Israels Verhandlungsführer seien «vorsichtig optimistisch», liess Premierminister Benjamin Netanjahu am Montagabend mitteilen. Die Vermittlerstaaten Ägypten und Katar hatten zuvor einem Kompromissvorschlag der USA zugestimmt, um die Hamas dazu zu bewegen, die verbliebenen israelischen Geiseln zurückzugeben, damit das Gemetzel in Gaza beendet werden könnte. Die Hamas erklärte gegenüber Al Jazeera lediglich, die USA hätten einfach bestimmte Punkte aus einem Vorschlag von Ende Mai gestrichen, den Israel damals abgelehnt habe. Obwohl er die Rettung der Geiseln bedeutet hätte. Das Hostages Forum in Israel, die Organisation der Geiselfamilien, kritisiert, Netanjahu opfere ihre Angehörigen seinem eigenen politischen Überleben. In Deutschland behaupten noch immer einige felsenfest, die Hamas – die ihrerseits im April einen Deal abgelehnt hatte – müsse einfach nur die Geiseln herausrücken und dann sei Friede, Freude, Mazel tov. Als wir sagten, man müsse in diesem Konflikt Widersprüche aushalten, waren jedoch kognitive gemeint, nicht logische.
Das Schicksal der 109 verbleibenden, hoffentlich noch lebenden Geiseln ist fürchterlich, aber immerhin im Präsens zu beschreiben. Von 40 000 Palästinenser:innen, zwei Prozent der Bevölkerung von Gaza, kann man das nicht mehr sagen. «Nach Angaben der Gesundheitsbehörden, die von der Hamas kontrolliert werden!», höre ich um Einordnung bemühte Kolleg:innen zwischenrufen. Und wie recht sie haben. Im britischen «Lancet», einem der renommiertesten medizinischen Fachjournale der Welt, erschien im Juli eine korrigierende Datenanalyse. Die Forscher:innen berücksichtigten dafür auch indirekte Todesopfer infolge von Hunger, Krankheiten, zerstörter Gesundheitsversorgung. Belegen liesse sich mit ihren Methoden zwar nichts, unrealistisch seien die Ergebnisse aber keineswegs, so in etwa der wissenschaftliche Konsens: Bis August, also bis jetzt, geht das Forscherteam von 186 000 Toten aus.
Eins hingegen steht fest: Eine Nation, die Krieg führt, bekommt man nicht für die Opfer der anderen Seite auf die Strasse. Als Türkin habe ich eine gewisse Innensicht auf die Psychologie solcher Nationen, und, ohne die Situationen vergleichen zu wollen: Die verschiedenen völkerrechtswidrigen Angriffe auf kurdische Gebiete in Nachbarländern haben in der Türkei noch niemanden hinter dem Ofen hervorgelockt. Ausser zum Salutieren, versteht sich. Geht es um die eigenen Leute, sind die Menschen dagegen schnell auf den Barrikaden. Im Mittelpunkt israelischer Antikriegsproteste stehen deshalb so gut wie ausschliesslich die Geiseln. Sechs von ihnen bargen die Streitkräfte am Dienstag tot aus Chan Junis im Süden Gazas. Darunter sind mehrere Kibbuzbewohner, Anhänger einer fortschrittlichen, sozialistischen Bewegung also, mit der wirklich ein Staat zu machen gewesen wäre, hätte man denn gewollt.
Özge İnan wurde durch ihre politischen Twitter-Beiträge bekannt. Ihren Account hat sie zwar inzwischen gelöscht, aber noch immer kommentiert sie pointiert das Zeitgeschehen. An dieser Stelle lesen Sie immer freitags ihre Kolumne, in der sie auf die laufende Woche zurückblickt.