Hitzesommer: Täglich fallen die Rekorde, und viele schauen weg

Nr. 31 –

Die dramatischen Folgen der Erderhitzung zeigen sich rund um den Globus. Doch Öl-, Kohle- und Gasindustrie sowie viele Regierungen wollen weiter neue fossile Vorkommen erschliessen. Sie nehmen damit ein Massensterben in Kauf.

Wer sich in diesen Tagen über die Klimaveränderung informiert, braucht starke Nerven. Der Zustand der Welt ist katastrophal, wie vor wenigen Tagen Uno-Generalsekretär António Guterres sagte: «Für grosse Teile Nordamerikas, Asiens, Afrikas und Europas ist es ein grausamer Sommer. Für den gesamten Planeten ist es ein Desaster.»

Am Montag ist der global heisseste Monat seit Messbeginn zu Ende gegangen – und alle wissen, das ist erst der Anfang. Die Erderhitzung geht weiter. Neue Rekorde werden unweigerlich wieder gebrochen. Je höher die Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre, desto grösser die Wahrscheinlichkeit für einen nächsten Rekordmonat.

Es ist verständlich, dass viele es vorziehen, die entsprechend negativen Nachrichten dazu gar nicht erst zu lesen, und die Situation lieber verdrängen. Doch das Wegschauen ist Teil des Problems und verhindert eine Veränderung. Es ist nötig, den Zustand der Erde zu kennen. Es geht inzwischen um nicht weniger als die Verhinderung eines Massensterbens – vorab der besonders verletzlichen und ärmeren Bevölkerung.

Explosionsartige Brände

Dieses Jahr ist nicht erst seit dem Juni geprägt von Hitzewellen. Bereits im Frühling litten die Menschen in Thailand, Myanmar, Laos, Vietnam und China unter rekordhohen Temperaturen. Danach fielen die früheren Rekorde in den USA, in Japan, Südeuropa und Nordafrika, und inzwischen ist es in Irak und Iran bis zu 50 Grad heiss. Mit ein Grund ist das Wetterphänomen El Niño, das alle paar Jahre auftritt und die menschengemachte Erderhitzung temporär verstärkt. Doch laut der World Weather Attribution – einem Zusammenschluss von Wissenschaftler:innen, die extreme Wetterereignisse untersuchen – ist klar: Ohne menschengemachte Klimaveränderung wären die derzeitigen Hitzewellen nicht möglich.

Derzeit beträgt die Erderwärmung 1,3 Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit. Steige sie auf 2 Grad, schreibt die Weltorganisation für Meteorologie der Uno, werde die Menschheit Hitzewellen wie dieses Jahr alle zwei bis fünf Jahre erleben. Trotz der Absichtserklärung der Staatengemeinschaft, die Erderwärmung bei deutlich unter 2 Grad zu stabilisieren, steuert die Welt auf rund 2,7 Grad bis im Jahr 2100 zu.

Besonders stark gestiegen ist auch die Erhitzung der Ozeane. Deren durchschnittliche Temperatur zwischen dem 60. nördlichen und 60. südlichen Breitengrad ist seit dem Februar auf Rekordniveau. Die Entwicklung liegt noch knapp innerhalb der Prognosen der Klimawissenschaft. Die Erwärmung des nördlichen Atlantiks übertreffe die Modelle knapp, schreibt der US-Klimawissenschaftler Zeke Hausfather. An den Küsten Floridas beträgt die Wassertemperatur inzwischen 32 Grad, an bestimmten Stellen auch schon 38 Grad. Die Korallen bleichen derzeit aus und sterben ab. Laut der «New York Times» geschieht dies auch an den Küsten der Bahamas, von Belize, Kolumbien, Costa Rica, Kuba, El Salvador, Mexiko und Panama. Korallenriffe machen nur ein Prozent der Ökosysteme in den Ozeanen aus, doch hängt ein Viertel des Meereslebens direkt und indirekt von ihnen ab. Zudem schützen sie die Küsten vor Stürmen.

