Klimaaktivismus auf Rügen: Eine Insel kämpft gegen LNG

Nr. 39 –

Klimaaktivist:innen und lokale Gruppierungen wehren sich auf der ostdeutschen Insel Rügen gegen ein geplantes Flüssiggasterminal. Dabei muss sich der Protest gegenüber Vereinnahmungsversuchen von rechts schützen.

Ende-Gelände-Aktivist:innen besetzen Rohrstücke für das geplante Gasterminal am 23. September
Auch Schweden und Dänemark erheben Einspruch: Ende-Gelände-Aktivist:innen am 23. September auf Rohrstücken für das geplante Gasterminal. Foto: SPM-Gruppe, Keystone

Als sich der Protestzug endlich in Bewegung setzt, drückt die Sonne in Rügen doch noch kurz durch. Vor den Demonstrationsteilnehmer:innen liegt das Meer, doch ans Baden denkt heute niemand, es ist viel zu kalt. Rund 700 Menschen sind vergangenen Samstag auf der ostdeutschen Insel zusammengekommen, um gegen das LNG-Terminal zu protestieren.

LNG, das steht für «liquefied natural gas», also Flüssiggas; der Begriff ist seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine in aller Munde. Der deutschen Bundesregierung gelten die drei Buchstaben als Zauberformel, um einem möglichen Energieversorgungsengpass zuvorzukommen. Noch immer wird das Gespenst der Mangellage heraufbeschworen, um den Bau des LNG-Terminals im Hafen von Mukran zu rechtfertigen. Nicht nur Klimaaktivist:innen zweifeln an dieser Notwendigkeit. Auch ein letzte Woche veröffentlichtes Gutachten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung kommt zum Schluss, dass kein Sachzwang bestehe. Stattdessen mahnen die Gutachter:innen die Regierung an die Einhaltung der Klimaziele.

AfD an der Demo nicht erwünscht

Als die Bevölkerung vor Ort von den Plänen des LNG-Terminals erfuhr, war sie weniger besorgt um die Klimaziele als um die Natur und den Tourismus auf ihrer Insel. Die Inselbewohner:innen formierten umgehend den Widerstand. Doch von Anfang an bestand die Gefahr, dass dieser von rechts vereinnahmt würde. Die rechtsextreme AfD ist auf der Insel sehr präsent, und auch im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern liegt die Partei in Umfragen zurzeit bei über dreissig Prozent. «Es wurde viel über die Thematik gesprochen, und Strategien wurden entwickelt, wie rechte Narrative vom Protest ferngehalten werden können», erzählt Klaus Bauer*, der an der Demonstration Flyer gegen die AfD verteilt.

An der Demonstration, die von der Bürger:inneninitiative Lebenswertes Rügen zusammen mit dem Bündnis Ende Gelände organisiert wird, werden mögliche AfD-Sympathisant:innen über Lautsprecher dazu aufgefordert, den Protestzug zu verlassen. Das Weltbild der AfD, das sexistisch und rassistisch sei, habe an der Demo nichts verloren.

Als die Demonstration durch die Strassen von Sassnitz in Richtung Hafen zieht, ist von einem Riss in der Bewegung zunächst wenig zu spüren. Die Stimmung ist entspannt, Menschen winken dem Protestzug vom Fenster und vom Strassenrand her zu. Erst ausserhalb des Orts wird die Stimmung bedrohlicher. Menschen kreuzen am Strassenrand ihre Arme oder geben mit Handbewegungen zu verstehen, dass der Protestzug hier unerwünscht ist. Besonders am Bündnis Ende Gelände, zu erkennen an den weissen Maleranzügen, nehmen Leute Anstoss. «Man erzählt sich, dass sie auf die Insel gekommen sind, um alle zu enteignen», berichtet eine Frau aus dem Demonstrationszug. Und eine andere Frau sagt: «Das hier, das ist nicht meine Bewegung. Die haben den Protest gekapert», und richtet ihren Finger auf Aktivist:innen von Ende Gelände. Besonders mit Sprüchen wie «Refugees Welcome» könne sie nichts anfangen.

Blockade auf der Baustelle

Viele Inselbewohner:innen verstehen sich als Verlierer:innen der Wende. Der Tourismus auf der Insel läuft zwar gut, die lokale Bevölkerung sieht jedoch wenig vom Geld: Die Hotels und Wohnungen auf der Insel gehören allesamt Investor:innen aus Westdeutschland. Sinnbildlich für den Niedergang nach der Wende steht auch der Hafen von Mukran. Rügens ehemaliges Tor zur Welt, ein Vorzeigeprojekt der DDR, scheint in einen Dornröschenschlaf gefallen zu sein. Wo einstmals bis zu 100 000 Waggons jährlich verladen wurden, stehen heute die Züge auf dem Abstellgleis. Daneben liegen Stahlrohre für den Pipelinebau.

Auf diese haben es die Aktivist:innen von Ende Gelände abgesehen. Als die Demonstration den Hafen passiert, scheren mehrere Hundert Leute aus und versuchen, sich Zugang zu den Stahlrohren zu verschaffen. Einige von ihnen klettern über einen Zaun, nachdem es ihnen gelungen ist, die Polizeikette zu überwinden. Dann setzen sie sich auf die Rohre – die Arbeiten auf der Baustelle müssen vorübergehend eingestellt werden.

Das LNG-Terminal sei ein fragiles Projekt, sagt Bauer. Verschiedene Faktoren bestimmten, wann und ob überhaupt Flüssiggas über Mukran fliessen würde. Tatsächlich sind diverse Einsprüche und Klagen gegen das Bauprojekt hängig. In einem Bürger:innenbegehren mit über 60 000 Unterschriften wird eine Abstimmung der Bevölkerung zum Projekt gefordert.

Inzwischen erheben auch Schweden und Dänemark Einspruch. Denn laut einer internationalen Konvention müssen Nachbarstaaten beim Bau von Infrastrukturprojekten in der Ostsee an einer grenzüberschreitenden Umweltverträglichkeitsprüfung beteiligt werden. Das ist nicht geschehen.

«Und dann kann es immer noch sein, dass das Terminal in Betrieb geht, ihm aber nach zwei, drei Jahren Laufzeit die Lizenz entzogen wird, weil sich herausstellt, dass es sich nicht mit den deutschen Umweltzielen verträgt», spekuliert Klaus Bauer. «Dann würde das LNG-Terminal zu einer weiteren Infrastrukturleiche verkommen.» Von denen gebe es an der Ostsee ja bereits genug.

* Name geändert.