Peter Bichsel (1935–2025): Es ist vertrackt einfach
Eigentlich zum anstehenden runden Geburtstag von Peter Bichsel geschrieben, werden diese sieben Würdigungen nun zu Nachrufen auf den grossen Schweizer Schriftsteller.

Im Juni 1995 trat Peter Bichsel aus der kantonalen SP-Sektion aus – aus Protest gegen den Wahlslogan «Kussecht und vogelfrei». In seinem Austrittsschreiben begründete er diesen Schritt damit, dass er «sich selbst entsolidarisiert» habe, weil er sich gegenüber diesem «unsäglichen und erbärmlichen Slogan» nicht stillschweigend verhalten könne.
So gerne Bichsel selbst verspielt und provokativ diskutierte und argumentierte, so abrupt hörte bei ihm der Spass bei diesem «Sauglattismus» auf. Er beharrte darauf, dass die Sprache beim Wort zu nehmen ist, selbst wenn kaum mehr jemand die ursprüngliche Bedeutung von «vogelfrei» kennt. Mit seinem Parteiaustritt (nach fast vierzig Jahren Mitgliedschaft) bekundete er eine Haltung, die Diskurs und Widerspruch freihalten wollte von marktgängiger Anbiederung. Wahltechnisch mochte das zu kurz gedacht sein. Doch: «In der Postmoderne, davon bin ich überzeugt, hat eine Sozialdemokratie keinen Platz mehr, die Beliebigkeit ist ihre Sache nicht.»
Speziell im Gebrauch der Sprache droht diese Beliebigkeit. Für die Sprache aber trägt der Autor und Erzähler Bichsel eine besondere Verantwortung.
1964 debütierte Peter Bichsel mit einem Buch, das für Verwunderung sorgte. «Eigentlich möchte Frau Blum den Milchmann kennenlernen» versammelte schon im Titel die Keimzellen des bichselschen Erzählens: das Konjunktivische und das Alltägliche. «Was wäre, wenn» ist die Antriebskraft, mit der Bichsel seine eigene Umgebung festhält und sie ins Mögliche auffächert. Oberflächlich betrachtet wirkt Bichsels Prosa schlicht und einfach. Nichts klingt so leicht wie eine Geschichte aus seiner Hand, doch bei genauer Lektüre tun sich Risse auf. Er spielt mit scheinbar einfachen Erzählmustern, in die er kleine grammatikalische Lücken, rhetorische Versehen oder widersprüchliche Formulierungen einbaut, dabei aber ganz auf Pointen verzichtet und die Leser:innenschaft so aufs Glatteis der Irritation führt. Letztere hat auch Marcel Reich-Ranicki in seiner lobenden Kritik zum «Milchmann» erkannt: «Mit Provokationen haben wir es zu tun. Doch nicht die Worte dieses Autors sind provozierend, sondern seine Pausen.» Von Peter Bichsel erfahren wir die Wahrheit ohne Rechthaberei. Ja, so könnte es gewesen sein – oder auch anders. Es ist vertrackt einfach.
Peter Bichsel ist gerade auch da Erzähler, wo er politische Themen anspricht. Allem voran in den Kolumnen, die in ihrer Gesamtheit vielleicht sein Hauptwerk bilden. Die Beiz wird darin zur literarischen Bühne, auf der palavert und diskutiert wird. Am (freilich immer seltener werdenden) Stammtisch ist der demokratische Diskurs für Bichsel präziser verortet als auf dem Höhenkamm der politischen Theorie.

In den mehreren Hundert Kolumnen, die er für Publikumszeitschriften wie die «Schweizer Illustrierte» oder das «Tages-Anzeiger Magazin» verfasste, verbindet sich die Kraft des Erzählens mit politischem Einspruch und poetischer Raffinesse. Ihnen wohnt eine ganz eigene Besonnenheit inne. Der Drehimpuls von Bichsels Sätzen verleiht auch scheinbar festgefügten, mit Pathos aufgeladenen Begriffen wie «Freiheit» oder «Demokratie» eine erzählerische Beweglichkeit. Hinter der Maske des bedächtigen Abwägens steckt indes unverkennbar ein ruheloser, aufrührerischer Geist, der in aller Bescheidenheit zu provozieren weiss. Etwa in «Notizen in der Misere» von 1988. Gleich eingangs heisst es darin: «Überall, wo es keine Demokratie gibt, ist sie zu erhoffen und erstrebenswert. 2. Das gilt auch für die Schweiz.» Mit sechs Worten wird ein sorgsam gehütetes Selbstverständnis erschüttert.
