Die besseren Zeug:innen: Polizisten!

Das Berner Obergericht hat entschieden: Ein wegen Amtsmissbrauch und Tätlichkeiten angeklagter Berner Polizist wird nicht verurteilt. Im Herbst 2023 sprach das Regionalgericht Bern-Mittelland den Mann erstinstanzlich schuldig. Der Polizist legte daraufhin Berufung ein – mit dem Ergebnis, dass er nun doch freigesprochen wird.

Durch Zufall wurden am 21. Juni 2021 mehrere Tamedia-Journalist:innen Zeug:innen einer «verstörenden Polizeiaktion», die in der Festnahme eines 28-jährigen Marokkaners mündete – über die die Journalist:innen dann auch berichteten. Laut ihren Schilderungen kam es dabei zu Gewaltanwendungen. Sie beschrieben, wie jener Polizist den Mann, der kaum auf den Beinen stehen konnte, grob in einen Transporter bugsierte, woraufhin dieser erneut zu Boden stürzte. Anschliessend sollen die Beamten den Festgenommenen auf dem Bauch liegend auf der Transporterladefläche zurückgelassen haben.

Am Prozess vom vergangenen Dienstag, der ausschliesslich den Abtransport des Mannes verhandelte, wiederholten vier der Journalist:innen ihre Version. Ihren Schilderungen gegenüber standen die Aussagen der damals anwesenden Polizisten. Der angeklagte Polizist selbst räumte ein, dass der Einsatz von aussen «brutal ausgesehen haben könnte». Doch, so die Linie der Verteidigerin, der Angeklagte arbeite eben «an einem Brennpunkt». Da sei es nicht aussergewöhnlich, dass «solche Menschen» wie der junge Mann von der Polizei kontrolliert würden. Als «abenteuerlich», «dramatisch» und «spektakulär» bezeichnete sie hingegen die Schilderungen der Journalist:innen. Auch von «medialer Vorverurteilung» war die Rede, von der die Zeug:innen nun nicht mehr abrücken könnten. Welches Motiv sollte ihr Mandant für eine Gewalttat gehabt haben? Er sei sicherlich kein ausländerfeindlicher Polizist, sondern habe eine «weisse Weste» – und sei daher freizusprechen. Der siebzig Kilogramm schwere Mann sei ihrem Mandanten beim Verladen «aus den Händen geglitten».

Die Kammer entscheide nicht, ob die Journalist:innen oder die Polizisten die Wahrheit sagten, bemerkte Oberrichter Horisberger zu Beginn seiner Urteilsverkündung. Doch die Vorwürfe gegen den Polizisten hätten sich in der Berufungsverhandlung nicht erhärten lassen. In den Zeug:innenaussagen liege zu viel Interpretationsspielraum.

Der Berner Sicherheitsdirektor Philippe Müller scheint sich besonders über das Urteil zu freuen. Der Freispruch bestätige auf der ganzen Linie, dass die Medienberichterstattung vorverurteilend gewesen sei, schreibt sein Departement am Mittwoch in einer Stellungnahme. Doch über die Frage der Vorverurteilung hinaus weist das Urteil ein grundlegenderes Problem hin: Es zeigt, wie schwierig es ist, polizeilichen Amtsmissbrauch rechtskräftig nachzuweisen – selbst in Fällen mit mehreren Zeug:innen hoher Glaubwürdigkeit.