse Herausforderung, deshalb sind wir in diesem Markt.» Tatsächlich hat Allseas mit Grossem zu tun: Der Konzern mit Sitz im beschaulichen Châtel-Saint-Denis im Kanton Freiburg ist mit riesigen Spezialschiffen auf den Weltmeeren unterwegs, um Gaspipelines zu verlegen, Ölplattformen zu installieren und nach Gebrauch wieder abzubauen. Nun will der Konzern mit weltweit 4000 Beschäftigten Millionen Tonnen Erzgestein aus 4500 Metern Tiefe heraufholen, angeblich als Beitrag zur Energiewende.

Die Tiefsee, die 88 Prozent der Weltmeere umfasst, ist noch immer kaum erforscht. Wie es auf dem Meeresboden der Clarion-Clipperton-Zone zwischen Mexiko und Hawaii, also in 4000 bis 5000 Metern unter dem Meeresspiegel, genau aussieht und welche Ökosysteme sich dort befinden, ist zum grossen Teil ein Rätsel – doch genau dort soll nun Metall gefördert werden.

Unbekannte Arten und Gattungen

Matthias Haeckel arbeitet am Zentrum für Ozeanforschung in Kiel und erforscht seit rund dreissig Jahren die Tiefsee. Auf die Frage, was man alles noch nicht wisse über den Meeresboden der Clarion-Clipperton-Zone, kommt Haeckel schnell ins Reden: «Zur Biodiversität wissen wir fast nichts. Klar ist einzig: Je länger wir hinschauen, desto grösser wird sie für uns. Wir wissen nicht, ob wir inzwischen ein Prozent der Fauna dort kennen oder neunzig Prozent.» Würden mit Roboterschiffen Lebewesen eingefangen, fänden sich nur ganz selten mal zwei Exemplare derselben Gattung. Und von 1000 gefundenen Arten seien zwischen 700 und 800 noch gar nicht bekannt. «Wir haben auch keine Ahnung, wie gross die Populationen sind, wie gross deren Lebensräume und wie die Ökosysteme dort unten funktionieren.»

Für bemannte Tauchgänge in diese Tiefe gibt es nur wenige Spezial-U-Boote. Deshalb arbeiten die Tiefseeforscher:innen meist mit Roboterbooten, ausgerüstet mit Scheinwerfern und Kameras, die per Kabel hochaufgelöste Bilder aus einem Lichtkegel von fünf bis zehn Metern Länge liefern. «Da sind teilweise Organismen aus bisher völlig unbekannten Gattungen und Familien», sagt Haeckel. Darunter Kleinstlebewesen mit einer Grösse von weniger als einem Millimeter, aber auch Schwämme, Fische oder bis zu einem Meter grosse Seegurken.

Unternehmen wie Allseas haben es auf die sogenannten Manganknollen abgesehen. In der Clarion-Clipperton-Zone liegen an manchen Stellen Milliarden der nuss- bis faustgrossen Brocken. Mehr oder weniger zufällig wurden diese Vorkommen in den sechziger Jahren entdeckt. Die Knollen enthalten neben dem Metall Mangan auch Eisen und Kupfer sowie Kobalt, Nickel oder seltene Erden, die etwa für die Produktion von Batterien gebraucht werden. Weshalb die Knollen an verschiedenen Orten eine sehr unterschiedliche metallische Zusammensetzung aufweisen und wieso es sie an manchen Stellen gibt und an anderen nicht, ist nicht bekannt.

Langfristige Schäden

Doch die Knollen liegen nicht wie Tennisbälle auf einem Sandplatz verstreut. Sie stecken bis zur Hälfte in Bodensedimenten, in denen sich Mikroorganismen, Würmer und andere Lebewesen tummeln, ähnlich der Humusschicht in einem Garten. Die Sedimente binden auch grosse Mengen an CO₂. Die Knollen, die im Laufe von Millionen Jahren durch Ablagerungen entstanden sind, bieten auf ihrer Oberfläche Lebensraum für unterschiedlichste Meeresbewohner wie Schwämme oder Korallen und sind Teil der Ökosysteme. «Soweit wir wissen, finden sich in den Zonen mit Manganknollen viermal mehr Lebewesen als in jenen ohne», sagt Haeckel. Denn von den Knollenbewohnern werde auch «mobile Fauna» wie Fische, Seesterne und Krebse angezogen.

