Nachhaltige Energien: Warm mit Gülle

In Jühnde bei Göttingen entsteht Deutschlands erstes Bioenergiedorf. In der Schweiz ist nichts Derartiges in Sicht.

Eine Kirche, eine Kneipe, ein knappes Dutzend Bauernhöfe – auf den ersten Blick wirkt Jühnde im Kreis Göttingen wie ein ganz normales Dorf. Nur eine kleine Holztafel am Ortseingang weist auf das grosse Vorhaben hin. «Bioenergiedorf Jühnde – Einmalig in Deutschland» steht auf dem Schild. Das 800-Einwohner-Dorf im Kreis Göttingen ist die erste deutsche Gemeinde, die ihre Energieversorgung komplett auf Biomasse umstellt. Am 19. November setzten die Bundesministerin für Verbraucherschutz und Landwirtschaft, Renate Künast, und Umweltminister Jürgen Trittin (beide Grüne) offiziell den ersten Spatenstich.

Die Erdarbeiten haben bereits im Oktober begonnen. Auf einem gemeindeeigenen Grundstück entstehen eine Biogasanlage und ein Blockheizkraftwerk. «In der Biogasanlage werden Gülle von Kühen und Schweinen sowie Gras und Grünschnitt vergoren», erklärt der Sprecher der kommunalen Betreibergesellschaft, Eckhard Fangmeier. Das so erzeugte Gas verbrennt in einem Motor, der wiederum einen Generator antreibt. Das Kraftwerk kann jedes Jahr über vier Millionen Kilowattstunden Strom erzeugen und ins Netz einspeisen – fast dreimal so viel, wie das Dorf jährlich verbraucht.

Mehr als genug

Die Verbrennungswärme reiche im Sommer für Heizung und Warmwasser, sagt Fangmeier. Den zusätzlichen Bedarf im Winter soll ein mit Holz befeuertes Hackschnitzelheizwerk decken. Aufwendiger als die Erzeugung werde die Verteilung der Wärme. «Wir müssen fünf Kilometer Leitungen mit Wärmetauschern, Messuhren und Heizkesseln installieren.»

Wissenschaftler der Universität Göttingen wählten Jühnde vor drei Jahren unter zwanzig Bewerbern aus. Im Dorf gibt es noch relativ viele Vollerwerbslandwirte. Diese sollen die Biogasanlage mit Gülle, Gras und Grünschnitt beliefern.

Ausschlaggebend für die Entscheidung war aber auch die Bereitschaft der BewohnerInnen. In einer Umfrage hatten 85 Prozent die Bioenergie-Idee als «gut» oder sogar «sehr gut» bezeichnet. Mindestens 70 Prozent der Haushalte wollen sich an das neue Wärmenetz anschliessen lassen. Die örtlichen Vereine, der Gemeinderat und der Bürgermeister stehen voll hinter dem Vorhaben. Eine Bürgerinitiative sammelte Unterschriften, organisierte Bürgerversammlungen und wirbt im Internet für das Vorhaben (www.bioenergiedorf.de).

Regionalökonomisch interessant

Die Göttinger Uni wird das Bioenergiedorf wissenschaftlich begleiten. Die ForscherInnen sind von positiven Auswirkungen für die Umwelt überzeugt. Öl, Gas und Kohle werden immer knapper und belasten bei der Verbrennung das Klima durch Kohlendioxid, sagt Projektsprecher Volker Ruwisch. Holz und andere Biomasse seien dagegen CO2-neutrale Rohstoffe: Das CO2, das bei ihrer Verbrennung frei wird, ist zuvor der Atmosphäre entzogen worden. 3300 Tonnen Kohlendioxid können im Bioenergiedorf Jühnde jedes Jahr eingespart werden.
Die Anlagen und Leitungen kosten rund 5,5 Millionen Euro. Fördergelder gibt es vom Bund, vom Land Niedersachsen und dem Landkreis Göttingen. Alleine die dem Künast-Ministerium unterstehende Fachagentur für nachwachsende Rohstoffe bewilligte 1,3 Millionen. Trotzdem müssen die Jühnder Energierebellen auch in die eigene Tasche greifen – 1500 Euro Einlage in die genossenschaftlich organisierte Betreibergesellschaft und weitere 1000 Euro Pauschale für das Wärmenetz sind pro Haushalt fällig.

Für die Umstellung der Energieversorgung sprechen auch ökonomische Gründe. Seien die Anfangsinvestitionen erst einmal abgeschrieben, blieben die Energiepreise auf lange Sicht stabil, rechnen Experten vor. Anstatt an die grossen Energiekonzerne fliesst das Geld in die Region. In der Land- und Forstwirtschaft, im Handwerk und in der Biogasanlage selbst könnten neue Arbeitsplätze entstehen.

Eckhard Fangmeier träumt schon vom Aufbau eines «Kompetenzzentrums Bioenergie» in Jühnde. «Wir wollen ein richtiges Modelldorf werden», sagt er. Auch die Universität Göttingen freut sich über den Baubeginn. «Die Idee vom energieautarken Dorf, an dem viele Akteure unermüdlich mitgewirkt haben, wird endlich Wirklichkeit», freut sich Projektleiter Professor Hans Ruppert aus Göttingen. Bundesumweltminister Trittin ist überzeugt, dass das Bioenergiedorf im In- und Ausland viele Nachahmer finden wird.

Schweizer Jühnde?

In der Schweiz ist bislang nichts mit dem Jühnde-Experiment Vergleichbares geplant. «Hierzulande sind die Gemeinden derzeit froh, wenn sie ihren Anteil erneuerbarer Energien am Gesamtverbrauch halten können», sagt Kurt Egger, Sprecher der Schweizer Energiestädte. Das Label «Energiestadt» wurde 1991 lanciert und wird an Gemeinden oder Regionen verliehen, die bestimmte energiepolitische Massnahmen gemäss einem Massnahmenkatalog ergriffen oder beschlossen haben. Die derzeit hundert Mitglieder haben ihren Energieverbrauch nach Angaben des WWF um 615 Millionen Kilowattstunden pro Jahr reduziert, was einer CO2-Einsparung von 238 000 Tonnen entspreche. Dass das Schweizer Jühnde noch auf sich warten lasse, hat laut Egger mit der Energiepolitik zu tun: Während beispielsweise Biogasanlagen in Deutschland, aber auch in Österreich vom Bund gefördert würden, sei die Energiepolitik in der Schweiz Gemeindesache. Müssten die Gemeinden die Investitionskosten nicht alleine aufbringen, glaubt Egger, würden sich auch bei uns Gemeinden für das Projekt Bioenergiedorf begeistern lassen.

www.energiestadt.ch