Wer mich kennt, weiss, dass sich die Filme, die ich wirklich mag, an einer Hand abzählen lassen: «Die Schlacht um Algiers» (1966), das meiste von Eisenstein, und vielleicht dieser eine Studentenfilm von Holger Meins. Doch auch eure Mona muss sich mal entspannen. Und auf Netflix sticht mir neulich etwas ins Auge wie Tränengas: ein Mann vor feurigem Hintergrund, in der Hand, bereit zum Wurf, mein Lieblingscocktail.
Natürlich klicke ich drauf, was soll schon passieren, und okay, wow, da hält erst ein junger Soldat eine Rede vor einer Polizeistation, dass man schnell die Mörder seines Bruders finden soll und dass sich bis dahin möglichst alle zurückhalten, auch wenn die Verdächtigten Polizisten sind, die Kamera wirkt aber nicht einverstanden und löst sich von ihm ab, fährt über die anwesende Menge und findet den entschlossen wirkenden Mann vom Poster, der jetzt einen Molotowcocktail anzündet und in Richtung der Polizisten wirft. Chaos und Geschrei bricht aus, ein Auto rast in die Eingangstür, der eben noch zur Ruhe mahnende Soldat wirkt verzweifelt, aber der Cocktailwerfer führt seine Leute in den Polizeiposten hinein, wo weitere Cocktails geschmissen und ein Safe voller Waffen erbeutet werden, überall Lärm, Feuer, Bewegung, Panik, und die Gruppe fährt jetzt im gekaperten Polizeiauto mit wehender französischer Flagge und treibendem Sound in Richtung «Athena», ein riesiger, festungsähnlicher Sozialbau, wo sich die Rebellen alle versammeln und sich auf den Gegenangriff der Polizei vorbereiten, während die Kamera das erste Mal zur Ruhe kommen darf – und ich nach elf Minuten zum ersten Mal daran denke, zu atmen.
Der Rest ist etwas weniger beeindruckend als dieser Anfang, und die Geschichte wirkt, als hätte jemand die Ikonografie sämtlicher Revolutionen durch den Mixer gejagt, abgefüllt und brennend auf den nächsten Kastenwagen der Bereitschaftspolizei geworfen. Diese Bilder aber! So ein nationaler Frontist dachte schon nur wegen des Trailers, dass «Athena» einen Bürgerkrieg einleiten würde, was vielleicht rechtsextremes Wunschdenken ist, aber auch von enormem Vertrauen in die Macht der Kunst zeugt. Jedenfalls kann ich sagen: Wenn der kommende Aufstand einst seinen Delacroix für das bewegte Bild braucht, wird an diesem Romain Gavras kein Weg vorbeiführen.
Mona Molotov ist die meinungsstärkste Möwe des Landes. Sie schreibt regelmässig im «Zoo» auf woz.ch.