Verschiedene Firmen haben in bewilligten Testläufen in den vergangenen Jahren bereits Manganknollen mit ferngesteuerten Raupenfahrzeugen abgebaut. Allseas hat 2022 vierzehn Tonnen der Knollen mit einem zwölf Meter langen sogenannten Kollektor eingesaugt und durch eine 5000 Meter lange Verbindungsröhre auf das Spezialschiff Hidden Gem hochpumpen lassen. Dort können die Knollen von den Sedimenten und toten Spezies gereinigt und zur Weiterverarbeitung aufbereitet werden.

Was geschieht beim Abbau der Knollen in der Tiefe? Mattias Haeckel hat von einem Forschungsschiff aus beobachtet, was auf dem Meeresboden passiert, wenn einer dieser Kollektoren an der Arbeit ist. «Unser Schiff musste einen Sicherheitsabstand von 300 Metern einhalten. Doch wir hatten im Wasser Sensoren und Kameras angebracht.» Durch das Einsammeln der Knollen sei in der sonst glasklaren Tiefsee eine grosse Wolke aus Sedimenten aufgewirbelt worden, die mehrere Kilometer weiterzog; das Wasser wurde grossflächig getrübt. Welche Auswirkungen das auf die Lebewesen hat, die ihre Nahrung aus dem Wasser filtrieren, kann Haeckel nicht genau sagen. Sicher sei, dass bei hohen Sedimentkonzentrationen die Filterorgane der Lebewesen verklebt würden.

Was mit der Fläche passiere, auf der die Kollektoren wirkten, sei dagegen offensichtlich, so Haeckel: «Die Schäden werden sehr langfristig sein.» Viel Leben werde es dort nicht mehr geben. Die abgetragene Sedimentschicht erneuert sich nur ganz langsam; in tausend Jahren wächst sie einen halben Zentimeter.

Manager als Diplomaten

1994 hat die Internationale Meeresbodenbehörde (ISA) ihre Arbeit in Jamaika aufgenommen. Die Institution wird von 167 Mitgliedstaaten, die die entsprechende Vereinbarung ratifiziert haben, getragen und bestimmt darüber, wer den Meeresboden wie nutzen darf. Richtschnur sollte das internationale Seerechtsübereinkommen der Uno sein, das die Tiefsee 1982 zum «gemeinsamen Erbe der Menschheit» erklärt hat.

Die ISA hat bis jetzt rund dreissig Erkundungslizenzen für den Tiefseebergbau vergeben, davon neunzehn für den Abbau von Manganknollen. Private Unternehmen brauchen für eine Lizenz die Unterstützung eines Staats. So hat die ISA die Clarion-Clipperton-Zone in Gebiete von je rund 75 000 Quadratkilometern eingeteilt, Flächen, die grösser sind als die Schweiz und Belgien zusammen, wo jeweils ein Lizenznehmer den Abbau testen darf. Einfluss auf die ISA nehmen können die Konzerne aber nur über deren Mitgliedstaaten.

