Barrierefreie Mobilität: Schon wieder ein Hindernis!
Bis Ende Jahr muss der öffentliche Verkehr hindernisfrei zugänglich sein. So hat es die Schweiz vor zwanzig Jahren ins Gesetz geschrieben. Viele Verkehrsbetriebe haben aber die Anpassung verschlafen. Drei Menschen berichten von ihrem Alltag voller Hürden.

Ganz gemein ist es am Bahnhof Zug. Eine Bekannte berichtet davon, die mit einem Elektrorollstuhl unterwegs ist. Sie hatte einen Termin in der Stadt Zug. In der SBB-App hiess es, der Bahnhof sei barrierefrei. Doch als sie aussteigen wollte, öffnete sich vor ihr ein fast unüberwindlicher Abgrund. Die Waggons stehen an diesem Bahnhof in einer Kurve und neigen sich. Deshalb ist der Ausstieg erhöht und von der Kante entfernt. Man muss runtersteigen und eine Spalte von geschätzt fünfzig Zentimetern überwinden. Sie, die agile Rollstuhlfahrerin, holte etwas Anlauf und überwand die Spalte mit Schuss. Andere, die nicht so wagemutig und erfahren seien, könnten das nicht, sagt sie. Was tut man dann? «Dann verpasst man den Termin, fährt weiter bis zum nächsten Bahnhof, den man mit dem Rollstuhl ebenerdig verlassen kann, und schaut, ob man irgendwie sein Ziel doch noch erreicht», sagt sie und lacht.
Rund zwanzig Prozent der Menschen in der Schweiz leben mit irgendeiner Form der Beeinträchtigung. Irgendwann gehören fast alle zu dieser Gruppe: Spätestens wenn man alt und gebrechlich ist, ist man darauf angewiesen, dass der öffentliche Verkehr barrierefrei funktioniert. Bis Ende Jahr sollte das Realität sein. So steht es im Behindertengesetz, das am 1. Januar 2004 in Kraft trat. Darin wurde festgehalten, dass die Verkehrsbetriebe zwanzig Jahre Zeit haben sollten, ihren Betrieb barrierefrei zu gestalten. Vor einem halben Jahr hat der Bundesrat nun Bilanz gezogen. In seinem Bericht «Zugänglichkeit für Menschen mit einer Behinderung zum öffentlichen Verkehr» listet er detailliert auf, wie weit die Schweiz ist. Das Ergebnis ist ernüchternd: Von den schweizweit 1800 Bahnstationen werden 541 Ende Jahr nicht barrierefrei sein. «Gegenüber dem letzten Standbericht hat sich die Zahl der Bahnhöfe, die verspätet umgebaut werden, nochmals deutlich erhöht», schreibt der Bundesrat in seinem Bericht. Allerdings können heute 82 Prozent aller Zugreisenden von «behindertengerechten Umbauten» profitieren, vor zwei Jahren waren es erst 73 Prozent. Vor allem im Bahnbereich hat sich in den letzten vier, fünf Jahren doch einiges bewegt. Ein Grossteil des Rollmaterials hat Niederflureinstiege. Grössere Defizite gibt es noch im grenzüberschreitenden Verkehr.