Sophie Passmann: Ich sprech jetzt mal für alle
«Pick Me Girls» von Sophie Passmann ist ein Bestseller. Ob das Buch so feministisch ist, wie die Autorin glaubt, steht aber auf einem anderen Blatt.
Sophie Passmann ist in Deutschland eine der prominentesten Vertreter:innen ihrer Generation: Man müsste sich schon unter einem Stein verkriechen, um nichts von ihrem Wirken mitzubekommen, schrieb die FAZ kürzlich treffend. Die 29-Jährige begann als Poetry-Slammerin, arbeitete dann beim Radio, als Kolumnistin sowie Buchautorin und gab 2022 ihr Schauspieldebüt. Heute hat sie Hunderttausende Follower:innen auf Instagram und Tiktok, schreibt für «Die Zeit» und moderiert mehrere Podcasts. Ihre zugespitzten und schnoddrigen Texte führen immer wieder zu hitzigen Debatten auf Social Media und darüber hinaus.
All die geteilte Scham
Kürzlich hat Passmann mit «Pick Me Girls» ihr fünftes Buch veröffentlicht. Und auch wenn sie im Vorwort betont, dass dieses ursprünglich bloss keine Autobiografie werden sollte, erzählt sie darin ausschweifend und beinahe ausschliesslich aus ihrem Leben. Wie sie vom Mädchen zur Frau wurde und sich plötzlich für ihre schiere Existenz zu schämen begann. Wie das Internet der nuller Jahre eine von Erwachsenen komplett unkontrollierte Spielwiese für Teenager war und sie innert kürzester Zeit in die Essstörung begleitete. Kurz: eine Coming-of-Age-Story samt haufenweise Identifikationsmaterial für Millennials. Dass die Autorin einen an all der Scham in ihrem Leben teilhaben lässt, hat etwas Heilendes, da Scham als geteiltes Erlebnis ihre destruktive Kraft verliert.
Leider aber beliess Passmann es nicht dabei. Stattdessen arbeitet sie sich an einem weiblichen Stereotyp aus den Tiefen des Internets ab, nämlich den titelgebenden Pick-me-Girls. Gemeint sind Frauen, die sich von als typisch weiblich wahrgenommenen Eigenschaften abgrenzen, aber nicht aus intrinsischen Motiven, sondern um Männern zu gefallen. Pick-me-Girls geben sich emotional unkompliziert, schminken sich nicht oder fahren Skateboard, um anders als andere Frauen zu erscheinen. Indirekt werten sie damit stereotype Weiblichkeit ab.
Das Pick-me-Girl sei eine schwammige Identität, schreibt Passmann am Anfang, um dann in den letzten zwei Abschnitten jedes Kapitels einen Bogen zum übergeordneten Thema zu schlagen, der selbst beliebig oder gar widersprüchlich wirkt. Beispielsweise bezeichnet auch sie sich als Pick-me-Girl, und zwar nicht, weil sie beim Umzug ihre Lampen selbst aufhängen würde – was ja dem Vermeiden des weiblichen Stereotyps entspräche –, sondern weil sie sich im Gegenteil gerade dabei helfen lässt. «Pick-me-Girl» ist bei Passmann erst eine Zuschreibung von aussen, dann wieder Selbstbezeichnung und Lebenshaltung oder Masche zur Manipulation männlicher Partner – und soll schliesslich für das Dilemma aller Frauen im Patriarchat stehen.
Trotz dieser analytischen Unschärfe stösst «Pick Me Girls» auf grosse Resonanz; das Buch steht auf Platz drei der «Spiegel»-Bestsellerliste. Das liegt wohl an Passmanns Ton: Sie haut den Leser:innen in unterkühlter Sachlichkeit Ungeheuerlichkeiten um die Ohren, ohne diese angemessen zu kontextualisieren. So heisst es im Buch etwa provokativ: «Ich weiss, dass ich heute besser aussehe als mit Anfang zwanzig. Ich weiss das, weil ich heute oft sexuell belästigt werde.» Das Argument zum Zitat lautet, dass sexuelle Belästigung im Patriarchat eine Art Währung sei. Die Abwesenheit dieser Form von «Aufmerksamkeit» sei demnach kein Zeichen von Wertschätzung, sondern deute darauf hin, dass man als weibliches Objekt nicht mal interessant genug sei, um Übergriffe zu erleben.
Diese schmerzhafte Erkenntnis könnte wertvoll sein, Passmann geht aber nicht auf deren hochproblematische Implikationen ein, sondern belässt es bei der internettauglichen Punchline. Stattdessen könnte man ja auch die Frage aufwerfen, wie gegen solch strukturelle Gewalt im Patriarchat anzukämpfen wäre.
Was ist mit anderen Realitäten?
Ausserdem polarisiert das Buch, weil Passmann sich zwar als Feministin deklariert, aber keinerlei Bezug auf feministische Debatten nimmt. Ihr Zugang ist rein individualistisch, wenn nicht gar egozentrisch – und «Pick Me Girls» damit die Erzählung einer Einzelerfahrung, die einen universellen Anspruch erhebt, dabei aber konsequent andere Lebensrealitäten ausser Acht lässt. Bezeichnend ist Passmanns Behauptung, Frauen seien langweilig und hätten keine Hobbys, weil sie sich bei Männern anbiedern wollten und sich gar nicht richtig überlegen würden, was sie selbst gerne tun würden. Dass aber vielleicht viele Frauen neben Erwerbs- und Care-Arbeit schlicht keine Zeit für ein Hobby haben könnten, kommt ihr nicht in den Sinn.
In den Feuilletons hiess es, dass Passmann mit «Pick Me Girls» wohl auf einen Shitstorm wegen eines Interviews aus dem Jahr 2022 reagieren wollte, wobei die Episode im Buch nicht explizit erwähnt wird. Am meisten Aufruhr verursachte damals ihre Aussage, dass auch Erfahrungen von Frauen of Color nicht einfach generalisiert und einzelne Repräsentantinnen dieser Community nicht ohne Weiteres zum Sprachrohr erklärt werden könnten. Falls sie mit «Pick Me Girls» der Kritik, die ihr damals entgegenschlug, begegnen wollte, entbehrt dies nicht einer gewissen Ironie: Schliesslich stilisiert sie nun ihre eigene privilegierte Erfahrung zur allgemeinen Repräsentation von Weiblichkeit.