Queer im Bergdorf
Nichts weiter als ein paar Songtexte und Gedichte hinterlässt Jelscha ihrem besten Freund Elia, als sie ihn und das Bergdorf verlässt, in dem die beiden grossgeworden sind.
Der neuste Roman von Alice Gabathuler, «Mittelstreifenblues», spielt in einem fiktionalen Dorf in den Bündner Bergen. Die Schweizer Schriftstellerin zeigt die Lebensrealitäten seiner Bewohner:innen in all ihren Facetten. Ein Immobilienhai beschliesst, aus dem mit Abwanderung kämpfenden Dorf ein Zentrum des modernen Luxustourismus zu machen. Das Setting erinnert an Medienberichte der letzten Jahre: Internationale Grossinvestoren wollen die Schweizer Berglandschaft einer rein exklusiven Klientel zugänglich machen. Es sind Zukunftsängste und der Wunsch, auch noch für die nächsten Generationen ein lebenswertes Dorf zu erhalten, sowie emotionale Ausbrüche und zerbrochene Familien, die die Autorin beschreibt. Der Roman zeigt, wie eng verwoben die Gemeinschaft in einem Bergdorf ist und wie unterschiedlich die Zukunftsvorstellungen und Meinungen trotzdem aussehen können.
Gabathuler, die mehrfach für ihre Arbeit als Jugendbuchautorin ausgezeichnet wurde, widmet sich auch in dieser Geschichte der Perspektive der Jugend. Der Protagonist Elia soll nicht nur Restaurant und Hotel seiner Mutter übernehmen, wenn er erwachsen ist, er muss sich auch über seine eigene Identität klar werden. Die Autorin erzählt die Geschichte eines queeren Jugendlichen in den Schweizer Bergen, die sich zwischen malerischen Kulissen, innigen Momenten der Freundschaft und Erinnerungen an ein Dorf abspielt, das einst belebt war. Es geht um fehlende Vorbilder, die Angst des Nicht-Dazugehörens und den Wunsch, auszubrechen, raus in die freie Welt. Zwischen Verliebtsein und Coming-out sind es die Songtexte seiner besten Freundin, die Elia den Mut geben, seinen Weg zu gehen.
Gabathuler beweist ein weiteres Mal, weshalb sie zu den wohl wichtigsten Jugendbuchautor:innen der Schweiz gehört: «Mittelstreifenblues» geht unter die Haut und trifft direkt ins Herz.
Alice Gabathuler liest in Solothurn am Freitag, 10. Mai 2024, um 13 Uhr.
