Die Kolonialmacht, die nicht gehen will

Le Monde diplomatique –

Trotz der gescheiterten Barkhane-Operation will Frankreich im Sahel militärisch präsent bleiben

Französischer Mirage-Jet auf dem Flugplatz von Niamey, Niger, September 2021
Französischer Mirage-Jet auf dem Flugplatz von Niamey, Niger, September 2021 Foto: FRÉDÉRIC SPEICH/picture alliance/dpa

Offiziell ist die 2014 angelaufene französische Militärmission „Barkhane“ seit dem 9. November 2022 beendet. Vier Monate danach hat Frankreich zwar keine Soldatinnen und Soldaten mehr in Mali stationiert, doch in Niger und im Tschad halten sich immer noch fast 3000 auf. Auf die Sahelzone insgesamt gesehen sind das genauso viele wie vor acht Jahren.

Paris weigert sich, das Scheitern der Sahel-Mission einzuräumen.1 Und so geht der Krieg weiter: gegen einen diffusen Gegner, der pauschal als „terroristisch“ bezeichnet wird, unter unklaren rechtlichen Rahmenbedingungen und mit undurchsichtigen Methoden. Und ohne dass der Einsatz jemals im Parlament debattiert worden wäre.

Das Hauptquartier der Operation –  mit dem inoffiziellen Namen „Barkhane 2“ – befindet sich in der Hauptstadt von Niger. In Niamey starten auch die französischen Drohnen und Jagdflugzeuge, und hier ist auch das größte, 1200 Personen starke Truppenkontingent stationiert. Während die meisten Landfahrzeuge sukzessive nach Frankreich zurücktransportiert worden sind, bleibt die französische Luftwaffe vor Ort, um die Lage zu beobachten, aber auch zuzuschlagen.

Weitere Truppen sind auf französischen Militärbasen in Dakar (Senegal), in N’Djamena (Tschad) und in Abidjan (Elfenbeinküste) stationiert. Paris möchte zusätzlich sogenannte militärische Aufklärungsstützpunkte (Postes Militaires de Reconnaissance, PMR) an Orten einrichten, die je nach Bedrohungslage und verfolgter Strategie ausgewählt werden sollen. Französische Soldaten wurden auch schon in Tanguieta und Kandi in Nordbenin gesichtet, wo Dschihadisten in den letzten Jahren offensiv geworden sind. Offiziell gibt es diese Militärs nicht, inoffiziell handelt es sich um „Ausbilder“.

Die französische Regierung und der Generalstab behaupten, aus ihren Fehlern gelernt zu haben. Das Militär soll nicht mehr an vorderster Front agieren, um nicht als Besatzungsmacht wahrgenommen zu werden. Und Operationen sollen nicht mehr ohne Zustimmung der Behörden durchgeführt werden, wie es jahrelang in Mali der Fall war.

Im Rahmen der neuen Struktur will Frankreich, wie es ein Ministerialvertreter formuliert, „ausschließlich unterstützend“ und „so diskret wie möglich“ agieren. Paris bietet den Ländern eine auf ihre jeweiligen Bedürfnisse zugeschnittene Zusammenarbeit an, die von Ausbildungsinitiativen über operative Unterstützung am Boden und in der Luft bis hin zum Austausch von Geheimdienstinformationen reicht.

Die Regierung von Niger hat sich bereits für die All-inclusive-Variante entschieden, die auch den Kampfeinsatz von Bodentruppen und Luftschlägen vorsieht. Andere Länder sperren sich gegen Einsätze französischer Truppen auf ihrem Territorium, ohne allerdings die französische Präsenz generell infrage zu stellen. „Die Franzosen tun nur so, als würden sie abziehen, in Wirklichkeit bleiben sie“, meint ein westafrikanischer Wissenschaftler, der anonym bleiben möchte. „Militärbasen gibt es nach wie vor, und die militärische Zusammenarbeit geht weiter.“

Nach einer Quelle im Élysée-Palast ist auch nicht geplant, die Militärabkommen neu auszuhandeln, die Frankreich Ende der 2000er und Anfang der 2010er Jahre mit acht ehemaligen französischen Kolonien2 abgeschlossen hat. Die früheren, in der Ära der Dekolonialisierung unterzeichneten Verträge enthielten noch Geheimklauseln, die es der französischen Armee erlaubten, bei inneren Unruhen zu intervenieren. In den neuen Abkommen wurde dies grundsätzlich ausgeschlossen.