Gerade auch in spitzen Formulierungen schwingt bei Bichsel jedoch nie Häme mit, vielmehr gibt er zu erkennen, dass er sich selbst beim Wort nehmen lässt und Teil dessen ist, wovon er spricht. Im Band «Schulmeistereien» findet sich der Satz: «Ich weiss, dass ich mir damit widerspreche, aber lassen Sie mir das. Ich widerspreche mir gern.» So verwahrt er sich gegen ein voreiliges Einverständnis und nimmt dafür in Kauf, nicht voreilig verstanden zu werden.
Allerdings trennt der Widerspruch bei ihm nicht, sondern er verbindet; er ist für Bichsel immer auch eine Geste der Zuwendung, das Eingeständnis, es könnte andere Meinungen geben. Widersprüche sind für ihn eine Absage an die Gewissheit und zugleich ein Anlass zum Gespräch, ein Auslöser fürs Erzählen. In diesem Punkt beweisen seine Texte immer wieder von neuem ihre erstaunliche Frische. Diese elementare Beweglichkeit liegt Peter Bichsel am Herzen. Gegenwärtig ist mehr denn je zu ihr Sorge zu tragen.
Beat Mazenauer (67) ist freier Autor und Literaturkritiker in Luzern. Er ist Mitherausgeber der kürzlich bei Suhrkamp erschienenen Neuausgabe von «Eigentlich möchte Frau Blum den Milchmann kennenlernen» mit überraschenden Varianten und unbekannten Geschichten aus dem Archivmaterial.
Von Miriam Japp : Warum Peter Bichsel ein Held ist
Ich habe die «Kindergeschichten» von Peter Bichsel in meiner Jugend gelesen. Wir besassen damals auch eine Schallplatte, Bichsel sprach seine Texte selbst, unprätentiös und direkt. Die Zeit war noch analog, das Lesen, Schreibversuche und Theateraufführungen waren die Türen, die zum Denken anregten, Gefühle auslösten und neue Welten eröffneten. Und Bichsels Texte waren für mich eine neue Welt.
An meine Verblüffung erinnere ich mich gut. Dass man Wirklichkeit so beschreiben kann, hat mich sofort gepackt und ja, glücklich gemacht. Dass Literatur so klingen kann, war für mich neu, faszinierend. Und ich erinnere mich beim Lesen von Bichsels Texten an das Gefühl von Nähe, als würde der Autor mich in seine Geschichten hineinholen. Es war fast so, als teilte der Autor die beschriebene Wirklichkeit mit mir, als zeigte er mir, dass wir die Wirklichkeit gemeinsam behausen und verändern können, da war der Aufruf zur Teilnahme: «Ändern kann man Dinge nur gemeinsam.» Voraussetzend, dass diese Wirklichkeit wichtig ist und wert, beschrieben (und verändert) zu werden. Diese Wirklichkeitsnähe hat mich umgehauen und – ich war vielleicht fünfzehn – mein Weltbild verändert.
Die Texte sagten mir auch: Es ist vieles möglich, viel mehr, als du glaubst, du darfst auch mal Nein sagen, du darfst auch mal traurig sein oder wütend oder verwirrt oder einfach anders, nicht konform, und es ist gut so.
Wie schaute jemand auf die Welt, der so schreiben kann, frage ich mich heute. Mit welchem Blick ging dieser Schriftsteller durch eine Strasse, durch den Tag, und wie aufmerksam hörte er hin, dass er das Grosse im Kleinen so deutlich sichtbar machen kann, das Wichtige im scheinbar Unwichtigen.
Bichsel hatte den Blick für die Ränder und die Randständigen, für die Traurigen, die Zufriedenen und die Sehnsüchtigen. Weil er mir die Wirklichkeit früh und lesbar nahegebracht hat, ist Peter Bichsel ein literarischer Held für mich.
Miriam Japp (56) ist Schauspielerin. Sie liest bei der Buchpräsentation zur erweiterten Neuausgabe von «Eigentlich möchte Frau Blum den Milchmann kennenlernen» neu-alte Bichsel-Texte: am Mittwoch, 2. April 2025, um 19 Uhr in der Aargauer Kantonsbibliothek in Aarau und am Donnerstag, 26. Juni 2025, um 19.30 Uhr in der Allgemeinen Lesegesellschaft in Basel.