Ebenfalls heftig sind die Waldbrände, die in Südeuropa und Nordafrika, aber vor allem auch in Kanada wüten. Dort sind immer noch rund 650 Brände ausser Kontrolle. Elf Millionen Hektaren sind laut den kanadischen Behörden seit dem Winter bereits abgebrannt, eine Fläche etwa so gross wie Kuba. Allein im Juni haben die Brände doppelt so viel Treibhausgase ausgestossen wie die Schweiz in einem Jahr. Waldbrände habe es schon immer gegeben, ist viel zu hören. Und tatsächlich ist die abgebrannte Fläche aufgrund besserer Feuerbekämpfung gar zurückgegangen. Doch mit der Klimaveränderung treffe das Feuer oft auf extrem trockene Wälder und könne sich dann explosionsartig ausbreiten, sagte der Umweltwissenschaftler Paige Fischer dem US-Radiosender National Public Radio. Während die Feuerwehrkapazitäten linear anstiegen, habe das Feuer ein exponentielles Wachstum. Die derzeitigen Feuer in Kanada seien «beispiellos». Die Feuerwehr kann nur dort eingreifen, wo Siedlungen und Infrastruktureinrichtungen bedroht sind.

Auch Starkregen und Stürme haben als Folge der Erderhitzung zugenommen. Aufnahmen von Strassen, auf denen Wassermassen Autos wegspülen, sind in diesen Monaten immer wieder zu sehen. Vor wenigen Tagen auch aus der chinesischen Hauptstadt Peking, als der Taifun Doksuri vergangenen Freitag in China auf Land traf. Zuvor hatte er über den Philippinen und Taiwan gewütet.

Fehlendes Eis

Weniger augenfällig ist zudem ein Phänomen, das Klimawissenschaftler:innen besonders beunruhigt: Die Ausdehnung des Eises rund um den Südpol ist seit Monaten so gering wie noch nie, seit darüber Buch geführt wird. «‹Beispiellos› sagt schon viel aus, aber es beschreibt nicht, wie schockierend das ist», sagte Will Hobbs, Experte für Ozeaneis der Universität von Tasmanien, dem «Guardian». Derzeit fehlten im Jahresvergleich über zwei Millionen Quadratkilometer Eis, eine Fläche grösser als Mexiko. Je weniger Eis es gibt, desto weniger Sonnenlicht kann es reflektieren – und desto stärker wird der Ozean erwärmt. Ausserdem fehlt das schützende Meereis, das den Eisschild auf dem Land davon abhält, ins Meer zu rutschen und so dessen Anstieg zu beschleunigen.

Ebenfalls für Besorgnis hat vergangene Woche eine neue Studie der Universität Kopenhagen gesorgt, die in der Zeitschrift «Nature Communications» veröffentlicht wurde: Demnach bestehe eine Wahrscheinlichkeit von 95 Prozent, dass zwischen 2025 und 2095 die Nordatlantische Umwälzbewegung, zu der der Golfstrom gehört, aufgrund der Erderhitzung zusammenbricht. Das wäre einer jener Kipppunkte, die selber wieder heftige Klimaveränderungen rund um den Globus auslösen würden: weniger Regen über Europa und Nordamerika, Abkühlung der Britischen Inseln und Skandinaviens, ein Pegelanstieg des Nordatlantiks von bis zu einem Meter, mehr Stürme im Winter über Europa, noch mehr Hitze in den Tropen und eine markante Veränderung des Monsuns über Indien und Afrika.

Die Ergebnisse widersprechen allerdings den Erkenntnissen eines Weltklimaberichts der Uno von 2019. Dieser sieht das Erreichen des Kipppunkts in diesem Jahrhundert als sehr unwahrscheinlich an. Stefan Rahmstorf, Professor für die Physik der Ozeane am Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung, hält es denn auch «nach wie vor für höchst ungewiss», wann dieser Kipppunkt erreicht wird. Doch würden die Anzeichen zunehmend darauf hindeuten, «dass das Risiko in diesem Jahrhundert bei weit über zehn Prozent liegt». Es müsse alles unternommen werden, um den desaströsen Zusammenbruch der Meeresströmungen zu verhindern.

Glühende Megacitys

Die Erderhitzung trifft besonders die Länder des Südens stark, die oft nur einen sehr geringen Anteil am Treibhausgasausstoss haben. Dürren und Überschwemmungen vernichten Ernten, führen zu Hunger und verstärken die Verschuldung vieler Länder. Hitzewellen treffen besonders jene, die sich keine Klimaanlage leisten können, Menschen, die im Freien arbeiten, oder Obdachlose. Allein Mexiko etwa geht von 349 Hitzetoten innerhalb der letzten vier Monate aus, die meisten davon starben an Hitzeschlägen sowie an Dehydration.