„Barkhane 2“ zeigt indes, dass diese Änderung nicht mehr war als ein Übertünchen alter Strukturen. Die französische Führung ist der Überzeugung, dass sie sich in einem globalen oder gar zivilisatorischen Konflikt engagiert. Für sie muss daher die Antwort auf die aktuelle Krise in den Sahelländern vor allem militärisch ausfallen.

Viele Lokalpolitiker, Abgeordnete und Minister, die in der Sahelzone politische Verantwortung tragen, sind jedoch anderer Meinung. Nach ihrer Auffassung ist es an der Zeit, für diese Konflikte eine politische Lösung zu finden, weshalb sie einen Dialog mit bestimmten Dschihadistengruppen eröffnen wollen.

Bevor sich die Militärs in Bamako und Ouagadougou an die Macht putschten, hatten die Regierungen von Mali, Burkina Faso und Niger unter strengster Geheimhaltung das Gespräch mit den Aufständischen gesucht. Das Ergebnis waren lokale Vereinbarungen in Zentralmali, die jedoch wenig brachten. 2018 und 2020 hatte die malische Regierung unter Präsident Boubacar Keïta außerdem Verhandlungen mit der Al-Qaida-nahen Dschihadistengruppe Dschamaat Nusrat al-Islam wal-Muslimin aufgenommen

In Burkina Faso hatte die Regierung vor der Präsidentschaftswahl 2020 einen temporären Waffenstillstand mit den Dschihadisten ausgehandelt, um eine korrekte Durchführung der Wahlen zu ermöglichen. Und in Niger verkündete Präsident Mohamed Bazoum im Februar 2022 die Aufnahme von Gesprächen mit den Dschihadisten. Ungeachtet all dieser Initiativen sieht die französische Regierung in diesen Gruppen weiterhin nichts als „Terroristen“ – womit sie jede Bemühung um einen Dialog faktisch erstickt.

Die Präsenz französischer Truppen im Rahmen von „Barkhane 2“ erinnert stark an das militärischen Engagement Frankreichs in der Zeit unmittelbar nach der Unabhängigkeit seiner ehemaligen Kolonien, die man dennoch weiter kontrollieren wollte. „Damals wollte man einerseits ein Netzwerk von Militärbasen aufrechterhalten, von denen aus Streitkräfte schnell intervenieren konnten; andererseits wollte man die professionelle Ausbildung der nationalen Armeen der jungen Satellitenstaaten organisieren.“3

Jetzt ist die französische Militärpräsenz, die in den 2000er Jahre vor allem aus Kostengründen infrage gestellt wurde, wieder in Mode gekommen. Mit Stützpunkten nicht nur in Dakar, N’Djamena, Abidjan und Niamey, sondern auch in Libreville (Gabun) und Dschibuti. Und im Überseedepartement Mayotte (vor der Küste von Mosambik) existiert eine ständige Basis, von der aus Militäreinsätze in Ostafrika und im Indischen Ozean durchgeführt werden können.

Diplomaten im Informationskrieg

Am 27. Februar kündigte Macron in einer Rede zur Afrikapolitik eine Reduzierung der auf dem Kontinent stationierten Truppen an. Genaue Zahlen oder gar einen Zeitplan nannte er allerdings nicht. Er sagte auch, Stützpunkte sollten „zum Teil in Akademien“ und zum Teil in „gemeinsame Stützpunkte“ umgewandelt werden; von Schließungen sprach er nicht.