Von Stefan Keller: Bichsels Freund
März 1995, Peter Bichsel wird sechzig Jahre alt. Wir haben ihn für die WOZ ausführlich interviewt. Ein langes, kluges Gespräch über Literatur, Politik und Erfahrung, an dessen Abschrift er beim Autorisieren kein Wort verändert. Dank Redaktor Patrik Landolt ist Bichsel auch immer wieder Autor der WOZ. Seine Totenrede auf Max Frisch erschien 1991 bei uns: Als Leitartikel auf der Titelseite, wie seinerzeit der Nachruf der NZZ auf Gottfried Keller. Und natürlich lesen wir stets jedes Wort von ihm.
Das Geburtstagsfest findet im «Kreuz» in Solothurn statt. Mit der WOZ-Fotografin Silvia Luckner fahre ich hin. Alle sind da. Leute, die man sonst nur im TV sieht. Am Tisch, an den es mich verschlägt, sitzt ein rundlicher, gut gelaunter Herr. Er ist Gründer einer erfolgreichen Ferienwohnungsagentur, die er für unzählige Millionen an die Migros verkaufte. Wir haben es lustig an diesem Abend: «Was, Sie sind WOZ-Redaktor?», sagt der Millionär zum Einstieg. «Wollen Sie denn nicht auch einmal etwas Anständiges werden?»
Die WOZ ist in jenen Jahren finanziell stark gefährdet, man rettet sich von Krise zu Krise. Tapfer sage ich zum Millionär: «Mit Ihnen rede ich nur noch, wenn Sie abonnieren.» Er schiebt seine Visitenkarte über den Tisch und abonniert auf der Stelle.
Der Millionär heisst Bruno Franzen. Als Mäzen des Opernhauses ist er bekannt, auch als Verfechter des «papierlosen Büros» und anderer Kapriolen. Die Hälfte der Ferienhausmillionen hat er seinen Kindern abgegeben, aus dem Rest macht er sich im Zürcher Seefeld ein interessantes Leben. Während wir lachen, kommt Peter von hinten heran und flüstert mir ziemlich laut ins Ohr: «Mit dem müsst ihr unbedingt reden. Der hat so viel Geld!»
Die Freundschaft zwischen Bichsel und Franzen habe ich nie begriffen. Sie ging mich auch nichts an. Ein paar Wochen nach dem Geburtstagsfest bekam die WOZ jedoch einen Brief: Franzen bot Unterstützung an. Er finanzierte uns für 100 000 Franken ein neues Layout. Zweifellos hatte Bichsel ihn nach dem Fest noch bearbeitet. Auch Franzens Liebe zur WOZ verstand ich nie, ich zweifle, dass er sie las. Einmal schenkte er mir einen überflüssigen Stuhl aus seinem Büro, den ich bis heute besitze. Später favorisierte er Roger Köppel. Aber er war ein lieber Kerl. Und Peter ist es sowieso.
Stefan Keller (67) war viele Jahre WOZ-Redaktor.
Von Sieglinde Geisel: Peters Pausen
«Wenn ich mich auf der Bühne hinsetze, weiss ich selbst noch nicht, was ich lesen will. Es muss ja auch für mich noch überraschend sein.» Es war Herbst 2017, als ich Peter Bichsel kennenlernte, und ich hätte ihn bestimmt viel früher kennengelernt, wäre ich nicht 1988 mit 23 Jahren aus der Schweiz nach Berlin ausgewandert. Nun hatte mich das Literarische Colloquium (LCB) für die Moderation eines Abends mit Peter Bichsel angefragt, gewünscht war «ein spielerischer Ritt durch das Gesamtwerk», und ich hatte Peter angerufen, um die Moderation zu besprechen. Ich schlug vor, dass wir uns gegenseitig überraschen: Ich wusste nicht, welche Texte er lesen wird, und er wusste nicht, welche Texte ich mir von ihm wünsche.
Es wurde dann ein sehr vergnüglicher Abend, den man zu meinem Erstaunen auf der Website dichterlesen.net immer noch nachhören kann. Mir sind dabei aus dem zeitlichen Abstand zwei Dinge aufgefallen: Peters lange Pausen (die ich in meiner Moderation nicht immer ganz ausgehalten habe) und das Siezen. Nicht nur, weil wir inzwischen längst per Du sind, sondern weil es irgendwie nicht zu Peter passt.
