Ein Traum der Welt: Tod am Wasserfall

Nr. 15 –

Annette Hug schreibt Fanfiction

Jetzt, da der Film «Tár» mit Cate Blanchett in der Hauptrolle schon länger im Kino läuft, kann endlich der Schluss zur Sprache kommen. Eine Stardirigentin, die weisser nicht sein könnte, hat jahrelang ihre Geliebten und die Berliner Philharmoniker:innen manipuliert. Eine #MeToo-Geschichte irgendwie umgekehrt, aber auch ganz folgerichtig. Im Fokus steht ein hierarchischer, von Geniekult durchdrungener Betrieb. Der ist international. Während im Hauptteil des Films ab und zu ein Flug von Berlin nach New York ansteht, geht die letzte Reise nach Asien, in ein nicht benanntes Hinterland.

Die Auftraggeber, die Tár in den USA anheuern, sprechen Tagalog. Auch das Englisch des Kanufahrers, der sie zu einem tropischen Wasserfall bringt, deutet auf die Philippinen hin. Die dunklen Strassen einer Provinzstadt könnten wohl auch in Thailand liegen. Mit einem Orchester probt sie in einem billigen Schuppen. Schon ist sie in einem Hotel, dessen Rezeptionist mit chinesischem Akzent spricht. Das erste Konzert findet dann in einem umgebauten Kino statt. Von Lichteffekten unterstützt, spielt das Orchester an «Star Wars» gemahnende Filmmusik, das Publikum ist opulent verkleidet. Im Abspann lesen wir vom «Monster Hunter Orchestra», die Namen der Musiker:innen sind thailändisch.

Wenn das Publikum in Zürich am Ende von «Tár» lacht, dann zeigt das wohl zwei Dinge: Die Dirigentin Tár ist im tiefsten Keller des Musikbetriebs gelandet. Auf einer Distinktionsskala des Soziologen Pierre Bourdieu weit unter null. Weil sie sich als Monster entpuppt hat, ist man schadenfroh. Aber sie ist doch auch Cate Blanchett, und ich zumindest war erleichtert, dass sie nicht stirbt. Die Kulisse, in der sie überlebt, steht in interessantem Kontrast zur sterilen Welt des Berliner Lofts. Und damit das nicht beim Scherz auf Kosten einer diffusen südostasiatischen Provinz bleibt, wünsche ich mir eine Fortsetzung.

In «Tár II» zeigen die thailändischen Musiker:innen ihr wahres Gesicht: Sie sind die Siam Sinfonietta, ein Jugendorchester, das in der Oper von Bangkok spielt und nur zum Spass an Cosplay-Festivals auftritt. Genregrenzen sind für beknackte Europäer:innen. Somtow Papinian Sucharitkul weiss das seit Kindertagen, als ihn seine Mutter mit Alfred Hitchcocks Film «Psycho» ruhigstellte. Die Story nahm ihn gefangen, aber mehr noch die Filmmusik. So wurde er klassischer Komponist, schrieb aber auch Horror- und Science-Fiction-Romane.

In «Tár II» wird er langsam senil und merkt nicht, dass sein Jugendorchester unterwandert wird. Die Tourneen nach Taiwan, Manila, Guangdong, Schanghai und Rangun dienen der Vernetzung und amourösen Verbandelungen. Im Moment, da die ersten chinesischen Bomben auf Taipei fallen, gehen ausgerechnet in Bangkok wieder Student:innen auf die Strasse, fast zeitgleich in Manila und – was die ganze Welt überrascht – im festlandchinesischen Guangdong. Überall tragen die Demonstrant:innen irre Masken und Kostüme. Cate Blanchett spielt eine Nebenrolle, aber im entscheidenden Moment sorgt sie dafür, dass der opportunistische Somtow Sucharitkul durch einen Wasserfall ins ewige Nichts verschwindet. Zur Filmmusik von «Thelma and Louise» marschiert sie den Monster Hunters voran auf chinesische Polizisten zu. Ob sie das überlebt, erfahren wir in «Tár III».

Annette Hug ist Autorin in Zürich und denkt, das Leben des amerikanisch-thailändischen Komponisten und Science-Fiction-Autors Somtow Papinian Sucharitkul alias S. P. Somtow ist so verrückt, dass man das gar nicht erfinden kann.