Frankreich in Westafrika: Mission gescheitert

Nr. 6 –

Der einstigen Kolonialmacht schlägt in Westafrika derzeit viel Missmut entgegen. Nun müssen Frankreichs Truppen Burkina Faso verlassen – ein Jahr nach dem Bruch mit Mali, wo die Militärjunta auf russische Söldner setzt.

Anhänger des Juntachefs Ibrahim Traoré an einer Demonstration im Oktober in Ouagadougou, der Hauptstadt von Burkina Faso
Mit der Flagge Russlands: Anhänger des Juntachefs Ibrahim Traoré an einer Demonstration im Oktober in Ouagadougou, der Hauptstadt von Burkina Faso. Foto: Issouf Sanogo, Keystone

Die Aufnahmen, die der internationale Sender TV5 Monde Ende Januar ausstrahlte, sind eindrücklich. Zu sehen sind mehrere Tausend Menschen auf der Place de la Nation in Ouagadougou, der Hauptstadt Burkina Fasos. Sie strecken ihre Hände in die Höhe, rufen, pfeifen. Manche halten Plakate hoch: «Nein zu Frankreich und seinen Verbündeten», ist auf diesen zu lesen, oder: «Haut ab!» Andere schwenken Fahnen: des eigenen Landes, aber auch jene Russlands.

Es ist der 28. Januar. Wenige Tage zuvor hatte Frankreich bekannt gegeben, dass es seine in Burkina Faso stationierten Truppen bis Ende Februar abziehen werde. Rund 400 Spezialkräfte der «Force Sabre» waren seit über zehn Jahren vor Ort, als Teil des französischen Militärengagements gegen dschihadistische Gruppen – in einer Region, die heute zu den instabilsten und gefährlichsten der Welt zählt. Dass sie nun das Land verlassen, erfolgt auf Wunsch der burkinischen Militärjunta, die sich Ende September an die Macht geputscht hat. Sie hatte die ehemalige Kolonialmacht Mitte Januar offiziell zum Abzug aufgefordert.

Zehn Jahre Destabilisierung

In Frankreich löste die Entscheidung offensichtlich Beunruhigung aus. Zu überraschen schien sie hingegen kaum. Denn sie ist Teil einer Tendenz, die seit geraumer Zeit an Fahrt aufnimmt: Die ehemalige Kolonialmacht stösst in Westafrika zunehmend auf Ablehnung, bisweilen auf offene Feindseligkeit. Zur Freude Russlands, das davon zu profitieren hofft.

Besonders deutlich zeigte sich das im Februar 2022 in Burkina Fasos Nachbarland Mali. Nachdem sich das Verhältnis zwischen Frankreich und der Militärjunta, die dort im Mai 2021 die Macht übernommen hatte, zunehmend verschlechtert hatte, holte diese Söldner der kremlnahen Sicherheitsfirma Wagner ins Land. Die französischen Truppen sahen keine andere Option als den Abzug. Im August hatten alle der zuletzt 2500 in Mali stationierten Soldat:innen das Land verlassen. Heute ist die Beziehung zwischen den beiden Ländern auf dem Nullpunkt.

Burkina Faso ist nun bereits der zweite Sahelstaat, der militärisch mit Frankreich bricht. Um zu verstehen, wie es dazu gekommen ist, lohnt sich ein Blick zurück ins Jahr 2013, in eine Zeit, als Frankreich in der Region noch als Retter gefeiert wurde.

Frankreich lancierte seinen Militäreinsatz in der Region, nachdem Tuaregrebellen und Dschihadisten im Norden Malis innerhalb kurzer Zeit mehrere Städte und Dörfer erobert hatten. In Gao und Timbuktu gelang es französischen und malischen Truppen gemeinsam, die Dschihadisten zu vertreiben und ihren Vormarsch auf die Hauptstadt Bamako zu stoppen. «Wir haben diesen Krieg gewonnen», verkündete der damalige französische Präsident François Hollande in Bamako vor einer jubelnden Menge. Tatsächlich gewonnen war der Krieg aber noch lange nicht. Die französischen Truppen blieben und weiteten ihren Einsatz – der zeitweise über 5000 Soldat:innen umfasste – auf die Nachbarländer Niger, Tschad und Burkina Faso aus. Unterdessen erfassten die dschihadistischen Angriffe zunehmend auch die Nachbarstaaten. Mit ihnen breiteten sich kriminelle Banden sowie teils gewaltsame Konflikte zwischen einzelnen Bevölkerungsgruppen aus, was die Dschihadisten zu instrumentalisieren wussten.

