Für (fast) immer hundert Jahre alt
Luchs – so lautet der Name des Protagonisten in Flurin Jeckers drittem Buch, «Santa Tereza». Seit dreizehn Jahren arbeitet der Mittdreissiger als Friedhofswärter, um einer zwar nicht allzu nützlichen, aber doch guten Tätigkeit nachzugehen. «Wie ein Brunnen einen Platz ja auch besser macht, auch wenn gerade niemand vorbeikommt, der halb am Verdursten ist»: Bei solchen seiner Gedanken hätte seine Lehrerin ihn früher wohl auf seine Lernschwäche aufmerksam gemacht, glaubt Luchs. Falsch müssten sie trotzdem nicht sein, «nur weil mein Gehirn keinen Nobelpreis gewinnen würde».
Aus diesem schulisch schwachen Aussenseiter macht Jecker seinen Helden, dessen Leben unglücklich aus den Fugen zu geraten droht. Als ein Mädchen namens Teresa ihn als ihren Grasdealer anschwärzt, wird er beinahe gefeuert. Dieselbe Teresa wird ihm später eine Art Seelenverwandte und bringt ihm CDs, die sie zusammen hören. Sprachlich ist Luchs wehrlos gegen die zahlreichen Anschuldigungen, die später auch von seiner Chefin und der Polizei ausgehen. Erst nachdem Teresa alles aufgeklärt hat, darf er an seinen Arbeitsplatz zurückkehren. Ab da beginnt Luchs, sein Leben mit neuen Augen zu betrachten. Er reflektiert seinen Hang zur Monotonie. «Es war ehrlich gesagt schon ziemlich lange her, dass es nicht war, als wäre ich hundert Jahre alt», sagt er an einer Stelle. Schliesslich weckt Teresa in ihm die Erinnerung an einen alten Sehnsuchtsort, die titelgebende Insel «Santa Tereza».
Jecker schildert das Innenleben seines Helden in einem von Helvetismen geprägten Plauderton; in Nebensätze schiebt er manchmal naiv anmutende, teils aber auch überraschend tiefgründige Reflexionen von Luchs ein. Es geht um Sinnsuche in einer leistungsorientierten Gesellschaft, um Aussenseitertum, darum, welchen Stellenwert schulische Bildung im Leben haben sollte – und um die Frage, wer das eigene Selbst bestimmt. «Santa Tereza» gibt einem wortkargen Aussenseiter eine Stimme. Ihr zuzuhören, lohnt sich.
Der Autor liest in Solothurn am Sa, 31. Mai 2025, 16 Uhr, im Theatersaal.