Dieser Abend im LCB hatte Verleger Daniel Kampa auf die Idee gebracht, mich für den Interviewband «Was wäre, wenn?» (2018) anzufragen. In den Gesprächen, die wir in Peters Arbeitszimmer in Solothurn über ein halbes Jahr hinweg führten, wurden mir die Pausen lieb. Wie er an diesem Abend erzählte, war er 1964 als junger Autor genau hier im LCB ein halbes Jahr zu Gast – und hatte Zeit. In den heutigen Schreibinstituten werde viel zu viel gearbeitet, dabei habe ein junger Mensch viel Besseres zu tun. «Nämlich nichts.»
Peters Pausen sind ein Akt der Autonomie: die Verweigerung von Effizienz. «Erzählen ist etwas anderes als Sprechen», sagte er an diesem Abend. Auch das Erzählen von Geschichten ist eine Verweigerung von Effizienz: Wenn jemand eine Geschichte erzählt, hat das Sprechen keinen Zweck ausser seiner selbst.
Sieglinde Geisel (60) lebt als Literaturkritikerin und Schreibcoach in Berlin.
Von Doris Wirth: Meine erste Begegnung mit der Semiotik
Es gibt Geschichten, die man nie vergisst. Die, von der hier die Rede sein soll, war im Deutschbuch, vierte Klasse, abgedruckt. «Ein Tisch ist ein Tisch». So heisst die Geschichte.
Ihr Autor, Peter Bichsel, wurde in den sechziger Jahren von der Gruppe 47 aufgenommen und ausgezeichnet. Bichsel in einer Reihe mit Günther Grass, Ingeborg Bachmann, Paul Celan! Das wusste ich nicht!
Ich weiss nur: Da war dieser Mann, dem das Leben in seinem ewig gleichen Zimmer zu langweilig wird. Der daraufhin beschliesst, die Dinge anders zu nennen. Überschaubar ist seine Welt: Da ist ein Tisch, ein Stuhl, ein Teppich und ein Schrank. Wie geschickt Bichsel den Mann einführt: als einen, den zu beschreiben es sich fast nicht lohnt, denn «kaum etwas unterscheidet ihn von anderen».
Der Mann nennt jetzt den Tisch «Teppich», den Teppich «Schrank» und den Schrank «Zeitung». Ich glaubte, dass er Freude hat an seinem Schelmenstück, seiner heimlich betriebenen Sprachspielerei. Ich trug ihn über dreissig Jahre mit mir herum als gewitzten Sonderling, der sich sein trostloses Leben mittels Sprachexperiment aufpeppt.
Allerdings: Der Mann treibt sein «Ver-rücken» der Sprache so weit, dass er die ursprüngliche Bedeutung der Wörter vergisst und schliesslich von den anderen Menschen auf der Strasse nicht mehr verstanden wird. Er katapultiert sich in die sprachliche Isolation. Im Grunde eine traurige Geschichte.
Zugleich war sie meine erste Begegnung mit der Semiotik: Der Mann entlarvt die Willkür der Beziehung von Zeichen und Bezeichnetem. Wieso sollte dieses Ding, in das man sich nachts hineinlegt, «Bett» heissen und nicht «Bild»? Er hält sich nicht an die angelernte Konvention, sondern mischt die Zuordnungen neu.
Dass dieser Vorgang in einer Geschichte erzählt und durchgespielt wird, hat sich tief in meine vorpubertären Synapsen eingebrannt. Vielleicht wurde damals der Samen gesät für mein späteres Linguistikstudium und den Wunsch, selbst Autorin zu werden.
Danke dafür, Peter Bichsel!
Doris Wirth (44) ist Autorin und lebt in Berlin. Ihr Debütroman «Findet mich» (Geparden Verlag) war letztes Jahr auf der Longlist des Deutschen Buchpreises.
Von Hans Ulrich Probst: Wie das Wauwau eines Hundes
Es waren die unsterblichen «Kindergeschichten», die mich als 21-jährigen Studenten 1969 elektrisierten, vom «Erfinder», «der erfindet, was es schon gibt» – welch schönes Bild für die Arbeit des Schriftstellers! Erst danach habe ich Peter Bichsels frühe Bücher gelesen, von den «Jahreszeiten» und vom «Milchmann». Davon ist mir «Die Löwen», das Porträt eines Grossvaters, der nicht Löwendompteur werden konnte und als Trinker endete, einer der liebsten Texte von Bichsel geblieben. «Er war tot geworden», lesen wir, «er war nicht weise geworden. Aber alt war er geworden. Das ist sehr wichtig, dass man alt wird.» Dies hat ein noch nicht Dreissigjähriger geschrieben!