Allseas ist an mehreren Lizenzen beteiligt: Sein Tochterunternehmen Blue Minerals verfügt über eine eigene Lizenz, die es mit der Unterstützung Jamaikas erhalten hat und für die Allseas finanzielle Gegenleistungen erbringen muss. Ausserdem ist Allseas massgeblich am kanadischen Unternehmen The Metals Company (TMC) beteiligt – als Grossaktionär, «strategischer Partner», Kreditgeber und mit Sitz im Verwaltungsrat. TMC verfügt über drei Lizenzen, jeweils unterstützt von Nauru, Tonga und Kiribati. Die Ministaaten im Pazifik dürften dafür Gegenleistungen erwarten. Insbesondere das gemeinsam mit Nauru eingereichte Projekt ist laut TMC schon so weit fortgeschritten, dass nächstes Jahr mit dem kommerziellen Abbau begonnen werden könnte. Nauru ist ein Staat mit gerade einmal 12 500 Bewohner:innen, seine personellen Ressourcen für diplomatische Kontakte sind entsprechend gering. So haben immer wieder TMC-Manager als Teil der Nauru-Delegation an den ISA-Treffen teilgenommen.

TMC ist auch hauptverantwortlich dafür, dass die Gespräche innerhalb der ISA in den vergangenen Jahren unübersichtlicher wurden: 2021 hat der Inselstaat Nauru mutmasslich auf Anweisung von TMC die sogenannte Zweijahresregel ausgelöst. Es handelt sich dabei um eine Klausel, die es jedem Mitgliedstaat der ISA erlaubt, zu verlangen, dass innerhalb von zwei Jahren die Regulierung für den kommerziellen Tiefseebergbau fertiggestellt sein muss.

TMC hat also mit Naurus Hilfe eine Art Turboknopf gedrückt und den Diskussionen innerhalb der ISA den eigenen Stempel aufgedrückt. Die Zweijahresregel sei dabei zweckentfremdet worden, sagt der Meeresrechtsexperte Pradeep Singh, der am Potsdam-Institut für Nachhaltigkeit forscht und Regierungen berät. Singh nimmt regelmässig als Beobachter an den Treffen in Jamaika teil. Die Zweijahresregel sei eigentlich für den Fall gedacht, dass eine Regulierung ausgearbeitet worden ist, aber ein einzelner Staat dessen Verabschiedung im Council blockiert, einem ISA-Gremium, dem 36 Staaten aus unterschiedlichen Ländergruppen angehören. Denn dort braucht es für Beschlüsse einen Konsens. Nauru hat die Regel also nicht genutzt, um den Beschluss über ein bereits abstimmungsreifes Regelwerk zu beschleunigen, sondern um TMC so rasch wie möglich den kommerziellen Bergbau in der Tiefsee zu ermöglichen.

Dass TMC aufs Tempo drückt, hat finanzielle Gründe. Das Unternehmen wird in den USA an der Börse gehandelt und hatte 2021 einen dramatischen Kurssturz zu verkraften. CEO von TMC ist der umtriebige Gerard Barron. Er gibt sich als Umweltschützer. In Interviews wird er nicht müde zu betonen, dass Tiefseebergbau der Schlüssel für die grüne Energiewende sei, notwendig für die beschleunigte Produktion von Elektromotoren und Batterien. Bergbau an Land sei dagegen viel umweltschädlicher. Doch seine grossen Versprechen, so rasch wie möglich «das Rohstoffproblem zu lösen», haben sich bislang nicht erfüllt. Im Gegenteil: Klagen von Investor:innen häufen sich, die sich durch die falschen Versprechen getäuscht sehen.

Machtpolitische Überlegungen

Wie geht es weiter? Pradeep Singh sagt, dass Nauru und TMC mit ihrem Vorpreschen eher das Gegenteil von dem bewirkt hätten, was sie eigentlich wollten. So sei die Ausarbeitung des Regelwerks verlangsamt worden, weil es in der Zwischenzeit zum Thema geworden sei, wie mit dem Vorstoss von Nauru umzugehen sei. 2023 ist denn auch beschlossen worden, die Fertigstellung des Regelwerks auf 2025 zu verschieben. Ein bindender Fahrplan sei das jedoch nicht, sagt Singh. Dass TMC einfach ohne internationale Regeln loslegen könne, sei kaum vorstellbar.

