Biotechnologie: Ein Patent auf Pommes frites?

Nr. 43 –

Agrokonzerne nutzen gezielt Gesetzeslücken aus, um Züchtungsverfahren und Pflanzen zu patentieren. Nun sollen die Regulierungen in der EU und der Schweiz sogar noch gelockert werden.

Wer etwas nutzen will, das patentiert ist, muss Lizenzgebühren zahlen. Doch stellen Sie sich vor, das betrifft plötzlich alle: von der Landwirtin, die eine Kartoffelsorte mit höherem Stärkegehalt anbaut, über den Bäcker, der aus dem Mehl dieser Kartoffeln Brot bäckt, oder die lokale Schnapsbrennerin bis zum Beizer, der Ihnen Pommes frites serviert. Und natürlich die ganze Lebensmittelindustrie, die aus dieser Kartoffelsorte Produkte herstellt.

Agromultis wie Corteva oder Bayer verfolgen mit ihrer aggressiven Patentpolitik genau solche Szenarien. Viele Patente erstrecken sich vom technischen Verfahren über die veränderten Eigenschaften bis zum geernteten Produkt und seiner weiteren Verarbeitung. Patente im Bereich der neuen Gentechnik verschärfen dieses Problem noch. Jetzt schlägt ein Netzwerk aus Organisationen aus Umweltbewegung und Konsument:innenschutz mit einem Report Alarm: Wollen wir uns die Zukunft der Ernährung wirklich von ein paar Agromultis diktieren lassen?

Den Namen Corteva muss man sich merken. Der Konzern wurde 2018 als spezieller Agrobereich von den US-Agromultis Dow, Dupont und Pioneer gegründet. Zusammen mit der Bayer AG, seit 2016 Besitzerin von Monsanto, kontrolliert Corteva bereits vierzig Prozent des globalen Saatgutmarkts. In den vergangenen beiden Jahrzehnten haben Agrokonzerne Tausende von Patenten auf Züchtungsverfahren und Pflanzen erworben.

Gentechregulierung aufweichen?

Patente auf Leben muten absurd an – möglich gemacht hat sie die Gentechnik. Der Hype um die Genomeditierung lässt nun alle Dämme für die Patentflut brechen. Mit der «Genschere», wie das neue Verfahren oft bezeichnet wird, kann das Erbgut einer Pflanze zielgenau und punktuell verändert werden. Wird dabei kein artfremdes Material eingeschleust, lässt sich das mutierte Erbgut einer genomeditierten Pflanze kaum noch von Mutationen unterscheiden, die natürlich oder in der klassischen Züchtung vorkommen. Corteva hat weltweit bereits 1430 Patente auf neue Züchtungsverfahren und -produkte angemeldet, Bayer als zweitgrösster Player im Patentrennen immerhin 119.

Noch sind gentechnisch veränderte Lebensmittel in der Schweiz verboten, in der EU unterliegen sie einem strengen Zulassungsverfahren und müssen entsprechend gekennzeichnet sein. Auch die Genschere fällt in der EU und in der Schweiz unter das Gentechnikgesetz, die EU-Kommission dürfte jedoch bereits Mitte 2023 Vorschläge für eine Lockerung machen. Und in der Schweiz will das Parlament neue Züchtungsverfahren, bei denen keine artfremde DNA in die Pflanzen eingebracht wird, vom Gentechmoratorium ausnehmen, wenn sie einen «Mehrwert» für Landwirtschaft, Umwelt oder Konsument:innen bringen. Gefragt wären angesichts von Klimakrise und künftiger Ernährungssicherheit vor allem Kulturpflanzen, die hitzebeständig, trockenheits-, aber auch fluttolerant sind. Doch die Entwicklung solcher Pflanzen ist komplex und auf absehbare Zeit hin kaum realistisch (siehe WOZ Nr. 8/22).

Letztlich spielt eine Deregulierung vor allem Agromultis wie Corteva und Bayer in die Hände, entsprechend lobbyieren diese dafür. Die neuen gentechnischen Züchtungsverfahren und deren Produkte seien quasi «natürlich» und daher von der EU-Gentechverordnung auszunehmen. Gleichzeitig stellen die beiden Multis unter ebendieser Verordnung Tausende von Patentanträgen auf genomeditierte Züchtungsverfahren und Pflanzen. Doch dieser Widerspruch wird von der konzernfreundlichen Politik wohlwollend übergangen.

Perfide Strategien der Konzerne

«Die Konzerne setzen Patente strategisch ein, um ihre Marktdominanz in der Landwirtschaft weiter auszubauen», sagt die Agrarwissenschaftlerin Eva Gelinsky, die den aktuellen Report mitverfasst hat. Dazu nutzen sie gezielt Schlupflöcher im Patentrecht aus. Obwohl es verboten ist, Pflanzensorten oder Merkmale, die aus der klassischen Züchtung stammen oder gar natürlicherweise vorkommen, zu patentieren, hat die EU solche Patente immer wieder bewilligt.

