Putsch im Niger: Der Sahel in der Schwebe

Nr. 31 –

Mit dem Staatsstreich im Niger verliert der Westen einen wichtigen Verbündeten. Nun droht die regionale Staatengemeinschaft mit einer Intervention. Meint sie es ernst?

Befürworter:innen des Militärputsches in Niamey
«Es lebe Russland»: Befürworter:innen des Militärputsches am vergangenen Donnerstag vor dem Parlamentsgebäude in der Hauptstadt Niamey. Foto: Balima Boureima, Getty

Als «Stabilitätsanker im Sahel» haben europäische Politiker:innen den Niger gern bezeichnet. Das Land ist reich an Bodenschätzen wie Uran, und es ist Transitland für Migrant:innen aus ganz Westafrika. Nach den erfolgreichen Putschen in den benachbarten Ländern Mali und Burkina Faso hatte der Niger – ein Staat mit 25 Millionen Einwohner:innen, 3,2 Millionen Binnenvertriebenen und einer Million Geflüchteten – immerhin noch eine gewählte Regierung. Die Wahl Mohamed Bazoums im Februar 2021 stellte sogar die erste demokratische Amtsübergabe seit der Unabhängigkeit von Frankreich im Jahr 1960 dar. Das Land hat eine lange Tradition der Staatsstreiche.

Letzte Woche kam der jüngste hinzu. Der eilig gegründete «Nationalrat zur Rettung des Vaterlands», zu dessen Präsident sich General Abdourahmane Tiani ernannt hat, setzte Bazoum ab. Die Begründung: Unter dessen Regierung habe sich die Sicherheitslage im Niger nicht verbessert. Vor allem in der südwestlichen Grenzregion Tillabéri sind Terrorgruppen mit Verbindungen zum Islamischen Staat sowie zu al-Kaida aktiv. Auch erlebe das Land eine Wirtschafts- und Sozialkrise.

Geputscht hat mit Tiani ausgerechnet einer, der dem Staatschef bisher nahegestanden ist. Seit 2011 kommandierte er die Präsidialgarde. Die Eliteeinheit soll den Präsidenten eigentlich vor Putschen schützen und hat deshalb besondere Privilegien. Nun wird im Niger spekuliert, dass Bazoum eine Umstrukturierung der Streitkräfte zuungunsten Tianis geplant haben könnte.

Unerwünschte Truppen

Verlässliche Meinungsumfragen gibt es zwar nicht, doch zumindest in der Bevölkerung der Hauptstadt Niamey scheint die Junta aktuell Rückhalt zu finden. Am Sonntag gab es Demonstrationen für das Militär und gegen die einstige Kolonialmacht Frankreich. Seit dem Ende der Antiterrormission «Barkhane», die Frankreich von 2014 bis 2021 in der Sahelzone anführte, hat das Land 1500 Soldat:innen im Niger stationiert. Ein weiterer wichtiger Partner für die nun abgesetzte Regierung waren die USA, die mit gut 1000 Soldat:innen im Land präsent sind.

Doch genau diese wachsende Präsenz ausländischer Streitkräfte hat in den vergangenen zwölf Monaten zunehmend zu Protesten geführt. Der Niger sollte zum neuen Zentrum der Terrorbekämpfung im Sahel werden, weil die westliche Zusammenarbeit mit der malischen Übergangsregierung unter Oberst Assimi Goïta, die mit der russischen Wagner-Miliz kooperiert, zunehmend kompliziert wurde. Während Bazoum einen engen Kontakt zu europäischen Partner:innen pflegte, rumorte es in der Bevölkerung. «Die Soldaten bringen uns nichts», sagt etwa Jean-Louis, ein Taxifahrer in Niamey, der nur unter seinem Vornamen zitiert werden möchte. «Weil die Sicherheit so schlecht war, konnte ich mein eigenes Dorf sechs Monate lang nicht besuchen.»

Dem Staat gelingt es schon lange nicht mehr, überall sein Gewaltmonopol durchzusetzen. «Der Niger ist keine stabile Demokratie, wie man es sich aus westlicher Sicht gewünscht hätte», sagt Philipp Goldberg vom Regionalbüro der SPD-nahen deutschen Friedrich-Ebert-Stiftung in Dakar.

Hoher Poker

Seit dem Putsch äussern sich viele Menschen bloss noch sehr vorsichtig. Am Montag hat die Junta betont, dass das 2020 erlassene Gesetz gegen Internetkriminalität weiterhin in Kraft sei. Menschenrechtsorganisationen und Journalist:innen kritisierten dieses als Massnahme zur Einschränkung der Meinungsfreiheit. Ebenfalls am Montag liessen die neuen Machthaber mehrere Minister verhaften, darunter Erdölminister Sani Issoufou, den Sohn des früheren Präsidenten Mahamadou Issoufou. Mit dessen Einsetzung hatte Präsident Bazoum viele verärgert.

In Alarmbereitschaft ist derzeit vor allem die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (Ecowas). Bei einem Sondergipfel am Sonntag verhängte sie ein einwöchiges Ultimatum: Lenkten die Putschisten nicht ein, drohe eine militärische Intervention. Bazoum galt für die schwächelnde Regionalorganisation als wichtige Stütze, weil er sich bei den jüngsten Putschen in der Region stets eindeutig positionierte. Für die Glaubwürdigkeit der Organisation sei die Situation derzeit kritischer denn je, sagt Professorin Liisa Laakso vom Nordischen Afrikainstitut im schwedischen Uppsala. Und die Lage spitzt sich weiter zu: Mittlerweile haben die Militärregierungen Malis und Burkina Fasos angekündigt, eine militärische Intervention im Niger als Kriegserklärung aufzufassen.

Vor allem das südlich an den Niger grenzende Nigeria – Präsident Bola Tinubu hat im Juli den Ecowas-Vorsitz übernommen – hat Interesse an einer Wiedereinsetzung Bazoums. Die Beispiele Mali und Burkina Faso haben bislang gezeigt, dass auch Militärregierungen nicht in der Lage sind, Terrorgruppen effektiver zu bekämpfen. Stattdessen kritisieren NGOs Menschenrechtsverletzungen vonseiten der Militärs. Ob die Ecowas nach Ablauf des Ultimatums tatsächlich Ernst macht und wie zuletzt 2017 in Gambia Truppen entsendet, bleibt derzeit Spekulation. Es stelle sich die Frage, ob überhaupt die Kapazitäten und der Wille für ein Eingreifen vorhanden seien, so Liisa Laakso. Die Organisation pokert jedenfalls hoch.