Patentgesetz: Monopolrecht auf Leben
Patente sollen den wissenschaftlichen Fortschritt fördern. Stattdessen behindern sie ihn mehr und mehr. Insbesondere im Bereich der Lebenswissenschaften.
Auf der einen Seite die Wissenschaft, auf der anderen die religiösen Fundamentalisten und linken Kulturpessimistinnen: Es gelingt der Wissenschaftslobby immer wieder, forschungspolitische Fragen auf dieses Schema zu reduzieren.
So beim Stammzellengesetz, über welches die Schweizer BürgerInnen am 28. November abstimmen. Ebenso versucht Gen Suisse, die Lobbyorganisation der Gentech-Industrie, die Diskussion über die Frage nach der Patentierbarkeit von lebender Materie zur Gretchenfrage der Wissenschaftsfreundlichkeit zu stilisieren. Das dürfte diesmal vielleicht nicht gelingen. Denn zu den KritikerInnen der Patentierbarkeit von «Leben» gehören so unverdächtige Organisationen wie die ÄrztInnenvereinigung FMH, die deutsche Ärztekammer, das französische Parlament und das American College of Medical Genetics. Und am letztjährigen WTO-Gipfel in Mexiko haben sämtliche Staaten Afrikas eine gemeinsame Erklärung vorgelegt, in der sie das Verbot von Patenten auf Leben fordern.
Die Diskussion ist in der Schweiz derzeit aktuell, da sich das Patentgesetz in Revision befindet. In den vergangenen zwei, drei Jahrzehnten haben die Lebenswissenschaften grosse Begehrlichkeiten nach Patenten hervorgebracht. Die EU hat deshalb eine Richtlinie über den rechtlichen Schutz «biotechnologischer Erfindungen» erlassen (die innerhalb der EU umstritten und erst in wenigen nationalen Gesetzen der Mitgliedstaaten umgesetzt ist). In der Schweiz ist die Patentierbarkeit «biotechnologischer Erfindungen» bis heute nicht explizit geregelt; in der Praxis galt de facto die EU-Richtlinie. Die Revision soll nun die Rechtsunsicherheiten in diesem Bereich beseitigen. Ein erster Entwurf ging 2002 in Vernehmlassung; die Vernehmlassungsfrist für einen zweiten Entwurf ist vergangene Woche abgelaufen. Die Industrie möchte die Revision zurückweisen – sie lebt mit der Praxis der Rechtsunsicherheit am besten. VertreterInnen von entwicklungspolitischen und forschungskritischen Organisationen, aber auch VertreterInnen der Wissenschaft begrüssen die Revision grundsätzlich, kritisieren aber die Festschreibung der – heute de facto schon bestehenden – Möglichkeit von «Patenten auf Leben».
Patente sind zeitlich befristete Monopolrechte und sollen ErfinderInnen, die einen grossen Aufwand in ihre Erfindungen gesteckt haben, davor schützen, dass ein anderer ihre Erfindungen kopiert und vermarktet. Unter den Vordenkern des Liberalismus im 19. Jahrhundert waren Patente umstritten, weil sie die Handelsfreiheit einschränken. Gegen die Einführung des Patentrechts in der Schweiz wehrte sich die hiesige Industrie seinerzeit – vor allem die chemische Industrie war dank Kopien von Produkten der ausländischen Konkurrenz gross geworden.
Die Kehrseite von Patenten: Sie mögen Anreize zur Entwicklung von Innovationen darstellen, gleichzeitig aber hemmen und verteuern sie die Verbreitung dieser Innovationen.
Stickstoffmonoxid (NO) ist ein einfaches Gas, das unter anderem in Automotoren entsteht. Die Medizin verwendet es für die Behandlung von Atemwegsproblemen bei Kleinkindern. 1997 hat die Firma Inotherapeutics das europäische Patent 560 928 auf dieses Verfahren erhalten. Vor einigen Wochen wurde das Inotherapeutics-Produkt Inomax – eine Mischung aus NO und Stickstoff, die bisher bei verschiedenen Anbietern günstig bezogen werden konnte – in der Schweiz als einziges Produkt zugelassen. Nun drohen die Behandlungskosten bis auf das Fünfzigfache zu steigen. Diese Kostenexplosion geht vor allem auf die alleinige Zulassung von Inomax zurück, ist also nur bedingt ein patentrechtliches Problem. Den exorbitanten Preis aber begründet die Firma unter anderem mit «hohen Kosten, das Patent durchzusetzen (…)» Gegen das Patent ist eine Beschwerde hängig.
