Sachbuch: Beinhart und unwiderstehlich

Nr. 24 –

Buchcover von «Wir müssen reden. Ein biografisches Manifest»
Islam Alijaj & Christine Loriol: «Wir müssen reden. Ein biografisches Manifest». Mit Texten von Christoph Keller und einem Vorwort von Pascale Bruderer. Limmat Verlag. Zürich 2023. 224 Seiten. 29 Franken.

Spätestens seit die Uno-Behindertenrechtskommission 2014 der Schweiz einen äusserst schlechten Umgang mit der Inklusion attestierte, erhebt sich hierzulande eine neue Welle des Behindertenaktivismus. Dieses Jahr steht das Thema, unter anderem dank der ersten Behindertensession sowie der Inklusionsinitiative, endgültig im Mittelpunkt des öffentlichen Diskurses. Damit mehren sich auch die Forderungen von Menschen mit Behinderungen nach mehr Entscheidungskraft bei Themen, die sie selbst betreffen.

«Nicht über uns, ohne uns», schreibt auch Islam Alijaj in seinem biografischen Manifest «Wir müssen reden». Der SP-Politiker mit Zerebralparese ist Gemeinderat in Zürich sowie Initiator der Inklusionsinitiative und möchte das Behindertenwesen grundlegend umkrempeln (siehe WOZ Nr. 13/23). Der 36-jährige Secondo, der im Buch von einem Wegbegleiter auch mal als «Stephen Hawking aus Albisrieden» bezeichnet wird, zeigt sich gleichzeitig als beinharter Aktivist und unwiderstehlicher Charmeur; als ungeduldiger «Ellbögler» und kompromissloser Visionär – ganz nach seinem Vorbild Steve Jobs. Alijaj verwebt in den ersten vier Kapiteln des Buches seine stets sorgfältig ausgewählten Parolen und Standpunkte gekonnt mit seiner Lebensgeschichte, von der Geburt im Kosovo über seine Jugend in der Sonderschule bis zu seinem Aufstieg zum Sprachrohr für die Inklusion.

Im zweiten Teil bietet Koautorin Christine Loriol Momentaufnahmen rund um seine politische Arbeit und Gespräche mit Eltern, Geschwistern und Weggefährt:innen, die das Phänomen Islam Alijaj zu erklären versuchen. Das Buch liest sich als spannender, aber auch etwas unstrukturierter Balanceakt zwischen politischem Aktivismus und biografischer Spurensuche: oft gelungen, teilweise zu wiederholend in seinen Themen und Zitaten. Vor allem im zweiten Teil gerät der Blick hinter die Fassade eines Ausnahmepolitikers etwas in den Hintergrund – bis im vorletzten Kapitel mit einem Gespräch zwischen Alijaj und dem Schriftsteller Christoph Keller wieder eine gewisse Intimität entsteht.