Die 15-Minuten-Stadt als Verschwörung

Kennen Sie die 15-Minuten-Stadt? Ich will ganz ehrlich sein: Ich kannte sie nicht. Schliesslich bin ich keine Stadtplanerin und ohnehin weder auf Verkehrsmittel noch auf Velostreifen oder Trottoirs angewiesen.

Das Konzept der 15-Minuten-Stadt ist in seinen Grundzügen uralt, und es erklärt sich fast von selbst: Es geht um eine Stadtplanung, die auf Fussgänger:innen ausgerichtet ist und die aufgrund einer dezentralen Anordnung von Wohn-, Gewerbe-, Gastro- und Ausgangsgebieten den Gebrauch von Autos fast schon obsolet macht. Menschen sollen bei bester Lebensqualität nachhaltig und gesund ihrem Alltag nachgehen. Überall auf der Welt, auch in der Schweiz, hat die 15-Minuten-Stadt in den vergangenen Jahren Auftrieb bekommen.

Sie kennen mich: Selbst als passionierte Autohasserin wittere ich bei dieser Vorstellung zuallererst eine Überpräsenz von Cargobikes und Eckcafés mit hausgeröstetem Cappuccino, den ich mir nicht leisten kann.

Denn so schön sie klingt, auch diese Vision lässt sich auf Renditeversprechen bürsten. Sie lindert keine Gentrifizierungszwänge, solange sie keine Besitzverhältnisse antastet. Dann bleibt sie eine grün verpackte, linksliberale Mittelgrossstadtidylle. Wo alles einigermassen aufgeräumt und überteuert ist – und der ÖV-Anschluss in Richtung Flughafen jederzeit leicht erreichbar.

Und trotzdem war ich einigermassen verblüfft, als ich in den letzten Wochen davon erfuhr, dass diese 15-Minuten-Stadt nun also über Nacht zum neuen Feindbild rechter Fanatiker:innen etwa in Grossbritannien, Kanada, den USA und Deutschland geworden sein soll. Aufgepeitscht von wilden Verschwörungstheorien auf Social Media sehen sie in der Idee einer lebenswerten Urbanität vor allem eines: einen totalitären Eingriff in ihre motorisierte Bewegungsfreiheit. Von «offenem Vollzug», von «Gulag» ist die Rede, «die Globalisten» würden einen «ewigen Lockdown» planen. Der ganz normale Conspiracy-Bullshit halt.

Ich mache mich erfahrungsgemäss darauf gefasst, dass auch diese Absurdität bald Einlass findet in die schweizerische Verschwörungssuppe aus Impfskepsis und Putinflirterei. Ich verspreche euch: So gross meine Abscheu gegen Gentrifizierung auch sein mag, mein Hass auf eure Autos ist grösser.
Mona Molotov ist die meinungsstärkste Möwe des Landes. Sie schreibt regelmässig im «Zoo» auf woz.ch.