Managementsprache: Creating Excellence in Blablabla

Unser Reporter hat am letzten Weltwirtschaftsforum nichts erfahren. War er blöd – oder ist es die Unternehmerelite?

Ist Nichts ein Resultat? Oder ist es nur der Beweis, dass man blind ist? Wo verdammt noch mal lag der Fehler?

Selten war ich so verzweifelt wie im vergangenen Januar. Ich war vier Tage auf Reportage beim World Economic Forum (Wef). Jahre hatte ich es von aussen beschrieben, dann bekam ich endlich die Akkreditierung: zu 2000 der mächtigsten Menschen der Welt. Ich arbeitete wie wild. Ich lauschte an Apéros, überfiel Leute an der Bar, setzte mich in Konferenzen. Das Ergebnis war ein Desaster: Ich hörte vier Tage nichts als Smalltalk und hundertfach Leerformeln wie «We have to build up democracy for a stable economy», «creating excellence in leadership» oder «Europe needs reforms».

Ausser diesen Mantras – immerhin geäussert von grossen Namen – stand nichts in meinen Notizblöcken. Was mich irritierte, war die Bruchlosigkeit des Schwurbels: Perfektion ist fast immer ein Indiz für eine Wahrnehmungsstörung. Wie konnte es möglich sein, dass hartgesottene Wirtschaftsführer, Politiker und Experten einige zehntausend Dollar dafür zahlten, sich mit Wir-verbessern-die-Welt-Talk einzuseifen? Immerhin lag im Frühling 2003 gerade ein Börsen- und damit ein Ideologiecrash hinter der Businesscommunity: Das erste Lieblingskonzept des Wef, New Economy, war implodiert, das zweite, Shareholdervalue, hatte sich als Instrument der Aktionärsschröpfung durch das Management entpuppt. Es gab Stoff, nachzudenken. Die Dividende auf Geldverluste heisst Erkenntnis, dachte ich.

Statt Analysen hörte man Appelle: zu Ethik und Corporate Governance. «Business has learned.» Minister, Staatschefs, Bosse multinationaler Unternehmen redeten miteinander dieselbe Flüssigseife wie ihre Werbeabteilung. Warum das? War es ein Trick? Kriegte ich nur die Zwischentöne nicht mit?

Ich weiss, man sollte als Journalist über alles schreiben – nur nicht über die eigene Inkompetenz. Was also tun? Bei Zweifeln und Niederlagen stützt man sich auf Freunde, Familie, eine Autorität. Ich befragte also einen Freund, meinen Vater und einen Professor.

Professor Kurt Imhof, Soziologe: Die Frage beim Wef ist tatsächlich: Haben wir es mit der Blödheit einer spezifischen Veranstaltungsform oder mit der Blödheit einer Elite zu tun? Nun, es ist die Blödheit einer spezifischen Elite, welche die Blödheit spezifischer Veranstaltungsformen schätzt.

Markus Diem Meier, freier Wirtschaftsjournalist: Das Interessante bei einer Veranstaltung wie in Davos ist heute: Es herrscht extreme Unsicherheit, was gilt, was kommt. Davos ist für Topmanager spannend, nicht weil Wahrheiten verkündet werden, sondern weil definiert wird, was als wahr zu gelten hat. An was soll man glauben? An was nicht? Sicher, das meiste sind Leerformeln. Aber auch diese geben Sicherheit, selbst wenn sie nicht überzeugen. Solange man sie mit den anderen teilt.

Claus Peter Seibt, Unternehmensberater: Das Wichtigste in Davos ist fürs Erste, dabei zu sein. Dann, sich zu treffen – in einer relativ kampffreien Zone. Und dann: die Pause, der Abend, die informellen Kontakte. Nur Naive gehen nach Davos, um das Programm zu sehen.

Imhof: Sein persönliches Rating evaluieren ist eine nicht zu unterschätzende Motivation. In Davos sein heisst: Man hat es wieder für ein Jahr geschafft. Das gilt nicht für alle Topshots. Wir haben es mit einer extrem instabilen Elite zu tun. Sie ist wenig legitimiert, grösstenteils austauschbar. Davos ist also vor allem dazu da, ein rudimentäres persönliches Netzwerk auszubauen.

Meier: Das ist letztlich das Uninnovative am Topmanagement: Die Wahrnehmung ist das Entscheidende. Es ist gefährlich, Neues zu wagen. Nichts Auffälliges zu tun, ist letztlich die bessere Strategie. Man macht zwar eher Falsches, aber wenn es alle gemacht haben, passiert dir nichts. Wenn du allein falsch liegst, bist du geliefert.