Vor Ort wird die Präsenz der französischen Truppen allerdings immer stärker kritisiert. „Die Zeiten haben sich geändert. Man hat aber den Eindruck, dass die französische Führung das noch nicht verstanden hat“, meint der schon zitierte westafrikanische Wissenschaftler. „Die Leute lehnen es mittlerweile ab, wenn französische Offiziere im Rahmen der Zusammenarbeit die Uniform der Landesarmee tragen. Und sie sind nicht mehr bereit, eine ausländische Militärbasis auf ihrem Staatsgebiet zu akzeptieren.“

Das zeigte sich unlängst auch in Burkina Faso. Auf Druck der Junta von Ibrahim Traoré, die sich im September 2022 an die Macht geputscht hatte, musste Frankreich seine Spezialeinheit „Sabre“ (Säbel) bis Ende Februar abziehen. Die Präsenz der 250- bis 300-köpfigen Sondereinheit – in einem Militärlager nahe der burkinischen Hauptstadt – war lange Zeit Geheimsache.

Aber nur bis Januar 2013, als Präsident François Hollande dieser Einheit den Befehl zu einer Blitzintervention in Mali gab. Der Einsatz sollte angeblich dem Kampf gegen den Terrorismus dienen, dann aber verhalf dieselbe Truppe im Oktober 2014 dem burkinischen Staatschef Blaise Compaoré zur Flucht aus dem Land – womit er der Strafverfolgung entging.

Diese Episode ist nicht vergessen und bis heute fester Bestandteil der antifranzösischen Rhetorik. Mitunter nennt man die französischen Soldatinnen und Soldaten sogar „Komplizen der Terroristen“. Solchen Verschwörungstheorien zufolge unterstützt die ausländische Armee die Dschihadisten, um sich die Bodenschätze der Sahelländer unter den Nagel zu reißen.

In Burkina Faso wird diese Version von Alassane Sawadogo verbreitet. Der Koordinator der 2020 gegründeten „Front für die Verteidigung des Vaterlandes“, die den Abzug der französischen Truppen fordert, hält die Theorie für plausibel. „Wie ist es sonst zu erklären, dass die Franzosen es mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln nicht schafften, die Milizen zu schlagen?“

Diese These findet auch in Niger und Mali Gehör. Gleich zweimal, im August und im Oktober 2022, behauptete die malische Militärjunta vor den Vereinten Nationen, Frankreich liefere Waffen an die Dschihadisten. Beweise brachte sie keine vor.

Ali Idrissa, Aktivist der nigrischen Zivilgesellschaft und vehementer Kritiker der französischen Politik, hält nichts von diesen Anschuldigungen. Aber dass sie auf viel Resonanz stoßen, wundert ihn nicht: „Die Leute verstehen nicht, warum nach Jahren der Terrorismusbekämpfung durch eine der stärksten Armeen der Welt die Dschihadisten weiter auf dem Vormarsch sind. Daher lautet ihre Schlussfolgerung: Die ‚Barkhane‘-Streitmacht ist nicht hier, um ihnen zu helfen.“

Für die Regierungen der Sahelländer ist es womöglich bequemer, der Regierung in Paris ein doppeltes Spiel vorzuwerfen, als mit ihr eng zusammenzuarbeiten. Denn damit würden sie automatisch zugeben, dass die eigenen Armeen mit der Bekämpfung der Dschihadisten überfordert sind.

