Nahostkonflikt: Der Weg zum Frieden

Nr. 20 –

Nach der letzten Gewalteskalation zwischen Israel und dem Islamischen Dschihad im Gazastreifen scheint die Waffenruhe zu halten. Doch wie geht es nun weiter?

Die Gefechte zwischen Israel und militanten Organisationen im Gazastreifen – sie haben kaum noch Nachrichtenwert. Dass sie stattfinden, scheint fast selbstverständlich, als gäbe es zu den Raketen und Bomben keine Alternative.

Die Bilanz der fünftägigen Eskalation von vergangener Woche: 1200 Raketen aus dem Gazastreifen auf israelisches Gebiet, die zwei Menschen töteten – eine Israelin und einen palästinensischen Arbeiter aus Gaza. Israel tötete mit seinen Bombardierungen im Gazastreifen achtzehn Kommandanten und einfache Mitglieder des Islamischen Dschihad, ausserdem mindestens zehn Zivilist:innen, darunter auch Kinder. Trotz des grossen Leids in der Zivilbevölkerung verkaufen beide Seiten die letzten Tage als Erfolg. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die nächste Eskalation folgt.

Die israelische Regierung sagt, sie habe keinen Partner für den Frieden. Die Wirksamkeit einer «Militäroperation» misst das Militär in der Regel daran, wie lange es bis zum nächsten Raketenbeschuss dauert. Je länger der Zeitraum, desto effektiver die Operation.

Die Hudna als Ausweg

«Die israelische Führung glaubt, sie könne jedes Mal exakt das Gleiche tun und trotzdem ein anderes Ergebnis erzielen», sagt Yonatan Mendel, Experte für den israelisch-palästinensischen Konflikt an der Ben-Gurion-Universität in Beer Sheva. Sie glaube, die militanten Gruppen im Gazastreifen auf diese Weise irgendwann in die Knie zwingen oder eine Beendigung des Raketenbeschusses herbeiführen zu können. Mendel ist überzeugt, dass es keine militärische Lösung für ein Problem geben kann, das politischer Natur ist. Die Hälfte der zwei Millionen Palästinenser:innen im Gazastreifen kamen nach 2007 zur Welt und kennen deshalb nur den Zustand der Belagerung. Die wenigsten von ihnen konnten den extrem dicht besiedelten Küstenstreifen jemals verlassen.

Mendel glaubt, dass es nur einen Weg aus der Gewaltspirale gebe: Israel müsse verhandeln – mit der Palästinensischen Autonomiebehörde im Westjordanland genauso wie mit dem politischen Flügel der Hamas, die den Gazastreifen regiert.

In den Ohren vieler Israelis klingt Mendels Forderung befremdlich. Mendel negiert den Extremismus der Hamas nicht, doch er erinnert daran, dass die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) vor den Oslo-Friedensabkommen Anfang der neunziger Jahre von Israel ebenfalls als terroristische Vereinigung betrachtet worden war – bis sie im Lauf der Verhandlungen aus israelischer Perspektive zum legitimen Verhandlungspartner wurde.

Mendel sagt, dass das islamische Konzept der Hudna für Verhandlungen mit der religiös-militanten Hamas helfen könnte. Obwohl dieses einige Veränderungen erfahren habe, bedeute es im Kern einen längerfristigen Waffenstillstand auf religiöser Basis, der zu einem Friedensschluss führen könne.

Israels Friedensabkommen mit Ägypten 1979 beispielsweise basierte auf einer vergleichbaren religiösen Genehmigung: Der damalige ägyptische Staatspräsident, Anwar as-Sadat, befürchtete, keinen Friedensvertrag abschliessen zu können, ohne von der eigenen Bevölkerung angefeindet zu werden. Das religiöse Establishment schlug eine auf einer Hudna begründete Genehmigung für Verhandlungen zwischen Israel und Ägypten vor. Im März 1979 schüttelten sich Israels Regierungschef Menachem Begin und Sadat in Washington die Hand.

