US-Vorwahlkampf: Gefangen im Labyrinth
Vorwahldebatten in den USA sind immer reichlich bizarre Spektakel. Viel zu viele Kandidat:innen tummeln sich auf der Bühne, die meisten «not ready for primetime», wie die Amerikaner:innen sagen. Amateur:innen und Opportunist:innen, die schnell die Aufmerksamkeit der Medien auf sich ziehen wollen und mit beliebigen Attacken auf ähnlich chancenlose Mitbewerber:innen zu punkten versuchen. Selbst gemessen an diesen Massstäben war die erste Debatte der Vorwahl der Republikanischen Partei diese Woche ein Zirkus.
Der mit Abstand chancenreichste Bewerber um die Nominierung – ein ehemaliger Präsident und erfolgloser Putschist namens Donald Trump – war gar nicht erst zur Fox-News-Debatte erschienen und dominierte dennoch den Abend. Keiner wagte sich an ihn heran. Anstatt sich an ebendiesem «front runner» abzuarbeiten, griffen die sieben Kandidaten und die eine Kandidatin lieber den absolut chancenlosen Möchtegern-Trump Vivek Ramaswamy an.
Als sie gefragt wurden, ob sie Donald Trump als Präsidentschaftskandidaten unterstützen würden, selbst wenn er in einem oder mehreren der gegen ihn hängigen Verfahren schuldig gesprochen werden sollte, schoss Ramaswamys Hand nach oben – gefolgt, mehr oder weniger zögerlich, von den Händen (fast) aller Mitbewerber:innen. Einzig Asa Hutchinson – ehemaliger Gouverneur von Arkansas und im Kampf um die Nominierung ebenfalls komplett chancenlos – behielt seine Hände betont unten. Trump-Kritiker Chris Christie schien es sich bei halb erhobener Hand noch mal anders zu überlegen; Mike Pence, den Trumps Jünger am 6. Januar ja immerhin hängen wollten, schien das in dem Moment nicht so eng zu sehen. Ron DeSantis, die ewige Hoffnung derer, die sich eine Trump-Alternative wünschen, machte eine komische Halbgeste, die seine bisherige Kandidatur gut auf den Punkt brachte. Das Publikum in Milwaukee reagierte übrigens mit tosendem Applaus.
Trump gab währenddessen dem ehemaligen Fox-News-Talker Tucker Carlson auf X ein Interview, in dem die beiden darüber fachsimpelten, ob Schattenmänner den Skandalmilliardär Jeffrey Epstein umgebracht hätten. Dabei gab seltsamerweise Trump die vernünftigere Figur ab – er wisse es schlicht nicht, sagte er –, Carlson hingegen servierte eine Verschwörungstheorie nach der anderen.
X-Chef Elon Musk verbuchte das Interview selbstverständlich als Erfolg und retweetete das Video. Bemerkenswert ist hierbei die unglaubliche Reichweite des X-Videos: 250 Millionen Views waren es bis am Freitag, 10 Uhr. «Views» bedeutet allerdings nichts weiter, als dass das Video in der Timeline an einem bestimmten Nutzer vorbeizieht. Es ist eine Masseinheit, auf die Musk fixiert ist, weil sie grosse Zahlen verspricht, und seine Jünger tun es ihm nach. Trump übrigens auch: «Wir kriegen sicher bessere Einschaltquoten hier auf diesem verrückten Forum, das Sie benutzen, als die Debatte.» Ein seltsames Kompliment.
Trump ist vom Fernsehen, er hat für so etwas ein gutes Gespür. Aber er brachte den Abend auch ungewollt auf den Punkt: Die Republikaner:innen stellten sich als eine Partei dar, die nur noch Medien und Symbolik kann. Die rein auf Aufmerksamkeit und Spektakel getrimmt ist. Und die aus dem Labyrinth des von ihr selber geschaffenen Mediensystems – das mittlerweile eindeutig auch Twitter umfasst – nicht mehr wirklich herausfindet. Gewiss: Es ist gut möglich, dass die Republikaner:innen 2024 die Wahl gewinnen. Wenn, dann aber sicher deshalb, weil sie genügend Amerikaner:innen in dieses Labyrinth zu locken vermögen.
Immer freitags lesen Sie an dieser Stelle die Kolumne unseres Gastautors Adrian Daub. Der Autor, Kritiker und Literaturwissenschaftler lehrt als Professor für vergleichende Literaturwissenschaften und Germanistik an der Universität Stanford. Er lebt in San Francisco und Berlin.