Fünf Jahre Public Eye on Davos: Ein hartes Geschäft

Diskussionen. Papiere. Durchdrehende Computer. Was wurde erreicht? Was nicht?

Der New Yorker Taxifahrer sagte vor zwei Jahren: «What are you here for?»
Die Delegierten der Erklärung von Bern sagten: «Oh, wir sind hier, um etwas gegen das Wef zu machen.»
«Great», sagte der Taxifahrer. «Ich bin Anarchist aus Rumänien. Was tut ihr gegen das Wef?»
«Wir veranstalten eine friedliche Gegenkonferenz.»
«Das finde ich aber falsch», sagte der Taxifahrer. «Gegen das Wef muss man mit der Waffe in der Hand kämpfen.»

Es ist genau dies, was das Wef und den Widerstand dagegen so interessant macht: das Flackern des Wahnsinns. Der Wahnsinn flackert im Wef selber, das mit den Statements «We invite the Global Leaders» sowie «Committed to improve the state of the world» einen riesigen Jahrmarkt an vorgespielter Macht, wirklicher Macht, noch wirklicherer Eitelkeit, zahllosen Füllwörtern aufgemacht hat und damit letztlich das grösste Reklamationsbüro der Welt führt (mit miserablem Service). Der Wahnsinn flackert in dem Aufgebot, das einen Touristenort in eine Hochsicherheitszone mit Skifahrern, Demonstranten, Firmenbossen und mehreren tausend Bewaffneten verwandelt. Er flackert in dem Vorhaben, etwas dagegen zu unternehmen: Wie bekämpft man eine Institution, deren tausend Mitgliedsfirmen mindestens eine Milliarde Dollar Umsatz haben müssen und ein Eintrittsticket von 40 000 Franken zahlen?

Frage an einen Demonstranten in New York: «Why are you protesting against the Wef?»
«I’m fighting for freedom!»
«What does freedom mean to you?»
«O, err, tough question!»

Aufrüstung und Charme-Offensive

Das Weltwirtschaftsforum Davos, 1971 noch als Managementtreffen für mittelständische Unternehmen gegründet, bald aber schon mit Politik aufgemotzt, kam 1999 in den Fokus des Protestes. Es war das Jahr der schweren Ausschreitungen von Seattle und Genf. Damals protestierten an die 200 Leute.

2000 kamen über tausend. Die Polizei, die Davos zum Sperrgebiet erklärt hatte, übersah (wie eigentlich?) mehrere Carladungen mit kampfbereiten italienischen Gewerkschaften und französischen Bauern. Mehrere Sperren wurden durchbrochen, das McDonald’s-Restaurant (das mit einem riesigen Spruchband: «Think globally – eat locally» geworben hatte) angegriffen und eine wüste Party vor dem Hotel Seehof gefeiert.

2001 kappte die Polizei sämtliche Zugverbindungen und kesselte die Demonstranten in Landquart ein. Das Resultat waren ein grosser Krawall im Zürcher Hauptbahnhof – und harte Kritik der Presse an Behörden, Wef und einem Davos, das in eine surreale Orgie aus Stacheldraht und Polizei mit Maschinenpistolen und Gesichtsmasken verwandelt worden war. Gleichzeitig wurde der völlig ungesicherte Wef-Computer gehackt. Bundesrat und Bündner Regierung stritten sich über die Sicherheitskosten, die Polizei rebellierte, der Wef-Gründer, Professor Klaus Schwab, war schwer beleidigt und zog – «aus Solidarität mit den Opfern des Anschlags vom 11. September» nach New York.

2002 war ein Desaster. Das Wef war mit 3000 Teilnehmern grösser denn je: Mitten im hektischen und bis auf den rumänischen Taxifahrer gleichgültigen Manhattan, mitten im New-Economy-Crash, eingepfercht in das abgeriegelte Waldorf-Astoria-Hotel, war es ein Festival der schlechten Laune. Auch für die Medien, die wegen Platzmangels gar keinen Zutritt hatten. Als die Hauszeitung – bestückt mit hochkarätigen amerikanischen Finanzjournalisten – sich darüber beschwerte, liess sie Professor Schwab kurzerhand verbieten. (Er erhielt danach in der Schweiz den Gossweiler-Medienpreis.)