Die Begründung, die Inotherapeutics für seine Preispolitik gibt, zeigt: Patente können zum Selbstläufer werden.
Wie kommt es, dass Patente auch auf lebende Materie erteilt werden können? Dass Organismen patentiert würden, sei seit langem unbestrittene Praxis, schreibt das Eidgenössische Institut für geistiges Eigentum (IGE). Das erste Patent auf einen Mikroorganismus sei nämlich bereits 1873 erteilt worden. Das stimmt zur Hälfte. Louis Pasteur erhielt damals sein Patent 141 072 für gereinigte Hefe. Allerdings nicht für die Hefe an sich, sondern für die Hefe als Teil eines Prozesses der Weinherstellung.
Dass lebende Materie an sich patentiert werden kann, ist eine jüngere Entwicklung. 1972 stellte der Forscher Ananda Chakrabarty einen Patentantrag: Er hatte einen Mikroorganismus genetisch so manipuliert, dass er Öl abbauen konnte. Der Antrag umfasste das Verfahren zur Herstellung dieser Organismen, den Prozess der Öldegradation damit sowie den Organismus selbst. Das US-Patentamt lehnte ein Patent zum letzten Punkt ab. Chakrabarty focht den Entscheid an und erhielt 1980 vor dem obersten Gerichtshof der USA Recht. Mit einem knappen 5:4-Entscheid kam das Gericht zum Schluss, dass Organismen patentierbar seien. 1981 wurde das erste Bakterium, 1988 das erste Tier – die Harvard-Krebsmaus – patentiert.
Obwohl auch für Entdeckungen grosse Anstrengungen nötig sein können, ist grundsätzlich unbestritten: Patentiert werden können nur Erfindungen, nicht aber Entdeckungen. Als patentierbare Erfindung gilt eine technische Lösung für ein Problem. Diese muss neu sein und eine «erfinderische Tätigkeit» voraussetzen – sie würde also ohne Zutun des Erfinders nicht existieren und gewerblich anwendbar sein.
Doch die Grenze zwischen Erfindung und Entdeckung ist unscharf. Ein Gen existiert in der Natur, aber nur als Teil eines Chromosoms. Ist ein einzelnes, isoliertes Gen ausserhalb seiner natürlichen Umgebung deshalb eine Erfindung, dessen Isolierung eine «erfinderische Tätigkeit»? Die Argumentation ist spitzfindig, aber genauso sieht heute die internationale Patentpraxis aus.
Man kann der Ansicht sein, die Isolierung eines Gens sei nicht «erfinderische Tätigkeit» genug, um aus der Entdeckung eine Erfindung zu machen; die Hinzufügung eines Gens zu einem Organismus reiche nicht aus, um das ganze Lebewesen als Erfindung zu betrachten. Man kann es aus ethischen Gründen ablehnen, lebende Materie zum Gegenstand von Patenten zu machen. Es gibt aber ein paar weitere Gründe, lebende Materie anders zu behandeln als etwa chemische Stoffe oder Maschinen. Hier nur eine Auswahl:
• Gene sind Informationsträger. Darüber, wie die genetische Information umgesetzt wird, ist noch sehr wenig bekannt. Der Mensch hat nach neuesten Schätzungen 20 000 bis 25 000 Gene. Würde jedes Gen nur eine menschliche Eigenschaft codieren, wären wir reichlich primitive Geschöpfe.
1995 reichte Human Genome Sciences ein Patentgesuch auf einen Rezeptor namens CCR5 ein. Der Rezeptor spielt eine Rolle beim Eindringen des HI-Virus in die Zelle. Bloss: Der Antragsteller schien das selber nicht zu wissen, denn die Patentschrift weist nicht auf den Zusammenhang von CCR5 und einer HIV-Infektion hin. Dennoch ist die weitere Verwendung der Gensequenz im Rahmen der Aidsforschung heute nur mit dem Einverständnis von Human Genome Sciences möglich.
