Nahost-Friedensprozess: Das Scheitern war angelegt: Eine verfehlte Politik am logischen Ende

Der so genannte Friedensprozess von Oslo, der einseitig die Interessen Israels berücksichtigte, war von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Jetzt müssen die Weichen völlig neu gestellt werden.

Von Beginn an falsch verstanden und brüchig, ist der Friedensprozess von Oslo in seine Schlussphase getreten: in die Phase gewalttätiger Konfrontation, unverhältnismässiger israelischer Repression, verbreiteter palästinensischer Rebellion, in eine Phase mit vielen Todesopfern, überwiegend PalästinenserInnen.

Vorzeichen dieser Entwicklung hatte es von Beginn an gegeben. Die Führer des Likud-Blocks und der Arbeitspartei machten keinen Hehl aus der Tatsache, dass der Vertrag von Oslo (1993) entworfen worden war, um die PalästinenserInnen in getrennte, ökonomisch nicht lebensfähige Enklaven aufzuteilen, umgeben von israelisch kontrollierten Grenzübergängen, mit Siedlungen und Siedlungsstrassen, welche die Unversehrtheit der Gebiete durchbrechen und verletzen. Enteignungen und Zerstörungen von Häusern wurden von den Regierungen Yitzhak Rabin, Shimon Peres, Benjamin Netanjahu und Barak unerbittlich vorangetrieben, während die Siedlungen wuchsen und sich vervielfachten (Jerusalem wuchs um 200 000 jüdische Israeli an, Gaza und die Westbank um weitere 200 000) und die militärische Besetzung andauerte. Jeder noch so kleine Schritt in Richtung einer palästinensischen Selbstbestimmung hingegen wurde behindert, aufgeschoben, widerrufen.

Das besetzte Ostjerusalem wurde zur verbotenen Stadt für PalästinenserInnen aus Gaza und der Westbank. Den vier Millionen palästinensischen Flüchtlingen – zurzeit die weltweit grösste und am längsten existierende Flüchtlingspopulation überhaupt – wurde erklärt, sie könnten sowohl die Rückkehr als auch Entschädigungen vergessen. Und Jassir Arafat stützte sein korruptes Regime weiter auf die US-amerikanische Vermittlung, obgleich das US-Verhandlungsteam von früheren israelischen Lobbyisten und einem Präsidenten dominiert wurde, dessen Haltung zum Nahen Osten frei von jedem Verständnis der arabisch-islamischen Welt war. Willfährige, aber isolierte und unpopuläre arabische Herrscher (allen voran Ägyptens Hosni Mubarak) wurden in erniedrigender Weise genötigt, sich der US-amerikanischen Politik zu unterwerfen, was ihre ohnehin schon geringe Glaubwürdigkeit in der Heimat weiter erodieren liess. Die Interessen Israels kamen immer zuerst. Sich der Ungerechtigkeit der Enteignung der PalästinenserInnen von 1948 zuzuwenden, wurde nicht einmal erwogen.

Hintergrund des Friedensprozesses waren zwei unverrückbare israelisch-amerikanische Annahmen, welche beide von einem erschreckenden Unverständnis der Wirklichkeit ausgingen. Die erste war, dass nach genügend Bestrafung und Prügel die PalästinenserInnen aufgeben, die von Arafat geschlossenen Kompromisse akzeptieren und Israel alles verzeihen würden, was es ihnen angetan hatte. Folglich schenkte der Friedensprozess weder den immensen palästinensischen Verlusten von Land und Gütern noch dem Zusammenhang zwischen der früheren Vertreibung und der gegenwärtigen Staatenlosigkeit genügend Aufmerksamkeit, während Israel als Nuklearmacht mit einem enormen Militärapparat weiterhin den Status eines Opfers in Anspruch nahm und Wiedergutmachung für den völkermörderischen Antisemitismus in Europa verlangte. Bis heute hat Israel seine (breit dokumentierte) Verantwortung für die Tragödie von 1948 nie offiziell anerkannt. Aber Menschen können nicht gezwungen werden, zu vergessen, vor allem wenn die tägliche Realität als eine Fortsetzung der ursprünglichen Ungerechtigkeit erlebt wird.

