Landwirtschaft: «Dieses System hatte nie das Wohl der Bauern im Sinn»

Nr. 4 –

Die Proteste der Bäuer:innen seien berechtigt, sagt die Agrarbiologin und Gentechnikkritikerin Angelika Hilbeck. Doch diese hätten auch eine Mitverantwortung für die heutige Situation. Eine andere Landwirtschaft gebe es bereits.

WOZ: Angelika Hilbeck, haben Sie Verständnis für die Bauernproteste in Deutschland?

Angelika Hilbeck: Ich habe selbst oft im Januar in Berlin gegen die Agrarpolitik protestiert – an der jährlichen «Wir haben es satt»-Demo. Da waren vor neun Jahren auch einmal 50 000 Leute auf der Strasse, darunter mehrere Tausend Bauern. Es waren aber jene Bauern, die eine ökologische Agrarwende wollen. Darüber wurde viel weniger berichtet als über die heutigen Proteste.

Verstehen Sie auch die konventionellen Bauern und Bäuerinnen, die jetzt demonstrieren?

Zum Teil sicher. Aber viele müssen sich auch selbst an der Nase nehmen – und die Verantwortung für die Misere mit übernehmen. Sie haben jahrzehntelang den falschen Leuten geglaubt, die Industrialisierung der Landwirtschaft mitgetragen und auf jene herabgeschaut, die schon früh gesagt haben: «Das nimmt kein gutes Ende, das ist nicht in eurem Interesse. Ihr werdet nie reich werden. Reich werden immer nur diejenigen, die von euch leben: die Chemie- und die Maschinenindustrie, die Verarbeiter und Verteiler.»

Angelika Hilbeck

Nach einer Ausbildung zur Gärtnerin studierte Angelika Hilbeck (64) Agrarbiologie im deutschen Hohenheim und doktorierte in den USA. Ab 2005 leitete sie die Forschungsgruppe Umweltbiosicherheit und Agrarökologie an der ETH Zürich, im Dezember 2023 wurde sie pensioniert.

Seit langem äussert sich Hilbeck kritisch über Gentechnik. Letztes Jahr verfasste sie zusammen mit dem kalifornischen Ökologen Ignacio Chapela ein Paper, das die Entwicklung – und die grossen Versprechen – der Agro-Gentechnik seit den Anfängen vor fünfzig Jahren beschreibt und zu einem vernichtenden Fazit kommt.

 

Portraitfoto von Angelika Hilbeck
Foto: Alessandro Della Bella

Der Staat hat die Industrialisierung vorangetrieben.

Ja – und jetzt übernimmt er keinen Funken Verantwortung dafür. In den Niederlanden protestieren die Bauern ja schon länger. Dort haben sie mit die intensivste Tierproduktion Europas und ertränken ihre Landschaft in Gülle. Dass das zu massiver Überdüngung, Gewässerverschmutzung und hohen Nitratwerten führt, weiss man schon seit einem halben Jahrhundert. Aber der Staat hat gesagt: «Das ist gut so. Vergrössere deinen Stall, erhöhe die Tierzahlen, hau die Gülle raus auf die Äcker. Für Intensivierung bekommst du Geld.»

Diese Zeiten sind hoffentlich vorbei.

Heute sind wir am Punkt angekommen, wo die Konsequenzen dieser Art von Landwirtschaft nicht mehr zu leugnen sind. Und jetzt kommen die Politiker und sagen, die Tierzahlen müssten halbiert oder Betriebe stillgelegt werden. Dass die Bauern da wütend werden und auf die Strasse gehen, verstehe ich gut. Aber es wäre trotzdem nötig, dass sie einmal hinterfragen, worauf sie sich eingelassen haben. Dieses System hatte nie das Wohl der Bauern im Sinn. Sie wurden von ihren eigenen Verbänden und Beratern an der Nase herumgeführt. Leider sehe ich diese Analyse noch kaum.

Die Anforderungen von Staat und Industrie sind ja auch extrem widersprüchlich: Die Landwirtschaft soll immer effizienter und gleichzeitig auch noch ökologisch werden.