Vor vierzig Jahren dann – bei Erscheinen von «Der Busant» – das Geschenk eines ersten langen Gesprächs mit dem Autor und seither viele weitere Begegnungen mit dem freundlichen, verschmitzten, auch scheuen Meister der Langsamkeit und der Langeweile, von dem zu lernen ist, «den Augenblick des Erzählens jedem Wissen und jeder Brauchbarkeit vorzuziehen».
Peter Bichsels Credo gilt der Kraft des Erzählens: «Ich bin wirklich überzeugt», hat er gesagt, «der Mensch wäre nicht überlebensfähig ohne Geschichten.» Und weiter: «Geschichten sind wie das ‹Wauwau› eines Hundes, […] der hat es gut, der kann für alles, wenn er sich freut, ‹Wauwau› machen. Wir armen Menschen, wir müssen, wenn wir ‹Wauwau› machen wollen […], Worte dafür finden, […] und das Worte-Suchen, die man dem ‹Wauwau› unterlegen kann, das ist Erzählen.»
In fast allen Bichsel-Texten geht es um Möglichkeiten, nicht um Gewissheiten: «Ausprobieren, wie es wäre, wenn es nicht so wäre, wie es ist» könnte über allem stehen, was der sublime Sprachkünstler geschrieben hat. Dazu bleibt, auch wenn er nicht mehr schreibt, seine Begabung zur Freundschaft, die er so wunderbar beschrieben hat: «Ein Freund ist nicht einer, der mich versteht, sondern einer, der das Nichtverstehen akzeptiert, den Kopf schüttelt und lächelt.» Danke, Peter.
Hans Ulrich Probst (76) war langjähriger Leiter der Literaturredaktion von Radio SRF und schreibt regelmässig für die WOZ.
Von Sophia Lüthi: In derselben Stadt, in einem anderen Haus
Als ich die «Kindergeschichten» von Peter Bichsel gelesen habe, musste ich oft laut rauslachen. Da gibt es diese Geschichte, in der ein Mann alle Wörter vertauscht. Er sagt dem Bett «Bild» und dem Tisch «Teppich». In einem Abschnitt steht alles in seiner Sprache. Da kommt man gar nicht mehr draus – und das ist richtig lustig.
In der Schule haben wir nie Bichsel gelesen, aber meine Mutter hat mir von ihm erzählt. Als sie ein Kind war, hat ihr Vater ihr auf einer Kassette Bichsel-Geschichten vorgelesen. Sie sagte: «Sophia, das musst du auch mal lesen.» Jetzt versteh ich, warum.
Sonst lese ich vor allem Fantasybücher – im Moment «Alea Aquarius», das haben mir meine Freundinnen empfohlen. Sie lesen wohl nicht Bichsel, aber ich würde es ihnen empfehlen. Ich würde ihnen sagen: «Es ist ganz anders als das, was wir sonst lesen, aber es ist trotzdem sehr lustig.» Wobei, eigentlich sind es ja traurige Geschichten: Sie erzählen von Männern, die ein Leben führen, das ich auf keinen Fall haben will. Sie möchten allein sein, schliessen sich ein, dunkeln ihre Fenster ab. Und trotzdem sind die Geschichten lustig. Oder vielleicht gerade deswegen – weil es etwas komische Männer sind? Die Geschichten sind alle sehr ähnlich. So als ob alle in derselben Stadt spielen würden, einfach in einem anderen Haus. Ich glaube, sie könnten auf der ganzen Welt erzählt werden. Wenn sie eine Farbe hätten, wären sie grün-braun.
Was mir aufgefallen ist: In all seinen Geschichten sind Männer die Hauptpersonen, wenn mal ein Kind vorkommt, ist es ein Bub. Es hat mich nicht gestört, es ist mir einfach aufgefallen. Vielleicht hat man früher einfach eher Männer als Hauptpersonen genommen? Es ist schon etwas altmodisch.
Was mir an seinem Stil sehr gefällt: Er holt eine als Leserin zu sich. Er sagt zum Beispiel plötzlich: «Ich habe ihn nie mehr gesehen» oder «Ich will von einem alten Mann erzählen». Tatsächlich hat sich das Lesen seiner Geschichten fast nicht wie Lesen angefühlt, sondern mehr wie Zuhören.
Ich wäre gerne einmal mit Peter Bichsel dagesessen, um mit ihm zu reden und ihm zuzuhören.
Sophia Lüthi (12) ist Schülerin in Bern. In ihrer Freizeit liest sie viel, schreibt Geschichten und spielt Geige.
Aufgezeichnet von Silvia Süess.