Imhof: Es herrscht in der Managerkaste ein enormer Anpassungsdruck: eine Lemmingisierung der Elite, ein Zwang zu den gleichen Sprechblasen. Wie jedes Biotop struktureller Blödheit ist auch dieses ideal für Hochstapler.

Seibt: Es geht in der Tat um Gruppenmerkmale, um die Frage: Aus welchem Teich kommst du? Oxbridge? Harvard? Continental Europe? Die Managementsprache ist am leichtesten zu übernehmen. Den Code, den Slang, den haben alle drauf – er lässt sich übrigens fabelhaft parodieren. Versuche nur einmal «building excellence in human companionship» ins Deutsche zu übersetzen. Trotz allen Leerformeln hat der Slang auch enorme Vorteile: Man spricht die gleiche Sprache. Das erlaubt unter meist hohem Zeitdruck, wesentliche Appelle schnell weiterzugeben.

Imhof: Die globale Elite hat sich geistig ernährt von Antietatismus und esoterischer Managementtheorie. Managementliteratur ist weder Management noch Literatur: Sie beschwört grundsätzlich das Starsystem – das Charisma des Erfolgreichen. Es gibt geradezu programmatisch antikritische Hagiografien Erfolgreicher. Argumente sind weitgehend durch Glauben ersetzt.

Seibt: Die Managementbücher und -moden sind in der Tat in ihrem Einfluss schwer zu unterschätzen. Saisonweise kommen neue Heilsrezepte mitsamt Fallstudien, Statistiken, Hohepriestern und den Bekenntnissen Bekehrter. Dafür ist Davos eine gute Plattform: als Laufsteg für die neuste Kollektion Leader- und Entrepreneurship.

Imhof: Das praktische Problem bei der ganzen Leadership-Ideologie ist die Skandalisierungsmöglichkeit eines Unternehmens durch seinen CEO. In der Aussenwahrnehmung ist das Unternehmen praktisch mit seinem als Charismatiker auftretenden Chef identisch – und dadurch angreifbar.

Meier: Starkult war eher ein Phänomen der neunziger Jahre. Die Chefs haben nicht nur an ihr Charisma geglaubt, sondern es sich auch mittels gigantischen Salärs entlohnt. Seit dem Crash betont die Nummer eins eher bei jeder Gelegenheit Verantwortlichkeit, Langfristigkeit, Seriosität.

Imhof: Die Managementelite ist schlimmer als unreflektiert. Erfolg ist für sie ausschliesslich etwas Persönliches und entsteht ausschliesslich durch eine einzelne Person, die mitten im hellen 20. Jahrhundert ihr Charisma praktisch als Gnadenakt erhalten hat.

Seibt: Mit dieser These wäre ich vorsichtig. «Gott hat den lieb, der erfolgreich ist» war bereits der grosse Erfolgsschlager der Reformation. Das ist nichts Neues. Abgesehen davon ist die Repräsentation durch ein Individuum zwangsläufig. Was etwa ist an der CS schon real, wer kann so eine Firma schon verstehen? Niemand, ausser ein paar ausgebufften Finanzprofis – und auch die nur, wenn sie die richtigen Zahlen haben. Und ausserdem folgen Leute einem Ritter in schimmernder Rüstung wie Lukas Mühlemann viel lieber als einer traurigen Nuss. Einem Autisten wie etwa Philippe Bruggisser, dem man dann doch gefolgt ist. Bei aller Liebe zu Mitarbeitern: Die Chefs und die, die ihnen folgen, stecken unter einer Decke.

Imhof: Verhängnisvoll ist, dass die heutigen Eliten fragmentiert sind. Der traditionelle, höchst erfolgreiche wirtschaftlich-militärisch-politische Filz ist weg. In den neunziger Jahren hat sich der Turbokapitalismus radikal von der Politik abgekoppelt. Mit der Gleichung Markt = Moral. Moralisch war, was rentiert, sogar die Erpressung des Staates.

Meier: In der Tat ist in den Neunzigern Wirtschaft zum alles dominierenden Thema geworden. Was man schon daran sieht, dass, wer in den Achtzigern Wirtschaft studierte, als Langweiler galt. Genau so wie jemand, der es in den Neunzigern nicht tat. Postulate wie «Das regelt der Markt ...», «Das verlangt der Markt ...» verschleiern wahre Vorgänge: «Den» Markt gibt es nicht. Es sind immer Menschen mit mehr oder weniger Einfluss, Interessen, Erwartungen, Konzepten.

