Anti-Gender-Rhetorik: Vorbild Europa

Die öffentliche Erregung über Gender Studies führt in den USA aktuell zu deutlichen Einschnitten in die akademische Freiheit. Allein diese Woche wurde bekannt, dass in Florida Shakespeare aus manchen Curricula verschwindet. Und dass am New College, einer einstigen öffentlichen Vorzeigeinstitution in Sarasota, das Programm in Genderstudien geschlossen werden soll. Unter der Federführung des konservativen Aktivisten Chris Rufo (der 2021 die Panik um «critical race theory» lostrat) bauen die Alliierten des republikanischen Gouverneurs Floridas Ron DeSantis derzeit auch das kleine Liberal Arts College in eine bizarre konservative Kaderschmiede um – fast ein Drittel der Fakultät wurde bereits aus dem Amt geekelt, in vielen Studiengebieten können die elementarsten Kurse nicht mehr angeboten werden. Und diese konkreten Eingriffe sind nur einige von unzähligen Beispielen.

Lange Jahre konnte man an US-amerikanischen Unis den Kopf schütteln über die Anti-Gender-Rhetorik des Vatikan, Anti-Gender-Demos in Frankreich, die «Gender-Critical Feminists» in England. Schritte wie jene am New College stellen einen Versuch dar, ungarische Verhältnisse in die USA zu importieren. Das Vorbild lautet Victor Orbán, bei dem sich die republikanische Rechte schon seit Jahren Inspiration sucht. Europäer:innen meinen indes ja gerne, dass US-amerikanische Zustände «jetzt» auch in die alte Welt schwappen. Aber bei der moralischen Panik über Gender und Genderstudien liegt die Sache genau andersherum: Es handelt sich um einen Import aus Europa.

Der Grund dafür, dass die Panik über Genderstudien in den USA nicht früher Anklang fand, liegt wahrscheinlich auch daran, dass es sich lange um einen antiamerikanischen Diskurs handelte: die Angst vor dem Genderbegriff, war eine Angst vor dem unheimlichen Einfluss Amerikas, verkörpert in diesem Fall von Judith Butler, die 2017 von einem Mob durch den Flughafen von São Paolo gejagt wurde.

In den letzten Jahren hat sich die Republikanische Partei, insbesondere unter Trumps Einfluss ganz generell, immer stärker an der illiberalen Internationalen orientiert. Die angebliche «America First»-Fraktion begann immer mehr ins Ausland zu blicken. Und auch mit Antiamerikanismus haben die «Make Amerika Great Again»-Jünger offenbar kein Problem mehr: denn sie erwarten ja eigentlich nur Schlechtes von eben jenem Land, das sie meinen erst wieder «gross» machen zu müssen.

Immer freitags lesen Sie an dieser Stelle die Kolumne unseres Gastautors Adrian Daub. Der Autor, Kritiker und Literaturwissenschaftler lehrt als Professor für vergleichende Literaturwissenschaften und Germanistik an der Universität Stanford. Er lebt in San Francisco und Berlin.