Das Vorgehen Naurus hat bei vielen Staaten ausserdem zu Gegenreaktionen geführt. 25 Mitglieder der ISA befürworten inzwischen eine Form von Moratorium. Vergangenes Jahr hat sich auch die Schweiz dieser Allianz angeschlossen. «Wenn das Risiko aufgrund von wissenschaftlichen Unsicherheiten zu gross ist, so sollte man besser zuwarten», erläutert Andrin Studer die Position des Bundes. Studer arbeitet beim Schweizerischen Seeschifffahrtsamt und hat in den letzten Jahren auch an ISA-Konferenzen teilgenommen. Auch er glaubt: Wenn Nauru trotz der vielen Vorbehalte anderer Staaten einen Antrag auf kommerziellen Abbau stellt, würde es zu weiteren lang andauernden Verhandlungen kommen.

Darüber hinaus drohen die Manganknollen zum Spielball geopolitischer Machtkämpfe zu werden. In den USA machten in den vergangenen Wochen Politiker:innen, aber auch hohe Militärs Druck, dass sich das Land ebenfalls der ISA anschliessen solle. Bislang hat der Senat die entsprechende Übereinkunft nicht ratifiziert, da sie angeblich die Souveränität der USA untergrabe. Deshalb verfügen diese an den ISA-Treffen nur über einen Beobachterstatus. Der Tiefseebergbau dürfe nicht Rivalen wie China und Russland überlassen werden, die sich bereits mehrere Erkundungslizenzen gesichert hätten, heisst es in einem Brief, den auch die frühere Aussenministerin Hillary Clinton unterzeichnet hat. Es gehe um den Zugang zu «strategischen Mineralien» mit einem Wert von Billionen US-Dollar.

«Nachhaltig nicht möglich»

Sollten sich solche machtpolitischen Überlegungen durchsetzen, droht ein Dammbruch. Denn anders als das winzige Nauru könnten die Rivalitäten der Grossmächte die ISA-Agenda stärker durcheinanderbringen. Auch könnten angesichts der Blockade in der ISA Staaten innerhalb ihrer Zwölfmeilenzone ohne Absprachen Deep-Sea Mining aufnehmen, weil sie dort formell souverän sind. So hat Norwegen im Januar bekannt gegeben, dass es im Nordpolarmeer eine Erkundungsmission starten will.

Gerade wegen dieser Gefahren hält es der Meeresforscher Matthias Haeckel für notwendig, dass die ISA verbindliche Regeln verabschiedet und dabei die Empfehlungen der Meeresforscher:innen befolgt. Solche Regeln würden laut internationalem Seerecht dann auch für die Zwölf-Meilen-Zonen gelten.

Viele Umweltorganisationen fordern dagegen ein generelles Verbot des Tiefseebergbaus, so wie auch ISA-Mitglied Frankreich. Greenpeace-Aktivist:innen haben Ende des vergangenen Jahres auf hoher See mit Kanus und Kajaks friedlich eine Erkundungsmission von TMC gestört und kurzzeitig einen Schiffskran besetzt. Greenpeace-Schweiz-Geschäftsleiterin Iris Menn, selber Meeresbiologin, ist überzeugt: «Tiefseebergbau ist nachhaltig nicht möglich. Jeder Eingriff in diesen speziellen Lebensraum hat massive Auswirkungen auf Lebewesen und das Ökosystem.» Zudem werde die Welt die Metalle der Tiefsee gar nicht brauchen. «Es gibt mehrere Studien, die belegen, dass sie für die Energiewende unnötig sind.» Mit neu entwickelten Batterien würde die Abhängigkeit von Kobalt und Nickel wegfallen.

Im Juli findet das nächste Treffen der ISA statt. Die Schweizer Allseas stehe bereit, wie ihr Sprecher Hagelstein sagt, und warte darauf, richtig loslegen zu können: «Wenn wir grünes Licht bekommen, so werden wir unsere Systeme sofort hochfahren.»

Illustration von Alice Kolb: ein Unterwasserroboter welcher Manganknollen erntet zwischen einem Haifisch und Tiefseefischen