Verzichten kann, wer besitzt
Als ich von meinem ersten Gehalt eine Handtasche für hundert Franken gekauft hatte, fühlte ich mich sehr reich. Voller Stolz zeigte ich sie meiner Arbeitskollegin, die dann zu mir meinte: «Du magst Konsum, gell?» – «Die Tasche war für den halben Preis zu haben, sonst hätte ich sie mir niemals gekauft», antwortete ich verlegen. In der linken Bubble der Schweiz ist klar: Konsum ist scheisse. Konsum ist kapitalistisch. Und Konsum gehört sich nicht! Die Anekdote mit der Tasche ist eine Weile her, die Reaktionen und Kommentare auf mein Konsumverhalten sind heute noch dieselben.
Wenn ich mir ein Glas Champagner gönne, werde ich oft suspekt unter die Lupe genommen. Als wollten mir diese Blicke weismachen, dass es heuchlerisch ist, gegen Ungleichheiten zu kämpfen und gleichzeitig selbst nach einem genussvollen Leben zu streben. Was ist daran falsch? Ja, ich liebe das schöne Leben: essen im chicen Restaurant, guten Wein trinken und meiner Mutter mit meinem 13. Monatslohn eine fette Uhr schenken. In einer Suite mit Pool auf Ko Samui lassen sich die Traumata der Armut besser heilen als in einer Jugendherberge im Norden Schwedens. Letzteres ist übrigens auch teurer.
Auf Konsum zu verzichten, ist heute cool geworden: Secondhandläden an jeder Ecke, Kleidertausch, sich als Arme zu verkleiden ist der neueste Schrei. Möglichst mit einem weissen T-Shirt, zerrissenen Jeans und kaputten Turnschuhen. Und natürlich nur mit dem Velo unterwegs sein und kein Auto fahren, weil man sowieso das Privileg der Mobilität hat, wenn man im Stadtzentrum lebt. Medianlohn in der Stadt Zürich: 8814 Franken. Ja, mit über 8814 Franken brutto kann man es sich dann auch erlauben, arm auszusehen. Schliesslich zahlt man auch wenig Miete, weil man in einer Genossenschaft lebt. Und irgendwann kommt das Erbe, und dann ist eh alles geregelt. Das Ganze nennen sie dann achtsam und bewusst leben und natürlich «links sein». Ich nenne das privilegiert leben.
Ihr wollt ärmer aussehen, als ihr seid, wir möchten reicher aussehen, als wir sind.
Ich möchte keine gebrauchten Kleider tragen. Sogar meine Mutter sagte, das sei unhygienisch, und deshalb hatte sie unsere Kleider in Outlets gekauft, ohne dass sie wusste, dass meine (reiche) Gymifreundin Anna mir das Klauen beigebracht hatte. Von den Reichen lernt man klauen, äh, sparen. Und Velo fahre ich auch nicht. Nur schon weil ich kein Interesse daran habe, im Zürcher Strassenverkehr zu sterben. Meiner Mutter werde ich eines Tages einen Mercedes-Jeep-Neuwagen kaufen, um all die Jahre wiedergutzumachen, als sie die Einkaufstüten nach der Arbeit von der Bushaltestelle nach Hause schleppen musste. Ich möchte nicht in einer Genossenschaftswohnung leben, eines Tages baue ich dir eine Villa, Mami!
Verzichten kann nur, wer besitzt. Das Leben der Besitzlosen jedoch basiert auf Verzicht, und deshalb kann und will ich nicht mehr verzichten. Das überlasse ich gerne denjenigen, die bereits haben und noch erben werden. Ihr habt Häuser, ich mein Glas Champagner am Freitagabend. Lasst es mich geniessen.
An dieser Stelle lesen Sie immer freitags einen Text unserer Kolumnistin Migmar Dolma. Sie ist Gewerkschafterin, Vorstandsmitglied des postmigrantischen Thinktanks Institut Neue Schweiz und aktiv in der tibetischen Unabhängigkeitsbewegung. Dolma ist 32 Jahre alt und lebt in Zürich.