Wie viele Opfer Hitzewellen tatsächlich fordern, zeigt sich erst später, wenn Statistiken ausgewertet werden. Denn viele erliegen der Hitze, ohne dass sogleich ein direkter Zusammenhang ersichtlich würde. Es ist ein stiller Tod, meist älterer Menschen, die etwa an Herz- und Lungenproblemen sterben. Eine Studie des Barcelona Institute for Global Health hat kürzlich ermittelt, dass vergangenes Jahr allein in Europa über 61 000 Menschen als Folge der damaligen Hitzewelle gestorben sind. Die Wissenschaftler:innen kamen zu dieser Erkenntnis, indem sie die Mortalitätsrate mit der Lufttemperatur abglichen. Laut einer Studie der Universität Bern starben im selben Zeitraum in der Schweiz 623 Personen wegen der Hitze. Davon seien 370 Tode direkt auf die menschengemachte Erderwärmung zurückzuführen. Besonders stark betroffen seien dabei ältere Frauen in den urbanen Zentren.

Mit «Hitzeaktionsplänen», also Sensibilisierungskampagnen und Verhaltensempfehlungen, lasse sich ein Teil der hitzebedingten Todesfälle verhindern, schreiben die Autor:innen der Studie. Möglicherweise kann man so in den klimatisch gemässigteren Zonen für mehrere Jahrzehnte das Schlimmste abwenden. Doch wie sollen die Bewohner:innen der Megacitys des Südens überleben, wo es jetzt schon tagsüber während Wochen 40 Grad und heisser ist und es nachts nicht unter 30 Grad wird? Es sei in diesen Städten mit dramatischen Todesraten unter den ärmeren und älteren Bevölkerungsschichten zu rechnen, prognostiziert eine Studie des Climate Hazards Center der Universität Kalifornien in Santa Barbara.

Die Lösung wäre bekannt

Eigentlich gibt es einen ganz eindeutigen, logischen Weg, mit den Horrormeldungen umzugehen: Die Treibhausgasemissionen müssen möglichst schnell sinken. Das heisst: Das Verbrennen von Kohle, Öl und Gas muss aufhören. Doch tatsächlich sind die Treibhausgasemissionen auch letztes Jahr erneut angestiegen. China hat 2022 den Bau so vieler neuer Kohlekraftwerke beschlossen wie seit Jahren nicht mehr. Am Montag hat der britische Premierminister Rishi Sunak angekündigt, dass sein Land über hundert neue Lizenzen für Öl- und Gasbohrungen in der Nordsee vergeben werde. US-Präsident Joe Biden hat im März seine Zustimmung zu einem acht Milliarden Dollar teuren neuen Ölförderprojekt in Alaska erteilt. Im Juni hat er zudem den Weg frei gemacht für den Weiterbau der umstrittenen Mountain Valley Pipeline durch die Appalachen. In der EU gilt derweil seit einiger Zeit Erdgas als «nachhaltige Energie». Deutschland hat in den letzten Monaten mehrere Terminals für den Import von Flüssiggas gebaut und plant, die Kapazitäten nochmals stark zu erhöhen.

Auch wenn es auf den ersten Blick verständlich scheint, dass angesichts der vielen Horrormeldungen und der Ignoranz in der Politik viele wegschauen oder resignieren – das ist keine Lösung. Es ist immer noch möglich, die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens zu erreichen. Die nötigen Technologien sind vorhanden. Doch es gelingt nur, wenn der Druck auf die Regierungen verstärkt wird. Sie müssen den Klimanotstand ausrufen und per Notverordnungen Sofortmassnahmen beschliessen, wie sie das in der Covid-Pandemie getan haben. Weitermachen wie bisher bedeutet, wissentlich ein Massensterben in Kauf zu nehmen.

Die fossilen Konzerne und Grossemittenten wie etwa Fluggesellschaften und Zementunternehmen sind zu drastischen Reduktionsschritten zu zwingen. Es braucht noch mehr Klagen wie jene der Klimaseniorinnen gegen den Bundesrat, die derzeit vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte hängig ist. Und es braucht wieder mehr Druck von der Strasse und mehr zivilen Widerstand. Verdrängung und Resignation sind nur kontraproduktiv.