Derzeit scheinen solche Verhandlungen unwahrscheinlich. Allerdings hat sich die Hamas nicht an den letzten Kampfhandlungen beteiligt, was einen gewissen Pragmatismus signalisiert. Anders als der Islamische Dschihad hat die Hamas als Regierungsmacht im Gazastreifen einiges zu verlieren. Derzeit haben 16 000 dort lebende Palästinenser:innen die Erlaubnis, in Israel zu arbeiten; feuert die Hamas Raketen ab, werden diese Genehmigungen für gewöhnlich eingeschränkt. Die Bedeutung für den wirtschaftlich schwer angeschlagenen und belagerten Küstenstreifen ist kaum zu überschätzen. Die Hamas könnte allerdings auch die Taktik verfolgen, sich im Gazastreifen ruhig zu verhalten, um den Druck auf Israel vom Westjordanland aus zu erhöhen – etwa indem sie dort zu Terroranschlägen aufruft.

Netanjahu unter Druck

Auf israelischer Seite ist ebenso wenig Friedenswillen zu spüren – nicht erst seit die neue, extrem rechte Regierung im Amt ist, doch seither ganz besonders. Viele regierungskritische Israelis glauben, dass Premierminister Benjamin Netanjahu mit der Eskalation von seinen innenpolitischen Problemen ablenken will. Tatsächlich gab es vergangenen Samstag erstmals seit Wochen keine Massenproteste gegen die Justizreform, sondern nur vereinzelte, kleine Demonstrationen.

Kritiker:innen der Regierung vermuten, dass auch Druck aus der Regierungskoalition zu Netanjahus Entscheidung beigetragen haben könnte, Kommandanten des Islamischen Dschihad gezielt zu töten. Der rechtsextreme Minister für Nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, hatte kritisiert, dass die Reaktion auf vorherige Raketenangriffe zu lasch ausgefallen sei, und deshalb die Parlamentssitzungen boykottiert. Nach Israels gezielten Tötungen der Kommandanten des Islamischen Dschihad beendete er seinen Boykott.

Zwar scheint der seit Samstag geltende Waffenstillstand vorerst zu halten, doch die Situation bleibt angespannt. Am Montag jährte sich die als «Nakba» (Katastrophe) bezeichnete Flucht und Vertreibung Hunderttausender Palästinenser:innen im Zuge der Gründung Israels zum 75. Mal. Einen Tag nach Erscheinen dieser WOZ feiert Israel mit dem «Jerusalem-Tag» die Eroberung Ostjerusalems im Sechstagekrieg 1967. Üblicherweise ziehen an diesem Tag Tausende rechtsnationalistische Jüd:innen mit Israelfahnen durch die Jerusalemer Altstadt – oft auch durch das muslimische Viertel – und provozieren unter anderem mit rassistischen Parolen wie «Tod den Arabern».

Vor Beginn der letzten Gewaltspirale hatte die Hamas eine Warnung ausgesprochen: Die Organisation werde nicht zulassen, dass Israel Jerusalem «judaisiert». Vor zwei Jahren hatte der Flaggenmarsch durch die Jerusalemer Altstadt den elftägigen Krieg zwischen Israel und der Hamas ausgelöst.

Ein Frieden scheint also in weiter Ferne. Die politische Führung auf beiden Seiten ist der Überzeugung, dass das Land ihnen allein gehört. Trotzdem zweifelt Yonatan Mendel nicht daran, dass Israel die Hand ausstrecken muss. Israel könne auf der palästinensischen Seite Partner:innen für Friedensverhandlungen finden. Dafür müsse es jedoch die Bereitschaft zeigen, sich ernsthaft und konsequent mit den Kernfragen des Konflikts auseinanderzusetzen, insbesondere mit der Belagerung des Gazastreifens, der über fünfzigjährigen Besetzung des Westjordanlands sowie der Verdrängung der dort lebenden Palästinenser:innen. Ein «Weiter wie bisher», sagt Mendel, sei keine Option.