2003. Zurück in Davos, startete das Wef eine doppelte Charme- und Schleimoffensive. Es führte im Open Forum auch öffentliche Podien durch (zusammen mit einigen eher weich argumentierenden Hilfswerken) und verteilte Presse-Akkreditierungen in grosser Zahl. Die Demonstration wurde erstmals sehr breit getragen – mitsamt Grünen, SP, Gewerkschaften – und erstmals gespalten. Durch eine Personenkontrollschleuse bei Fideris gelang es der Polizei, den Grossteil der Demonstrierenden in Landquart zu behalten. Es kam zu einem wilden Abend in Bern. Später im Jahr stimmte die Gemeinde Davos über den Wef-Sicherheitskredit ab. Die lokale SP, welche die Abstimmung lanciert hatte, gab nun plötzlich Stimmfreigabe heraus – nur noch ein Drittel stimmte gegen das Wef.

Andreas Missbach, Erklärung von Bern: «Auch wenn wir mit der Demonstration nichts zu tun haben: Ich habe mich sehr geärgert, als ich gehört habe, dass die Demo nicht nach Davos kommt. Besonders, weil man eine so breite Koalition hatte. Das Wef ist ein pures Symbol – und gegen was liesse sich sinnvoller demonstrieren als gegen ein Symbol?»

Was war anders? War etwas anders?

2004. Die Sperre bei Fideris bleibt, die Koalition der Gegner zersplittert. Das Erstaunliche: Es gibt dadurch neue Aktionsformen – wie Strassenblockaden, ein durch Radio LoRa gesteuertes Strassentheater, eine reisende Demo im SBB-Zug. Solche Dinge funktionierten technisch ziemlich gut – medial überhaupt nicht. Nie hatte das Wef in der Schweiz eine bessere Presse: Scharen von akkredidierten Journalisten und Journalistinnen schrieben über Pizzaessen mit Clinton; Nonsens-Interviews mit Prominenten wurden gedruckt sowie begeisterte Kommentare über den Schleimsack und Ex-Think-Tool-Aktionär und -Promoter Professor Schwab («wenn die Topmanager wie er wären, wäre die Welt besser») und das Wef («ein Juwel!»). Es klang, als wären die meisten Beiträge für die «Glückspost» geschrieben worden: «Free food, free drinks, free press», schrieb der US-amerikanische Journalist Hunter S. Thompson einmal über seine Kollegen.

Gleichzeitig war die Atmosphäre – ohne Angst vor einer Grossdemonstration – trotz einem Rekordeinsatz von Militärs so normal und unmilitärisch wie nie zuvor: 2000 und 2001 hatte man als Tourist, Einheimischer und Reporter noch öfter direkt in die Mündung einer Schusswaffe schauen dürfen.

Kurz: Es war schönes Wetter und nicht sehr aufregend. Zeit, in der holländischen Asthmaklinik zu sitzen und den Organisatoren der Gegenveranstaltung Public Eye zuzusehen, wie sie durch die Hölle gingen: eine milde Hölle – ohne grössere Computer-, Organisations- und Lautsprecherprobleme wie in den Jahren zuvor. (In New York hatte sich die Technik als inkompatibel erwiesen: Zwei funktionierende Arbeitsplätze waren für siebzehn durchdrehende NGO-Leute vorhanden, die, gerade von Kamerateams umlagert, versuchten, eine internationale Konferenz zu organisieren.)

Eröffnet wurde die diesjährige dreitägige Konferenz von Mary Robinson, der ehemaligen Uno-Hochkommissarin der Menschenrechte, und sie behandelte die aktuelle NGO-Agenda: Wasserprivatisierung, vorangetrieben durch WTO, Gats (Dienstleistungsabkommen), Weltbank und Multis, die weltweit superbillig produzierende Sportartikelbranche, die Frage von Unternehmensverantwortung, die bestehenden Chartas und ihre Einhaltung, Auswirkungen des Global Compact und der Equator Principles.

Das Public Eye on Davos wurde 2000 als Anti-Wef-Veranstaltung gegründet: Damals hauptsächlich mit der Kritik, dass das Wef so undemokratisch wie undurchsichtig sei. (Und wohl damals auch mit dem Ziel, im Wef mitzureden.) Obwohl das Ziel heute ist, sich von dem Antilabel zu entfernen, das Wef das Wef sein zu lassen und die eigene Agenda zu entwickeln, kleben am Public Eye noch einige Eierschalen des Wef.