Zwar konnten französische Soldat:innen mehrere hochrangige Dschihadistenführer töten, doch wurden diese rasch ersetzt. Zu einer Verbesserung der Sicherheitslage konnte die Militärmission nicht beitragen – genauso wenig wie die Uno-Mission Minusma oder eine europäische Trainingsmission, die seit 2013 in Mali zugegen waren. Die Gewalt nahm weiter zu. Laut der Uno hat sich die Zahl der intern Vertriebenen in Mali, Burkina Faso und dem Niger zwischen 2013 und 2021 verzehnfacht, von 217 000 auf 2,1 Millionen Menschen. Auch die Zahl der Todesopfer stieg zwischen 2015 und 2021 um mehr als das Zehnfache.

Die Gründe sind komplex und vielfältig. Der senegalesische Sahelexperte Bakary Sambe vom Thinktank Timbuktu Institute kritisiert aber insbesondere den engen Fokus der internationalen Partner auf den Antiterrorkampf: «Sowohl die Länder der Region als auch ihre Partner setzen gegen die Dschihadisten vor allem auf klassische Kriegsführung. Dabei haben sie es heute mit einem Aufstand der eigenen Bevölkerung zu tun.» Die schwache bis inexistente Präsenz staatlicher Institutionen in den Grenzgebieten sowie gewaltsame Übergriffe, derer sich lokale Sicherheitskräfte schuldig machten, erleichterten den Dschihadisten die Rekrutierung in der lokalen Bevölkerung. Für jene, die sie bekämpften, wurden sie dadurch umso schwerer fassbar.

Gegen die Kolonialmacht

Frankreich habe nie versprochen, die Region komplett von Dschihadisten zu befreien, sagt der Konfliktexperte Yvan Guichaoua von der University of Kent in Brüssel. Der Plan habe vielmehr darin bestanden, die bewaffneten Gruppen zu destabilisieren, bis ihnen die Streitkräfte der jeweiligen Sahelstaaten gewachsen sein würden.

Doch auch das misslang. In der Bevölkerung führte die Zunahme der Gewalt zu Unverständnis und grosser Enttäuschung gegenüber dem militärisch mächtigen Verbündeten. Versuche Frankreichs, die Rückkehr des malischen Zentralstaats auf das gesamte Staatsgebiet zu fördern – und so den Zulauf zu den dschihadistischen Gruppen einzudämmen –, seien ebenfalls nach hinten losgegangen, sagt Guichaoua. «Denn weder Frankreich noch die Uno oder die EU sind in der Lage, anstelle der Sahelstaaten zu entscheiden, wie die Präsenz des Staates auszusehen hat.» Hinzu kommt ein ohnehin belastetes Verhältnis der Sahelstaaten zur einstigen Kolonialmacht, die Westafrika noch lange nach deren Unabhängigkeit als eigenen Hinterhof betrachtete. Und die weiterhin ihre wirtschaftlichen und geopolitischen Eigeninteressen verfolgte, wo sie welche hatte.

«Die neue Generation in der Region hat keine Verbindung mehr zur kolonialen Vergangenheit, sie will einen Bruch mit den politischen Eliten, die in einem Abhängigkeitsverhältnis zu Frankreich standen», sagt Bakary Sambe auch im Hinblick auf die Putsche, die in Mali und Burkina Faso die Militärs an die Macht brachten. Hinter der Distanzierung zu Frankreich sieht er in erster Linie den Willen der Bevölkerung, die eigene Souveränität zu untermauern. Ähnlich beurteilt die Lage Rinaldo Depagne, stellvertretender Regionaldirektor für Afrika der International Crisis Group. In Burkina Faso stehe hinter dem jüngsten Entschluss der Junta das Kalkül, ihren Rückhalt in der Bevölkerung zu stärken. Besonders unter jenen, die – verzweifelt über die sich ständig verschlechternde Sicherheitslage – in Frankreichs Afrikapolitik und in jener des Westens generell einen Sündenbock gefunden hätten.