Nigers Präsident Bazoum und sein ivorischer Amtskollege Alassane Ouattara, die beiden wichtigsten Verbündeten Frankreichs in der Region, bewegen sich auf einem schmalen Grat. „Es ist eine riskante Strategie“, meint der zitierte Wissenschaftler, „nicht nur wegen des Drucks der Straße, sondern auch wegen der Militärführung. Einige Offiziere wollen sich aus der Bevormundung Frankreichs befreien und die Partnerschaften diversifizieren.“

Paradoxerweise riskiert Frankreich durch die demonstrative Fortsetzung dieses Krieges, dass seine Verbündeten geschwächt werden. „Es ist eine komplexe Gleichung“, erklärt ein Berater von Präsident Bazoum. Das Bündnis mit Frankreich sei sehr unbeliebt: „Die Fortschritte im Antiterrorkampf könnten zunichtegemacht werden, weil dieser Kampf eher Unruhe schürt und darunter die innere Stabilität leidet.“

Auch Benins Präsident Patrice Talon, der im Juli 2022 seinen Amtskollegen Emmanuel Macron empfing, bewegt sich auf unsicherem Grund: Einerseits schätzt er sichtlich die französische Militärunterstützung. Andererseits weiß er, dass das bei einem Teil der beninischen Bevölkerung schlecht ankommt.

Anstatt sich Gedanken über die Ursachen des gestiegenen Misstrauens zu machen, führen französische Spitzenpolitiker die „antifranzösische Stimmung“ lediglich auf die Moskauer Propaganda zurück – und propagieren damit selbst noch mehr Präsenz in Afrika.

Wie verblendet diese Wahrnehmung ist, hat Präsident Macron in seiner Rede vom 1. September 2022 vor seinen Botschaftern dokumentiert. Aus Sicht Macrons lautet eine Lektion, die man aus dem militärischen Engagement in der Sahelzone lernen könne, dass „unsere militärische Macht entscheidend ist“ und dass diese „eine Stärke Frankreichs“ sei. Zudem schwor Macron die Diplomaten auf einen „Informationskrieg“ ein, in dem Frankreich „eine Strategie der Einflussnahme und Ausstrahlung“ verfolgen müsse.

In diesem Sinne arbeitet die französische Regierung seit einigen Monaten daran, Kapazitäten für den Informationskampf in Afrika aufzubauen. Dazu hat man bereits eine Task Force im Außenministerium und einen Sonderstab im Verteidigungsministerium eingerichtet.4

Im Oktober 2022 sagte der französische Generalstabschef Thierry Burkhard vor Mitgliedern des Senats, nach „Barkhane“ müsse es darum gehen, „einen neuen Modus für unsere Präsenz in Afrika“ zu finden. Mit dem Ziel, „die Herzen und den Geist“ der Völker in der Sahelzone „zurückzuerobern“.

Solche Töne sind nicht neu. Ähnliche Ideen bestimmten die französische Militärstrategie schon während der kolonialen Eroberungskriege am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts.5 Während der Operation „Barkhane“ wurden sie vom Generalstab geradezu mantraartig wiederholt. Inzwischen wissen wir, mit welchem Erfolg.

1 Siehe Romain Mielcarek, „Frankreichs Rückzug aus Mali“, LMd, April 2022.

2 Es handelt sich um Kamerun, Togo, Gabun, Zentralafrikanische Republik, Komoren, Dschibuti, Elfenbeinküste und Senegal.

3 Thomas Borrel und Yanis Thomas, „L’Afrique francophone dans la nasse militaire française“, in: Thomas Borrel u. a. (Hg.), „L’Empire qui ne veut pas mourir. Une histoire de la Françafrique“, Paris (Seuil) 2021.

4 Siehe André-Michel Essoungou, „Anadolu in Mogadischu“, LMd, Dezember 2022.

5 Christian Olsson, „De la pacification coloniale aux opérations extérieures. Retour sur la généalogie,des cœurs et des esprits' dans la pensée militaire contemporaine“, Questions de recherche, Nr. 39, Centre d’études et de recherches internationales (Ceri), Paris, April 2012.

Aus dem Französischen von Markus Greiß

Rémi Carayol ist Autor von „Le Mirage sahélien. La France en guerre en Afrique. Serval, Barkhane et après?“, Paris (La Découverte, Sammlung „Questions contemporaines“) 2022.