Wunderwaffe Grunderbe

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Ein Grunderbe würde bedeuten, dass junge Menschen beim Eintritt ins Erwachsenenleben mit einem Vermögen ausgestattet werden. Es gibt dabei eine ganze Reihe von Fragen, über die es zu befinden gilt: Wie hoch sollte es sein? Sollte die Verwendung frei oder zweckgebunden erfolgen, und durch welche Massnahmen sollte es finanziert und begleitet werden? Nach meinem Dafürhalten wäre die Einsetzung eines Bür­ger:in­nen­rats der beste Weg, diese Debatte zu führen.

Wenn wir über Vermögen sprechen und nachdenken, sollten wir niemals vergessen, dass hinter jedem Vermögen eine Geschichte steckt. Nicht nur hinter dem monströsen Überreichtum oder hinter den durchschnittlichen Vermögen. Auch hinter jenen, die gar nicht existieren. Diese Geschichten sind Geschichten von Frauen, von Alleinerziehenden, von Familien, die Flucht und Migration erlebt haben. Ihre Vermögen sind klein – ebenso die Aufmerksamkeit, die wir ihnen in gesellschaftlichen und politischen Debatten zuteilwerden lassen. Auch weil jahrzehntelang «das Versagen», kein Vermögen zu besitzen, stigmatisiert war und die Verantwortung dafür auf jede Einzelne abgewälzt wurde – getreu dem falschen Glaubenssatz, jeder sei seines eigenen Glückes Schmied. Doch diese Millionen Einzelschicksale der Habenichtse folgen alle den gleichen Erzählsträngen. Es ist an der Zeit, diese Stränge als Teil einer grossen Erzählung anzuerkennen – und in die Gedanken über die Ausgestaltung eines gerechten Steuersystems und eines Grunderbes einfliessen zu lassen.

Wäre es mit Blick auf die gesamtgesellschaftlichen Vermögen und ihre Geschichten nicht gerechter, wenn nicht ein paar wenige sehr viel, sondern alle etwas erhielten? Wäre es nicht gerechter, wenn Vermögen nicht nur an die Kinder und Kindeskinder überreicher Bürgerinnen, sondern an alle Kinder in der Gesellschaft ginge? Die Gefahr einer zunehmenden Aushöhlung der Demokratie ist real; die Entwicklung hin zu einer Erb:innengesellschaft der wenigen längst spürbar. Demokratische Gleichheit, soziale Gleichheit, Leistungs- und Chancengleichheit sind grundlegende Prinzipien einer gerechten Gesellschaft. Anerkennung und Teilhabe sollten nicht von den Kontoständen der Eltern oder dem Ausstellungsort einer Geburtsurkunde abhängen, sondern sich aus der Würde des Menschen speisen.

Das wäre im Sinne einer Gesellschaft, in der nicht nur wenige ihr Glück schmieden dürfen, sondern in der alle – die ärmere Hälfte der Bevölkerung eingeschlossen – einen Amboss und einen Hammer erhalten, die sie hierzu befähigen.

Immer freitags gab es an dieser Stelle die Kolumne unserer Gastautorin Martyna Linartas zu lesen. Mit diesem Text verabschiedet sie sich von ihren Leser:innen. Wir danken Martyna Linartas vielmals für ihre wertvolle Arbeit. Am 15. April 2025 erscheint ihr Buch «Unverdiente Ungleichheit. Wie der Weg aus der Erbengesellschaft gelingen kann».