Die härteste Eierschale ist die unausrottbare Form des Panels. Eine Podiumsdiskussion gehört nicht zu den gelungensten Unterhaltungsgenres der Welt. Das Wef mit seinen überfrachteten Podien produziert das langweiligste Entertainment der Welt. Das Public Eye ist spannender, aber dadurch problematisch, dass die Leute dort oben als Experten und in eigener Sache stehen.

WOZ: Warum haltet ihr an den Paneldiskussionen in Pro- und Antiglobalisierungsdebatten fest?
Missbach: Wir wissen, das ist nicht das Gelbe vom Ei. Aber es ist die Form mit dem kleinsten Risiko. Wenn wenigstens drei von sechs Rednern und Rednerinnen gut sind, war es nicht ganz schlecht.

WOZ: Ein Problem ist, dass oft Experten untereinander reden. Oder Vertreter von Süd-NGOs, die vor allem über den Absatz 3 des schurkischen Kooperationsvertrags mit Nestlé reden. Und das, während man sich noch fragt, wo das Land auf der Karte liegt.
Missbach: Viele Vertreter von Süd-NGOs sind zum ersten Mal in Europa und haben einen Kulturschock. Sie versuchen, sich den Experten anzugleichen. Trotzdem finden wir es wichtig, dass sie da sind. Es ist weit besser, ihnen als NGO zuzuhören, als über ihren Kopf hinweg die dortigen Probleme zu besprechen. Ausserdem befinden wir uns in einem Widerspruch. Wir haben eine öffentliche Diskussion, es referieren Experten, und diese wollen auch ihre Peergroup beeindrucken. Das ist unauflösbar.

Das Spannende an den Diskussionen ist dann auch die Härte und die Zwielichtigkeit der Arbeit, die zu tun ist. Da sich die Organisatoren des Public Eye als NGO verstehen, die nicht nur anprangern, sondern etwas Konkretes tun will, befindet sie sich vor der unangenehmsten Aufgabe, die ein politischer Player haben kann: als eher machtloser Part Wirkung zu erzeugen. So etwa mittels des Global Compact – einer zahnlosen Uno-Charta für Unternehmen – oder bei den Equator Principles – dem Gegenstück für Investmentbanken. Die Fragen, die sich einer ernsthaften NGO stellen, sind immer dieselben:
• Soll man PR-Alibi-Übungen ignorieren?
• Oder einhaken: Und darauf dringen, dass sie mit Zähnen und Sanktionen ausgerüstet werden?
• Und dabei riskieren, dass Unternehmen grüngewaschen werden? Und gleichzeitig in Kauf nehmen, dass vor allem die vernünftigeren Unternehmen mittels Imagekampagnen unter Druck gesetzt werden können: Während Konzerne wie Exxon etwa nichts zu verlieren haben?
• Und gesetzt den Fall, es gibt Fortschritte oder Verstösse: Wie soll man das kontrollieren?
• Und wie wird das alles bezahlt?

Tatsächlich ist Geld zu bekommen – gerade bei wirksamen NGOs – nicht immer dasselbe, wie es zu verdienen. Ein guter Teil muss auch in die Lautstärke investiert werden – die Spendenden wollen schliesslich etwas Wirkung sehen. Dies ist für eine Kampagnen-NGO leichter als beispielsweise für Thinktank- oder Lobbying-NGOs. Und gleichzeitig ist die Vernetzung aufgrund mangelnder Ressourcen so aufwendig wie unabdingbar. Während die anderen NGOs nicht nur Partner in der Recherche, sondern auch Konkurrenz sind: um Geld und um Aufmerksamkeit.

Schlachtfeldgespräche

Nachts, 2002, in einem New Yorker Pub mit einem deutschen Umweltaktivisten, einem philippinischen Gewerkschafter und einer Londoner Strassenarbeiterin.