In diesem Bereich sieht der Revisionsentwurf des Patentgesetzes eine Verbesserung vor: Die Patentschrift muss eine empirisch erhärtete Eigenschaft des Gens und seine gewerbliche Anwendbarkeit nennen. Nur diese wird geschützt. In fast allen anderen Staaten lassen sich jeweils alle möglichen Anwendungen eines Gens schützen. Die Industrie wehrt sich gegen die in der Schweiz geplante Änderung.
• Lebende Stoffe pflanzen sich selber fort. Gene können sich in andere Pflanzen einkreuzen.
Auf dem Feld des kanadischen Landwirts Percy Schmeiser wuchs Roundup-Ready-Raps, an dem Monsanto die Patentrechte hält. Dieser Mais wuchs dort ohne Zutun, ja ohne das Wissen Schmeisers: Pollen waren mit dem Wind von Nachbarfeldern eingedrungen. Monsanto verklagte Schmeiser, weil er für den Raps keine Lizenz besass. Das Gericht sprach in diesem Frühjahr Schmeiser (mit knappem Entscheid der RichterInnen) schuldig.
Die Revision des Patentgesetzes nimmt Auskreuzungen (etwa durch Pollenflug) ausdrücklich vom Patentschutz aus. Heute jedoch wäre ein Fall Schmeiser theoretisch auch bei uns möglich – theoretisch, da in der Schweiz heute keine transgenen Nutzpflanzen angebaut werden. Wer mit der Regelung nicht geschützt wird, sind ZüchterInnen, in deren neue Sorten sich zufällig ein patentiertes Gen einkreuzt: Sobald die Sorte vermarktet werden soll, würde der Patentschutz wieder aktiv. Der Patentinhaber dürfte da zwar das Vermarkten der neuen Sorte nicht verbieten, könnte darauf aber Lizenzgebühren fordern.
• Wenn Substanzen aus Pflanzen oder Tieren gewonnen werden, die auf dem Heimmarkt des Produkts unbekannt sind, heisst das noch nicht, dass sie nicht anderswo längst benutzt werden.
1999 erhielt Kurt Hostettmann von der Universität Lausanne das US-Patent 5 020 124 für antimikrobische Wirkstoffe, die aus der Wurzel des vor allem in Simbabwe heimischen Baumes Swartzia madagascariensis gewonnen werden. Für die Nutzung des Patents hat die Uni Lausanne die US-Firma Phytera lizenziert. Weder die simbabwische Regierung noch lokale HeilerInnen, die die Wirksamkeit des Stoffes kannten, haben dazu ihr Einverständnis gegeben. Zwar sieht der Vertrag zwischen Uni Lausanne und Phytera vor, dass 0,75 Prozent der Lizenzeinnahmen nach Simbabwe fliessen sollen. An der Festsetzung dieses Anteils war der afrikanische Staat aber nicht beteiligt worden.
Zum Schutz vor so genannter Biopiraterie soll bei der Anmeldung des Patents die Quelle der genetischen Ressourcen künftig offen gelegt werden müssen. Entwicklungspolitische Organisationen wie die Erklärung von Bern (EvB) sehen das als Schritt in die richtige Richtung. Sie fordern aber, dass darüber hinaus auch das Einverständnis der Regierung des Herkunftslandes sowie beteiligter «lokaler Gemeinschaften» nötig sei – die Offenlegungspflicht allein, sagt François Meienberg von der EvB, hätte einen Fall wie den der Uni Lausanne nicht verhindert. Dem Branchenverband Interpharma hingegen geht diese Bestimmung (die doch eigentlich das will, wofür das Patentrecht ist: die UrheberInnen einer Erkenntnis schützen) «zum heutigen Zeitpunkt» schon zu weit: Sie sei ein «falsches Signal»; die Schweiz solle zuerst abwarten, was auf internationaler Ebene beschlossen werde.
«Ohne Patente», schreibt Interpharma, «gibt es keine Investitionen in die Forschung, keine Innovation in der Pharmaindustrie und keine Biotech-Industrie.» – «Das Patentrecht», schreibt das IGE, «bezweckt die Förderung der Forschung in allen Gebieten der Technik zum Nutzen der Gesellschaft.» Erreicht es dieses Ziel?
Im Februar 2002 veröffentlichte «Nature» eine Studie, wonach dreissig Prozent der US-amerikanischen Labors auf die Prüfung und anschliessende Verwendung eines Gentests für die Eisenspeicherkrankheit verzichteten oder die Verwendung des Tests sogar einstellten, weil das Gen für diese Krankheit patentiert ist. Seither sind in den grossen Wissenschaftszeitschriften weitere Untersuchungen publiziert worden, welche diesen Befund bestätigen.