Wie gross dieser Teil der Bevölkerung ist, lässt sich nur schwer schätzen. Fest steht, dass russische Akteure, allen voran die Gruppe Wagner, ein starkes Interesse daran haben dürften, dass er wächst. In den sozialen Netzwerken zirkulieren massenhaft Verschwörungstheorien und prorussische Propagandanachrichten, die die antifranzösische Stimmung in den Sahelstaaten weiter befeuern sollen. Erst kürzlich wurden zwei Videos publiziert, in denen französische Soldaten einmal als Ratten dargestellt wurden, die der lokalen Bevölkerung die Vorräte wegfressen – und einmal als Zombies, gegen die sich ein malischer Soldat nur mithilfe eines Wagner-Söldners verteidigen kann.

Die Wirklichkeit sieht anders aus: In Mali hat sich die Sicherheit der Bevölkerung durch die Präsenz der etwa tausend russischen Söldner, die mittlerweile im Land sein sollen, nicht verbessert – ganz im Gegenteil: Selbst in der Nähe der Hauptstadt kommt es nun zu Angriffen von Dschihadisten. Gegenüber NGOs berichten Zeug:innen von Massakern an der Zivilbevölkerung unter Beteiligung der Gruppe Wagner. Von der Uno eingesetzte Menschenrechtsexpert:innen sprechen von alarmierenden Berichten über «furchtbare Hinrichtungen, Massengräber, Folter, Vergewaltigungen und sexuelle Gewalt, Plünderungen, willkürliche Verhaftungen und Verschwindenlassen» und verlangen eine unabhängige Untersuchung. Forderungen, die der malische Aussenminister Abdoulaye Diop wie auch sein russischer Amtskollege Sergei Lawrow, der diese Woche in Mali zu Besuch war, als «neokolonial» bezeichneten.

Was bringt die neue Doktrin?

Zeichnet sich in Burkina Faso nun ein ähnliches Szenario ab? Der Experte Rinaldo Depagne warnt vor voreiligen Schlüssen. Zwar hat das Land in den vergangenen Monaten die Kontakte zu Russland intensiviert. Bisher gebe es aber keinerlei Belege dafür, dass Leute von der Gruppe Wagner vor Ort seien. Der neue Machthaber Ibrahim Traoré dementierte kürzlich derartige Gerüchte und erklärte auch, die diplomatische Beziehung zu Frankreich fortsetzen zu wollen. Vorerst scheint sich die Junta darauf zu konzentrieren, die Dschihadisten, die heute beinahe die Hälfte des Staatsgebiets kontrollieren, mit eigenen Kräften zurückzudrängen. Dazu will sie zur Unterstützung der nationalen Sicherheitskräfte auch 50 000 Zivilist:innen mit Waffen ausstatten. Auf der Suche nach Waffenlieferanten sehe sie Russland als möglichen Partner, sagt Depagne.

Sowohl er wie auch Bakary Sambe und Yvan Guichaoua stufen das Vorhaben als höchst problematisch ein. «Diese Militarisierung der Gesellschaft wird wohl auch die Spannungen zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen verschärfen», sagt Guichaoua. «Das ist extrem gefährlich.»

Bei der Frage, ob sich die russische Einflussnahme in der Region weiter fortsetzen könnte, schreibt er dem Sahelstaat Niger eine Schlüsselrolle zu. Dieser blieb bisher von einem Militärputsch verschont. Seit dem Abzug aus Mali ist dort ein grosser Teil der rund 3000 in der Sahelzone verbleibenden französischen Soldat:innen stationiert. Diese versuchten nun vor allem, eine weitere Destabilisierung der übrigen Partnerländer zu verhindern, sagt Guichaoua. Gemäss neuer Doktrin wollten sie aber nur mehr auf Beschluss der nationalen Armeen handeln. «Sie haben die Lehren aus den Erfahrungen in Mali und Burkina Faso gezogen», so Guichaoua. Antifranzösische Demonstrationen gibt es zwar auch im Niger – bisher aber nur in überschaubarem Ausmass.