Das Bier danach: Scheinheilige Trinksitte
Hinterher zusammen ein Bier trinken gehen: So enden weltweit Arbeitstage, Kinoabende, Chorproben oder andere Zusammenkünfte, was nur logisch ist, weil die meisten dann Durst haben und den Abend gern gemeinsam ausklingen lassen. Mehr ist da nicht, dachte ich lange, aber in der Schweiz ist da mehr – viel mehr!
Die Bereitschaft, nach einem politischen Streit zusammen mit dem Gegner ein Bier trinken zu gehen, kennzeichnet offenbar den eidgenössischen Direktdemokraten: Das Bier danach ist Materie gewordene Konkordanz. Für den waschechten Schweizer hat es Bekenntnischarakter. Wer da nicht mitmachen will, hat den «Sonderfall Schweiz» nicht begriffen, hat keine Ahnung von der gelebten, direkten Demokratie. Die bedeutet schliesslich streiten, ausbeindeln, den Gegner an die Wand reden, um dann einen Kompromiss zu finden. Und: Hinterher gemeinsam ein Bier zu trinken. Dieses Bier hat die Eidgenossenschaft seit Jahrhunderten gerettet, wer zusammen Bier trinkt, hegt keine Umsturzpläne.
Wer das mit dem Bier nicht will, ist wahlweise ein Feigling, ein Finöggeli, ein hasserfüllter Schwätzer, ein Kommunist, ein Schnudderbueb oder ein Trotzkopf – auf jeden Fall kein echter Demokrat. Das beweist sich gerade an einem aktuellen Fall: Der Juso-Präsident verweigerte dem SVP-Präsidenten das gemeinsame Bier, und schon war die Hölle los. Wer bisher noch nicht der Überzeugung war, dass die Juso nichts anderes plant als den Untergang Helvetiens, ist sich jetzt sicher. Es dürfte durchaus ein paar Vaterlandsliebende geben, die dem Juso-Präsidenten statt eines Biers lieber den Schierlingsbecher reichen würden.
Ich trinke übrigens gern Bier. Aber es wird mir wohl bis zum Ende meiner Tage nicht einleuchten, warum ich ausgerechnet jenen Leuten zuprosten soll, die mich für eine links-grüne Stadtschmarotzerin halten, die seit Jahren aus ihrem Hass auf andere keinen Hehl machen und die armen Menschen die Butter auf dem Brot nicht gönnen. Und dass die Vertreter:innen solcher Ideen jenen, denen an solch verlogener Verbrüderung nichts liegt, unterstellen, sie seien keine Demokrat:innen, ist nur eins: scheinheiliges Gewäsch!