Wer sagt, Patente förderten den wissenschaftlichen Fortschritt, hat vor allem eine Form des Fortschritts im Auge: den der forschenden Privatwirtschaft. Während die Möglichkeit zu patentieren wirtschaftliche Anreize schafft, sind Patente einer freien und öffentlichen Forschung hinderlich. Zwar soll ein so genanntes Forschungsprivileg im neuen Patentgesetz die Forschung mit patentgeschützten Gütern erlauben. Allerdings gilt dieses Privileg nur so lange, bis aus der Forschung wieder eine gewerblich nutzbare Anwendung hervorgeht. Und es ändert nichts an der Tatsache, dass die Patentpraxis die Forschungspraxis in den vergangenen Jahren stark beeinflusst hat.
Der Boom der Biotech-Patente, den der Gerichtsentscheid von 1980 ausgelöst hat, fiel in die Reagan-Ära (1981-1989). Die hundert führenden Universitäten der USA reichten 1965 insgesamt 96 Patente ein, 408 im Jahr 1984 und 3200 im Jahr 2000. Der Wissenschaftsforscher Sheldon Krimsky schreibt in seinem Buch «Science in the Private Interest», damals habe sich die Vorstellung verbreitet, die Universitäten «sässen auf einem Berg nicht realisierter Gewinne» und müssten sich vermehrt selber finanzieren.
Auch in der Schweiz sind Lizenzgebühren zu einer wichtigen Einnahmequelle der Hochschulen geworden. Die Universität Zürich beispielsweise verdiente 2003 elf Millionen Franken aus Lizenzgebühren. Wenn das Auftauchen solch neuer Einkommensquellen mit der Sparwut der Politik zusammenfällt, sind die Universitäten am Ende wieder gleich weit. Nur dass sie einen Teil ihrer Unabhängigkeit eingebüsst haben. Adriano Aguzzi, der Star der Prionenforschung an der Uni Zürich, sagte vor zwei Jahren gegenüber der WOZ: «Ich trauere der Zeit nach, wo noch niemand von geistigem Eigentum sprach. Dauernd müssen wir Material-Transfer-Agreements, seitenlange Verträge, unterschreiben. Wir haben heute viel zu viel Administration, und die ewigen Scherereien lähmen.»
Doch es geht um mehr als um Administration. In Forschungspartnerschaften zwischen Industrie und Universitäten ist es heute üblich, dass die Geldgeberin sich das Recht sichert, über den Zeitpunkt einer Publikation der Resultate zu bestimmen – um Patentanträge stellen zu können. «Das Verhalten und die Normen der Wissenschaft», schreibt Krimsky, «ändern sich. Eine der bedeutendsten Änderungen ist die Ablehnung der Idee des ´Kommunitarismus; zugunsten eines Systems der privaten Aneignung von Wissen. Zu den Verlierern gehört der freie und offene Austausch von Wissen zwischen den Hochschulen.» Die Zahl eingereichter Patente pro ForscherIn wird bereits als Indikator für die Stärke eines Forschungsstandorts angesehen (gemäss diesem Indikator soll die Schweiz hinter den USA und Japan auf Platz drei liegen, schreibt das Magazin «Time»).
Francis Collins, der Leiter des Hugo-Projekts zur Entschlüsselung des menschlichen Genoms, ist gewiss kein Wissenschaftsfeind. In einem Interview mit der «Welt» sagte er: «Ein grosser Teil des menschlichen Genoms ist mit Patenten überzogen worden. (…) Der Sinn eines Patents ist es, den Anreiz für künftige Forschung zu erhalten, sodass darauf Produkte entwickelt werden können, die wirklich benötigt werden. Doch was hier geschehen ist, hat genau den gegenteiligen Effekt. Wenn Patente an Genen gehalten werden, investiert doch kein anderer mehr in die Entwicklung möglicher Medikamente. (…) Die Erfahrung der letzten fünfzehn Jahre zeigt doch, dass es besser wäre, die fundamentalen Erkenntnisse der Genomforschung in einer öffentlichen, jedem frei zugänglichen Datenbank bereitzustellen. Was die Gene betrifft, so ist es dafür nun wohl leider zu spät.»