Von oben herab: Hier spricht die Polizei

Nr. 13 –

Stefan Gärtner fällt nicht drauf herein

Zu den vielen offenen Fragen, die sich in meinem Kopf stetig höher türmen, ist jetzt die gekommen, ob der Sohnemann eine neue Videokonsole braucht. Da müsste man natürlich mit der Definition des Verbs «brauchen» beginnen und mit der Frage, ob ich diese Übergangsjacke nun «gebraucht» habe in Zeiten, wo im April auf den Herbst der Sommer folgt. Ich bin jedenfalls der Falsche, um hier prinzipiell zu werden, weiss aber immerhin, dass hier prinzipiell nur ein Gebrauchtgerät infrage kommt. Was ich leider mittlerweile auch weiss: dass es auf der bekannten Kleinanzeigenseite von falschen Anzeigen nur so wimmelt, wirklich wimmelt.

Eine falsche Anzeige ist eine Anzeige, die etwas annonciert, was gar nicht zum Verkauf steht: Foto und Anzeigentext, ja sogar der Anbietername samt Bewertungen sind geklaut, und tatsächlich hat mich neulich erst der grosse Bezahldienstleister davor bewahrt, hundert Euro auf das (gesperrte) Konto einer Frau zu überweisen, die ziemlich rumänisch hiess, obwohl die Anzeige von einer «Familie Müller» stammte. Erstes und bestes Indiz ist immer der deutlich zu niedrige Kaufpreis, wie die Konsole gestern halt wieder zu billig war; dann bestehen die Leute auf Vorkasse, und wenn man Misstrauen äussert, wird die Anzeige gelöscht. Ist das drei, vier Mal passiert, kann man es fast schon bleiben lassen, denn ein Flohmarkt ohne Schnäppchen ist ein Widerspruch in sich.

Die Welt, wussten die alten Römer, will betrogen sein. Aber doch bitte nicht so, dass selbst Leute, die sonst das Gras wachsen hören (ich), darauf hereinfallen! Viel lieber bekäme ich einen Anruf, Vorwahl +4179, und «es ertönt eine englische Computerstimme», wie der «Tagi» warnt. «Sie erklärt, das sei ein Anruf der Schweizer Polizei. Es gebe ein Problem», etwa mit dem Bankkonto, und dann muss man die Eins drücken, und eine Realperson gibt an, mit meiner Identität werde im Internet Schindluder getrieben, und verfügt, dass ich auf meinem Computer Programme installiere, die verhindern, dass Unbefugte darauf zugreifen. Wer im Verlauf der Unbefugte ist, lässt sich denken, und da geben wir vielleicht der Faustregel, wonach Onlinedumpingangebote Betrug sind, eine zweite hinzu: Schweizer Polizei, die vom Handy aus eine englische Computerstimme einspielt, ist keine.

Neulich war eine Frau in der Zeitung, die auf den Enkeltrick hereingefallen war und zuvor nicht hatte verstehen können, wie solche Blödheit möglich sei. Beim Enkeltrick ist jemand am Telefon, der behauptet, der Enkel zu sein und sofort einen hohen Geldbetrag zu brauchen, ein Bote klingle gleich. Der Trick basiert auf Überrumplung und der Restwahrscheinlichkeit, dass es wirklich der Enkel ist, so wie der Kleinanzeigenbetrug auf der Restwahrscheinlichkeit beruht, dass Leute eine neue Espressomaschine verschenken wollen. Dagegen basiert der Schweizer Polizeitrick zuerst auf dem Über-Ich, der internalisierten Autorität, wie sie auch in der freisinnigen Eidgenossenschaft die Gesellschaft zusammenhält; da möchte man sich gar nicht vorstellen, wie erfolgreich der Trick erst in China oder Russland wäre, zumal die Spähprogramme auf den Rechnern da so zu Hause sind wie Browser und Textverarbeitung …

Aber das ist natürlich Propaganda, die mit der Restwahrscheinlichkeit spielt, dass Geheimdienste im freien Westen nur das tun, was sie dürfen, und zweitens war ja just davon die Rede, dass Identitätsklau selbst auf so etwas Harmlosem wie einem Onlineflohmarkt gang und gäbe ist. Vielleicht erschräke ich, am Telefon überrumpelt, ja wirklich vor der Möglichkeit, dass jemand unter meinem Namen billige Spielkonsolen verkauft. Darum werde ich zu Ihrer Sicherheit meine Angebote in Zukunft völlig überteuern; für Sie aus der Schweiz ja kein Problem, und ich kann das Geld gebrauchen – in neun Monaten ist schon wieder Weihnachten!

Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er jede zweite Woche das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.

Sein Buch «Terrorsprache» ist im WOZ-Shop erhältlich unter www.woz.ch/shop.