Imhof: Das Problem für die Unternehmen ist, dass sie durch die Abnabelung von den Spezialisten für gesellschaftliche Moral – den Politikern – in die Skandalisierungsfalle geraten sind. Jederzeit kann ein eben noch stabiler CEO ein Unternehmen durch Enthüllungen der Medien in die Skandalisierung treiben – mit hohen Verlusten an Loyalität bei Mitarbeitern und Kunden. Vor den Neunzigern hatten wir nur politische, danach teure wirtschaftliche Skandale. Deshalb bemühen sich die Unternehmen in Davos um so teure und krude Dinge wie interne Chartas, Corporate-Governance-Regeln und irgendwelche Global Compacts ...

Meier: …die völlig unwirksam sind, wenn die Anreize falsch gesetzt werden ...

Imhof ... die aber die Moralisierungsfalle umso effizienter zuschnappen lassen. Die Fallhöhe des Skandals ist umso grösser, wenn Unternehmen sich vorher als Gutmenschenklub präsentiert haben.

Seibt: Einzuräumen ist, dass das Umfeld viel komplexer geworden ist. Zur hoch gelobten alten Schweizer Old-Boys-Elite ist vor allem eins zu sagen: ein mehrdimensionaler Nepotismus, eine erstklassige Kungelwirtschaft. Es war ein Filz mit höchster staatlicher Hilfe: Preisabsprachen, Importabsprachen, Exportabsprachen. Und ging etwas schief, lobbyierte kurz der Vorort für ein paar Staatsaufträge. Und dies in einem langsamen, stetigen Wachstum. Fast ohne Risiko. Die Aufgaben waren damals sehr viel weniger komplex – das zu sagen, ist fast schon albern.

Imhof: Immerhin hatten die alten politisch-wirtschaftlichen Eliten noch das Ganze im Sinn. Es ist nicht untypisch, dass – wenn jetzt schon die abgewirtschafteten neoliberalen Eliten als Retter alte Männer holen –, dass sie dann ehemals periphere Eliteangehörige wie die Antietatisten Christoph Blocher und Hans-Rudolf Merz zum Leben erwecken. Und nicht den Rainer Gut holen oder den ... wie heisst der Kaba-Hengst schon wieder ...? Ulrich Bremi!

Meier: Erstaunlich ist, dass die Vorstellung vom Staat als Feind seit den achtziger und neunziger Jahren radikaler und mehrheitsfähiger geworden ist. In den neoliberalen Neunzigern war die Idee lange nicht so populär. Unlogisch finde ich auch, dass plötzlich alle Leute glauben, Blocher wolle nun die Macht der Kartelle oder Landwirtschaft brechen. Was er nie auch nur versucht hat. Und ein weiterer seltsamer Punkt: Plötzlich behaupten mehrere Leute wie etwa Merz, sie seien in gesellschaftlichen Fragen offen und aufgeklärt, nur bei den Finanzen konservativ. Als ob das nichts miteinander zu tun hätte. Offenheit hat auch mit Möglichkeiten zu tun. Und die hängen von Finanzen ab.

Seibt: Dass nun plötzlich in der Schweiz zu viel Staat angeblich zu viele Kosten bei Unternehmen verursacht, ist eine relativ junge Erfindung. Es ist die Perversion der Liberalität. Es ist eine Idiotie, wenn verlangt wird, der Staat müsse wie ein Unternehmen geführt werden. Zwischen den beiden besteht ein Artenunterschied. Eine Volkswirschaft ist keine Betriebswirtschaft – und umgekehrt. Volkswirtschaften müssen keinen Gewinn machen. Dafür müssen sie sich um Bildung, Infrastruktur usw. usw. kümmern. Ein Unternehmen nicht.

Imhof: Ich glaube, die neoliberale antietatistische Elite hat sich für wirklichen Erfolg zu schnell verbraten. Durch Ablehnung der Strommarktliberalisierung sowie der Service-public-Debatte dümpeln vom Neoliberalismus nur noch seine Wurmfortsätze vor sich her. Wirkung erhält die Chose nur noch dadurch, dass es keine Alternative gibt. Jedenfalls keine klare, umsetzbare, hoffnungsträchtige. Die jungen Eliten der Antiglobalisierer haben sie nie entwickelt.

Ich: Merci euch dreien für etwas Klarheit.