Zweitens fuhren führende israelische und US-amerikanische Politiker unbeirrt damit fort, ihre Erfolge zu verkünden, auch wenn sich die wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen für PalästinenserInnen nach sieben Jahren überall stetig verschlechtert hatten. Die Vereinten Nationen und andere interessierte Parteien wurden ausgeschlossen, aus Tatsachen kurzlebige Siege für den «Frieden» geformt. Mit dem Zornausbruch der gesamten arabischen Welt und mit dem Aufbegehren der arabischen Israeli gegen die Behandlung als BürgerInnen dritter Klasse zerfällt dieser falsch gepolte und schiefe Status quo. Die in den Vereinten Nationen isolierten und überall in der arabischen Welt als bedingungslose Fürsprecherin Israels verschrieenen USA und ihr scheidender und darum handlungsschwacher Präsident haben wenig zu einer dauerhaften Lösung beizutragen.

Dies gilt auch für die israelische und die arabische Führung, auch wenn diese wahrscheinlich eine weitere Übergangslösung zusammenschustern werden. Seltsam war die Stille des zionistischen Friedenslagers in den USA, in Europa und Israel. Während sie auf das brutale Vorgehen Israels setzen oder sich enttäuscht über die Undankbarkeit der PalästinenserInnen zeigen, geht das Blutbad an palästinensischen Jugendlichen weiter. Am schlimmsten sind die US-Medien, deren KommentatorInnen mit Geschichten über «Kreuzfeuer» und «palästinensische Gewalt» die Wahrheit verdrehen. Denn Tatsache ist, dass die PalästinenserInnen gegen die militärische Besetzung kämpfen und nicht «Israel belagern», wie dies Aussenministerin Madeleine Albright formulierte. Während die USA den Sieg des serbischen Volkes über Slobodan Milosevic feiern, weigern sich Bill Clinton und seine HelferInnen, die palästinensische Rebellion als den gleichen Kampf gegen das Unrecht zu sehen.

Ich gehe davon aus, dass sich die neue palästinensische Intifada auch gegen Arafat richtet, der sein Volk mit falschen Versprechungen irregeleitet hat und der korrupten Funktionären die Stange hält. Sechzig Prozent des Staatshaushaltes steckt Arafat in die Verwaltung und den Sicherheitsapparat, nur zwei Prozent fliessen in die Infrastruktur. Vor drei Jahren gaben seine eigenen Buchhalter zu, dass jährlich 400 Millionen Dollar verschwanden. Arafats internationale Schirmherren schlucken dies im Namen des «Friedensprozesses», dem sicherlich bestgehassten Begriff im heutigen palästinensischen Sprachgebrauch.

Doch langsam entstehen in den Köpfen der führenden PalästinenserInnen aus Israel, der West Bank, Gaza und der Diaspora die Konturen eines alternativen Friedensplans und einer neuen Führung. Eine Reihe von Erklärungen, welche in der Bevölkerung auf grosse Unterstützung stossen, wurden von rund tausend PalästinenserInnen unterzeichnet. Die Deklarationen verlangen Folgendes: Kein Zurück zum Osloer System, keine Kompromisse in Bezug auf die ursprünglichen Uno-Resolutionen (242, 338 und 194), welche die Basis für die Madrider Konferenz von 1991 bildeten; die Räumung aller Siedlungen und Militärstrassen, aller Gebiete, die 1967 annektiert oder besetzt wurden; der Boykott israelischer Güter und Dienstleistungen. Der Bevölkerung mag zurzeit dämmern, dass nur eine Massenbewegung gegen die israelische Apartheid Erfolg haben kann.

Es ist sicher falsch, dass Barak und Albright Arafat für etwas verantwortlich machen, das er nicht mehr voll unter Kontrolle hat. Anstatt neue Vorschläge zu verabschieden, täten die HelferInnen Israels gut daran, nicht zu vergessen, dass die palästinensische Frage ein ganzes Volk betrifft und nicht nur einen alternden, diskreditierten Führer. Frieden in Palästina/Israel kann nur nach dem Ende der militärischen Besatzung unter Gleichen geschlossen werden. KeinE PalästinenserIn, nicht einmal Arafat, kann weniger als dies akzeptieren.

Nachtrag zum Autor

Edward W. Said war ein in den USA eingebürgerter Literaturwissenschaftler und gehörte zu den international bekanntesten Stimmen der palästinensischen Diaspora.

Er starb am 25. September 2003.