Viele der Patentanträge sind extrem breit gefasst, zum Beispiel sogenannte Product-by-Process-Patente. Corteva etwa hält ein Patent, das sich nicht nur auf das Verfahren bezieht, sondern Anspruch auf die Rechte am geistigen Eigentum sämtlicher Zellen, Samen und Pflanzen erhebt, in denen dieses Verfahren angewendet wird – egal ob in Weizen, Reis, Mais, Soja, Brokkoli oder Baumwolle.

Teil der perfiden Konzernstrategie: Die Unternehmen deklarieren nicht, ob und in welchen Pflanzensorten, deren Saatgut sie anbieten, Patente zum Einsatz gekommen sind. Auch Informationen über Inhalt und Umfang der Patente sind öffentlich kaum zugänglich. Damit kreieren sie eine grosse Rechtsunsicherheit. «Die Angst, womöglich gegen ein Patentrecht zu verstossen, hängt wie ein Damoklesschwert über kleinen Züchtern und Bäuerinnen», sagt Gelinsky. Monsanto hat zwischen 1997 und 2011 in den USA deswegen 144 Landwirt:innen verklagt. «Diese Abschreckung ist gewollt.»

Letztlich wird so die Idee hinter dem Recht auf geistiges Eigentum ins Gegenteil verkehrt. Statt Innovation zu fördern, stärkt die aggressive Patentpolitik von Agromultis wie Corteva und Bayer, die sich bereits auf Tausende von Pflanzensorten erstreckt, deren monopolähnliche Marktmacht. Gelinsky spricht von einer «Oligarchie grosser Konzerne, die weiterhin auf grossflächige Landwirtschaft setzt. Wer kommerziell mit neuen gentechnischen Verfahren und Pflanzen arbeiten will, kommt um Corteva nicht herum.»

Patentrecht durchsetzen

Für kleinere Züchterinnen, Landwirte und auch die unabhängige Forschung wird so der Zugang zu grundlegenden Ressourcen zunehmend schwierig. Ihnen stehen immer weniger Pflanzensorten zur Verfügung, mit denen sie arbeiten können. Zumal die Konzerne auch vor Biopiraterie nicht zurückschrecken und Gesetzeslücken nutzen, um sich in Ländern des Südens einheimische Pflanzen und das traditionelle Wissen um diese anzueignen, ohne die indigenen Gemeinschaften dafür zu entschädigen.

Um der Klimakrise zu begegnen und die Ernährung zu sichern, wäre indes das Gegenteil nötig: mehr genetische Diversität beim Saatgut und eine Vielzahl an unabhängigen Züchtern und Landwirtinnen, die damit in verschiedenen Anbausystemen arbeiten, um Kulturpflanzen zu finden, die auch unter extremen klimatischen Verhältnissen gedeihen.

Vor diesem Hintergrund ist für die Verfas­ser:innen des Reports klar: Der Patentpolitik von Corteva, Bayer und Co. muss ein Riegel geschoben werden. «Wir fordern, dass Schlupflöcher im europäischen Patentrecht im Bereich der Biotechnologie und Pflanzenzüchtung dringend geschlossen werden.» Vor allem die breiten Ansprüche, die mit Product-by-Process-Patenten verbunden sind, müssten wirksam eingeschränkt werden, fordert Gelinsky. «Und die Patentierungsverbote im Bereich der konventionellen Züchtung müssen endlich umgesetzt werden.»

Das EU-Parlament wird indes von seinem «Referat Wissenschaftliche Vorausschau» in einem Bericht vom Juli 2022 geradezu gedrängt, den Agrokonzernen den roten Teppich auszurollen. Bei künftigen Patentanmeldungen soll einfach darauf hingewiesen werden, dass bei genomeditierten Pflanzen, bei denen «der Eingriff auch auf natürliche Weise hätte erfolgen können», das Patent mit einer Methode erreicht wurde, die «im Wesentlichen nicht natürlich» sei.

Die EU-Richtlinien zum rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen gelten auch in der Schweiz. Wird das Patentrecht wie auch die Gentechnikverordnung in der EU und der Schweiz weiter aufgeweicht, sollte den Politiker:innen wenigstens eines klar sein: «Mehrwert» aus einer Deregulierung ziehen einzig die Agrokonzerne. Sie verdienen noch mehr an unserem täglichen Teller Pasta und setzen mit ihrer Strategie die künftige Ernährungssicherheit aufs Spiel.

Den erwähnten Report finden Sie hier: global2000.at (PDF-Datei)