Tim Parks: Keine Pasta für Polizisten
In ganz Italien ist Hellas Verona als Fussballverein verhasst. Die Stadt gilt als Hochburg der Konservativen. Hellas-Fans, i gialloblù, stehen im Ruf, Rassisten zu sein: Die Fans machen Affengeräusche, sobald beim Gegner schwarze Spieler auflaufen. Der Verein wird mit Separatismus und Arroganz der Lega Nord in Verbindung gebracht. Ausgerechnet hier entdeckt der englische Bestsellerautor Tim Parks, weder rassistisch noch rechts gesinnt, seine Liebe zum Fussball. «Eine Saison mit Verona» beschreibt diese höchst komplizierte Beziehung. Entstanden ist mehr als ein Fanbuch: Parks setzt sich über den Sport hinaus mit der italianità an sich auseinander, mit all ihren Liebenswürdigkeiten, Fallstricken und Widersprüchen. Es ist der Versuch einer Annäherung an ein Land, in dem der Autor seit mehr als zwanzig Jahren lebt, obwohl er sich ständig fühlt, als sei er «auf der Durchreise».
Erzählt wird die Geschichte der Saison 2000/2001. Die Serie A ist in den Passfälscherskandal verwickelt: Südamerikanische Spieler geben sich als Italiener aus, um die Ausländerregel zu umgehen. Die mit der politischen Linken assoziierte Roma führt die Tabelle an, aber Milan-Präsident Silvio Berlusconi steht kurz vor seinem politischen Comeback. Parks empfindet «das Land vor Apathie erstarrt».
Fussball mit Dante
Formal gliedert sich «Eine Saison mit Verona» nach Spieltagen. Hinter jedes Kapitel stellt Parks die letzten Ergebnisse samt aktualisierter Tabelle. Am Anfang stehen Bemerkungen, die Fans im Internet hinterlassen. Wunsch und Wirklichkeit. Auch Parks wechselt häufig die Perspektive. So reist er mit den Fans zu Auswärtsspielen und erlebt etwa, wie ein junger Tifoso nach dem Spiel in Vicenza Polizisten aus einem Zugfenster heraus mit «Scheisskerle! Schläger! Elende Würmer! Faschisten! Kommunisten!» beschimpft. Dann klingelt sein telefonino. «Ja, Mama, wenn du die Pasta gegen sieben aufsetzt, bin ich wahrscheinlich da.» Weiter gehts mit der Schimpfkanonade.
In einem anderen Kapitel tafelt Parks mit dem Betreuerstab des Teams. Es ist die Nacht vor einem wichtigen Auswärtsspiel in Lecce, die Stimmung gereizt; Hellas muss im Abstiegskampf punkten. Masseur und Mannschaftsarzt unterhalten sich über Pampelmusen (pompelmi). Die seien besonders gesund, da sie negatives Cholesterin abbauten. Pompini (Blowjobs) seien hierfür aber noch besser geeignet. Und schon entspannt sich ein furioses Streitgespräch über Sex im Auto, alte Geliebte, Flirten in der Disco.
Poesie, Sex, auch Politik und Religion entdeckt Parks, der die Serie A mit Schopenhauer, Lautréamont oder Dante liest, ständig im calcio. So spielt sich der Wahlkampf zunehmend auf der Bühne des Fussballs ab, was Parks vorkommt wie ein «unübersichtliches Strafraumgestochere». Tribünengesänge der tifosi wiederum erinnern Parks an die religösen Verzückungen eines Kirchenchors. Fussball sei eine Mischform, aber beständig bestrebt, möglichst unverfälscht zu wirken. Zwar wüssten alle Beteiligten, dass dieser Sport ein übles Geschäft sei, trotzdem behandelten sie ihn wie ihre Religion; Fussball als Zwischenwelt und Fluchtpunkt.
Zum Saisonfinal muss Hellas zur Reggina in den Süden. Die Heimfans empfangen die Veroneser mit Affengeräuschen und skandieren uccidere, uccidere (töten, töten). Es herrscht blanker Hass, alte Rivalitäten werden aufgewärmt. Für die Gäste kommt es gut: Dank einem Tor kurz vor Ende schafft Verona im spareggio, den Entscheidungsspielen, den Ligaerhalt. Hoffnung gibt es am Ende auch, weil der erste Schwarze ins Team von Hellas aufgenommen wird. Der Rassismus aber ist nicht besiegt, Parks hat ihn lediglich in den Bezugsrahmen des Fussballs gesetzt und anschaulich dargestellt.
Tim Parks: Eine Saison mit Verona. Eine Reise durch Italien auf der Suche nach Träumen, Fussball und dem Herzen des Landes. Goldmann-Verlag. München 2003. 636 Seiten. 18.10 Franken