Ja, mit Gentechnik und Digitalisierung! Davon erhofft man sich die Rettung der Welt. Am Ende stehen GPS-gesteuerte autonome Fahrzeuge. Eine Landwirtschaft ohne Menschen. Warum realisiert die Bauernschaft nicht, dass Bayer-Monsanto, John Deere und Co. nicht ihre Freunde sind? Die wollen an ihnen verdienen.

Gentechnik kritisieren Sie schon lange. Wie stehen Sie zur Digitalisierung?

Die grossen Agrokonzerne waren ursprünglich Chemiefirmen, die ihr Geschäft auf Pflanzenzüchtung und Saatgut ausgeweitet haben, nun kommt noch IT dazu. Schon vor fünfzehn Jahren ging Monsanto im Silicon Valley auf Shoppingtour und begann, IT-Start-ups aufzukaufen. Das Ziel ist es, ein patentiertes Gesamtpaket anzubieten: Saatgut, Gentechnik, Pestizide und digitale Tools, alles aufeinander abgestimmt. Die Monopolisierung geht mit der Digitalisierung also noch einen Schritt weiter.

In einem Paper zur Digitalisierung schreiben Sie aber, dass diese für die Agrarökologie auch positiv sein könnte.

Ja. Anders als bei der Gentechnik kann ich mir auch positive Anwendungen vorstellen. Entscheidend ist dabei, dass die Anwender in den Designprozess einbezogen werden. Dass die Bauern also sagen können, was ihnen bei der Entwicklung ökologischer Anbausysteme helfen würde, und diese Tools sie dabei unterstützen. Heute läuft es meist umgekehrt: Die Landwirtschaft wird zum Tool, um der Technik zu ihrer maximalen Profitentfaltung zu verhelfen. Da geht es nicht um biodiverse Systeme, sondern darum, möglichst effizient 10 000 Hektaren Soja zu managen und teure patentierte Managementpakete zu verkaufen, die den Bauern immer weniger Spielraum lassen.

Aber die Digitalisierung dient doch auch in einem agrarökologischen System der Rationalisierung.

Sie kann einfach eine Arbeitserleichterung sein. Ich finde es wichtig, zwischen Mechanisierung und Industrialisierung zu unterscheiden. Dass bestimmte Arbeitsabläufe mechanisiert werden – damit man zum Beispiel nicht mehr alles von Hand jäten muss –, ist völlig in Ordnung. Aber es braucht eine Form von technischer Unterstützung, die es erlaubt, eine biodiverse Polykultur nach ökologischen Prinzipien anzubauen. Man soll nicht das Agrarsystem umbauen müssen, um den technischen Anforderungen der Maschine zu dienen. Das ist der Punkt. Wir haben die Felder eingeebnet, die Flüsse begradigt, um die Landschaft der Technik anzupassen. Wir sollten die Technik den Anbausystemen anpassen.

Die EU-Kommission hat letzten Sommer Vorschläge zum Umgang mit der sogenannten neuen Gentechnik präsentiert – mit Techniken wie dem sogenannten Genome Editing. Wie stehen Sie dazu?

Es droht die totale Deregulierung. Wenn die Vorschläge so durchkommen, wird Europa laxer sein als die USA: kein Monitoring, kein seriöses Zulassungsverfahren, keine Kennzeichnung der Lebensmittel, die mit diesen Verfahren entstanden sind, und anders als in den USA keine Möglichkeit, im Schadensfall Sammelklagen einzureichen. Schon bei der klassischen Gentechnik sind die Sicherheitsabklärungen minimal. Bei der sogenannten neuen Gentechnik gäbe es schlicht keine mehr. Wobei ich den Begriff «neue Gentechnik» nicht ernst nehmen kann: Die meisten dieser Techniken stammen aus dem letzten Jahrtausend. Und Crispr/Cas, die sogenannte Genschere, wurde auch schon 2012 lanciert. Dem Vorschlag der EU-Kommission ist anzusehen, dass er aus der Ecke der Gentechlobby stammt.

Woran sehen Sie das?

Das ist ein Text, der von Leuten geschrieben wurde, die wissen, was sie wollen und was in ihren Labors machbar ist. Sprich von Leuten aus dem angewandten Biotechbereich. Die Kommission hat gar keine Expertise dafür.

Glauben Sie, dass der Vorschlag so durchkommt?