Der Deutsche: Ich halte es nicht mehr aus. Das hier ist alles nur Show – wie am Wef. Es geht nur um die Presse, Aufmerksamkeit und PR. Du kämpfst plötzlich nur noch gegen andere NGOs. Vor allem gegen die Amerikaner. Ich bin Idealist, nicht Showmann.
Die Londonerin: Du bist süss. Du musst aber dein Herz schliessen, wenn du richtig arbeiten willst. Ich habe das schon vor fünf Jahren getan.
Der Filipino: Du darfst nichts fühlen, wenn du für Gerechtigkeit kämpfst. Es geht um Politik, nur um Politik.
Der Deutsche: Aber ich hasse Politik.
Der Filipino: Bis du verheiratet?
Die Londonerin: Gute Frage.
Der Deutsche: Nein.
Der Filipino: Ich bin verheiratet und habe ein Kind. Ich liebe beide und habe sie beide verlassen. Ich kämpfe woanders. Man muss im Leben Entscheidungen treffen.
Die Londonerin: Ich bin auch Profi. Ich bin hart wie Beton. Aber ich finde Idealisten süss.

Was sowohl dagegen hilft, in der globalisierungskritischen Branche resigniert oder ein Profi zu sein, ist etwas in der Politik höchst Seltenes: ein nüchterner, selbstkritischer Blick. «Todsünden einer schlechten NGO», so ein Public-Eye-Teilnehmer, «sind Inkompetenz, Moralismus und Narzissmus. Das Mittlere kaschiert dann das Erste – und mit genügend Narzissmus bemerkt man das nicht einmal.»

Und das Public Eye? War es ein Erfolg? Die Hauptorganisatoren von der Erklärung von Bern und Pro Natura, Matthias Herfeldt und Miriam Behrens, antworten.

Herfeldt: «Wir haben erreicht, das Public Eye in einem hoch ideologischen Umfeld als eigenständige Veranstaltung zu positionieren. Das war wirklich hart.»
Behrens: «Und das als Konkurrenz zum Wef und später auch noch zum Open Forum. Und in der Mitte der Gewaltdiskussion ...»
Herfeldt: «... wo die Medien immer Streit suchen zwischen den einzelnen Gruppierungen.»
Behrens: «Sonst ist unsere Bilanz gespalten: Einerseits hatten wir noch nie so viele Zuschauerinnen und Zuschauer. Die Säle waren immer voll. Andererseits gibt es den Backlash: Das Wef hat es geschafft, sein Image wieder aufzurichten. Es gibt zweiseitige Interviews, in denen Professor Schwab als Retter der Welt befragt wird – und das ohne Ironie.»
Herfeldt: «Was wir vom Public Eye sicher tun müssen: die Formen überdenken, wie wir es veranstalten.»
Behrens: «Inhaltlich haben wir uns von der allgemeinen Globalisierungsdebatte von IWF und WTO wegbewegt. Wir arbeiten mehr Richtung Einzelkonzerne und Kreditvergabe: Ohne Banken wären praktisch alle Projekte unmöglich.»
Herfeldt: «Man muss kontroverser diskutieren. Was allerdings schwierig ist, da ein CEO beim Public Eye mehr zu verlieren als zu gewinnen hat.»
Behrens: «Das Problem sind die Ressourcen: Je weniger Zeit du hast, desto weniger denkst du nach.»

Das Hauptproblem der Antiglobalisierungsbewegung ist, dass sie nicht mehr neu ist. Fünf Jahre nach Seattle erwartet man mehr Lösungen als Protest: nicht gerade der einfachste Job. (Wo etwa hat das Wef in dreissig Jahren eine Lösung gebracht?) Und gleichzeitig ist die Antiglobalisierungsbewegung als Ganzes auf den Spagat zwischen Bösen und Guten angewiesen: Ohne Drohpotenzial mit Schäden oder zumindest Massenaufläufen wird sie nicht ernst genommen. Ein ungelöstes Problem sind auch die Diskussionsformen: Neue wurden entwickelt – etwa am Weltsozialforum –, andere – das politische Podium – übernommen: Effizient sind sie alle nicht. Und auch nicht das Netzwerk von NGOs, das unter Druck steht, schnell entscheiden zu müssen – wie die DemoorganisatorInnen in Landquart. Für die globalisiert vernetzten KritikerInnen ist die globalisierte Elite weitgehend uninspirierend: Auf das Wef und dessen ewige Forderungen nach Vergünstigungen für das eigene Unternehmen und Abbau des Staates lässt sich nichts Abendfüllendes antworten.

Globalisierungskritik ist ein hartes Geschäft geworden.