Hoffentlich nicht. Aber vielleicht in abgeschwächter Form. Ich hätte erwartet, dass sich zumindest die deutschen Grünen klar dagegen positionieren. Das ist aber leider nicht passiert. Es gibt zwar noch die kritischen Kämpen in der Partei, aber die Grünen, die jetzt in der Regierungsverantwortung sind, scheinen nicht wirklich ein Problem mit Gentechnik zu haben.

In den letzten fünf Jahren – seit die Klimabewegung gross geworden ist – wird auch das Versprechen, dass Technik die Welt retten könne, wieder populärer.

Das ist ja auch eine schöne, hoffnungsvolle Erzählung. Natürlich ist es verlockend zu glauben, dass wir dank Technik unseren vertrauten Lebensstil weiterführen können, ohne etwas Wesentliches zu ändern. Aber gerade bei der Gentechnik wird das Versprechen immer absurder. Die Branche hat ja schon vor über dreissig Jahren behauptet, dass sie klimaresistente Wunderpflanzen entwickeln, die Welt ernähren und die Biodiversität retten werde. Nichts davon ist eingetroffen.

Gibt es Entwicklungen, die Ihnen Hoffnung machen?

Die Agrarökologie macht mir grosse Hoffnung. Wir müssen die Ernährungssysteme von Grund auf transformieren, nicht nur Symptome bekämpfen. Dafür brauchen wir einen Schulterschluss zwischen konventionellen und Ökobauern. Wenn diese gemeinsam daran arbeiten, ihre Lebensgrundlage nicht mehr zu zerstören, sondern eine wirklich nachhaltige Landwirtschaft aufzubauen, dann müssen wir nicht bei null anfangen. Es gibt jede Menge wunderbare Anbausysteme, die über Jahrhunderte getestet wurden und funktionieren. Das ist die gute Nachricht.

Sie wollen also zurück in die Vergangenheit?

Unfug. Es geht nicht darum, dass wir in die Steinzeit zurückmüssen. Wer das behauptet, macht einfach nur Propaganda. Wir können auf dem aufbauen, was die Biobranche und viele andere in den letzten Jahrzehnten erreicht haben.

Haben Sie ein Beispiel für ein tolles Anbausystem?

Ja, Mischkulturen – da gibt es tolle Ansätze. Die Idee, nur eine Pflanzensorte auf Hunderten von Hektaren anzubauen, ist per se falsch. Ich bin zum Beispiel in ein Züchtungsprojekt namens Integral involviert. Da geht es darum, das richtige Paket von Getreidearten und Platterbsen zu finden, die sich optimal unterstützen.

Weil die Platterbse das Getreide mit dem Stickstoff düngt, den die Bakterien in ihren Wurzeln mobilisieren können.

Genau. Solche Kombinationen aus Hülsenfrüchten, die Stickstoff liefern, und anderen Pflanzen sind auf allen Kontinenten entwickelt worden, etwa das Milpa-System mit Kürbis, Bohnen und Mais in Mittelamerika. Auf der Schwäbischen Alb waren es Getreidearten und Linsen. Jede Region, jeder Boden braucht etwas anderes. Es gibt nicht ein Rezept für die ganze Welt – das ist ja das Vermessene an der industriellen Landwirtschaft: zu meinen, man könne überall mehr oder weniger dasselbe anbauen und müsse nur die Umgebung passend machen.

Im 19.  Jahrhundert galten Hülsenfrüchte, die Stickstoff liefern, als topmodern. Erst seit der Erfindung des Kunstdüngers dachten die Agronomen, sie könnten ohne sie auskommen.

Ja, und der Kunstdünger kommt jetzt ans Ende, weil seine Herstellung viel zu viel Energie braucht und er die Bodenfruchtbarkeit schädigt. Die industrielle Landwirtschaft gibt es ja nur, weil Wissenschaft, Industrie und die ganze Gesellschaft nach dem Zweiten Weltkrieg einen riesigen Effort geleistet und viel Geld bezahlt haben. Ich bin felsenfest überzeugt: Wenn wir einen ebenso grossen Effort leisten, um die Landwirtschaft ökologisch zu transformieren, kommen wir sehr weit. Der limitierende Faktor sind nicht die ökologischen Anbausysteme, sondern der mangelnde Schulterschluss unter der Bauernschaft, die sich immer noch gegeneinander ausspielen lässt.