Zu viel Hilfe im Niger : Projekte gesucht

Die Hilfswerke sind in Scharen eingetroffen. Bereits warnen EntwicklungshelferInnen vor den Folgen.

Ein Wagenpark aus bulligen, glänzenden Geländewagen umringt die zwei einzigen Hotels der Provinzhauptstadt Maradi. Die Aufschriften an den Autotüren lesen sich wie ein «who is who» der Hilfswerke: Concern, Care, WorldVision, Aide et Action, SOS Kinderdorf. Seit Ende Juli sind die simplen Gasthäuser voll bis auf die letzte Matratze. Von langen Überlandfahrten geschundene Projektkoordinatoren steigen aus und sprühen mit Moskitospray um sich, Kamerateams schleppen riesige Koffer, Pressesprecher umwerben die Journa­listInnen an den Tischen. Wer zum Abendessen in den wenigen Restaurants der Stadt einen Platz will, muss reser­vieren: Das hat in den verschlafenen Provinzstädten des Niger Seltenheitswert. «Für uns ist die Hungersnot nützlich», sagt Hotelier Abou Maharazou Illi aus Tahoua.

Das Gros der JournalistInnenschar ist inzwischen schon wieder abgereist, obwohl die Lage im Niger noch zumindest bis zur Getreideernte Ende September kritisch bleibt. Die Hilfswerke haben ihre Arbeit aufgenommen – wenn auch sehr spät: Nachdem die Ernte vor einem Jahr durch Dürre und Heuschrecken zerstört worden war, hatte die Uno schon letzten November vor einer Hungersnot gewarnt und um Spenden gebeten. Kein einziger Dollar ging ein. Noch im Rummel der weltweit in TV-Kanälen übertragenen Live8-Konzerte Anfang Juli, als deren OrganisatorInnen mehr Hilfe für Afrika forderten, wurde kein Wort über den Niger verloren. Erst die Bilder von ausgezehrten Kindern schafften es in die Nachrichten, und der Niger gewann von einem Tag auf den anderen das Interesse der Medien.

Daraufhin schwärmten die Hilfs­werke über den Niger aus. Alleine in der Stadt Tahoua haben sich laut Behörden 75 nichtstaatliche Organisationen (NGOs) installiert. Einheimischen NGOs werden die Türen eingerannt. Denn die internationalen Hilfsketten suchen dringend lokale Partner, um die plötzliche Springflut der Spendengelder glaubwürdig anlegen zu können. Nicht so das Hilfswerk der Evangelischen Kirchen der Schweiz (Heks). Dieses unterstützt im Niger seit über fünf Jahren rund dreissig Dörfer. Seine seit April angelaufene Nothilfe hat das Hilfswerk inzwischen auf über achtzig Ortschaften ausgedehnt. Andere Hilfswerke, die selber keine Projekte im Niger aufbauen wollen, bieten Heks ihre Gelder an.

Wie viel Hilfe hilft?

Im Niger möchten viele Hilfswerke jene Schäden vermeiden, die die Tsunami-Nothilfe in Teilen Asiens angerichtet hat. «Viel zu viele Amateure waren vor Ort und warfen mit Geld um sich», erinnert sich François Audet von Care International. Nicht nur Essen brachten die HelferInnen, sondern sie errichteten gleich selber Häuser und verschenkten Fernseher, Nähmaschinen, Möbel und Bargeld. «Warum sollen wir für Hilfsgüter arbeiten, wenn es sie bei den anderen gratis gibt?», hätten sich die Betroffenen gefragt. Zu viel Hilfe sei für die lokale Wirtschaft fatal. Deshalb gelte es, die Nothilfe auf ein vernünftiges Mass zu beschränken. «Wenn wir den Leuten hier einfach fortwährend Essen geben, wird bald niemand mehr anpflanzen und ernten.» Bis jetzt haben allerdings viele abgelegene Dörfer noch keine Unterstützung erhalten.

Nicht nur Geschenke schaffen Abhängigkeiten, sondern auch die oft propagierten Arbeit-für-Nahrung-Programme, bei denen DorfbewohnerInnen gemeinnützige Bauprojekte gegen Hilfsgüter erledigen. Der von den Hilfswerken geschaffene Arbeitsmarkt ist eine unsichere Lebensgrundlage. «Was passiert, wenn wir einmal abziehen?», fragt Heidi Keita von Heks, die die Ausweitung der Nothilfe abklärt. Schon heute ist der Niger stark von der Entwick­lungszusammenarbeit abhängig: Über 250 Millionen Franken fliessen jährlich ins Land.

Da westliche Regierungen dazu übergegangen sind, ihre Gelder unabhängigen Organisationen anstelle von oft korrupten Regierungsorganen anzuvertrauen, boomen nigrische NGOs: «Wer einfaches Geld verdienen will, gründet gleich selber eine Organisation», beobachtet Heks-Koordinator Bachir Barké. Mittlerweile gebe es über 600 lokale NGOs. Ihre Jobs sind heiss begehrt, zahlen sie doch zuverlässig und gut – oft um die 120 Franken im Monat. Viel für ein Land, in dem sechzig Prozent der Menschen von weniger als einem US-Dollar pro Tag leben.

Klein, langsam, langfristig

Lösungsansätze für den Niger, wo achtzig Prozent der Bevölkerung direkt von der Landwirtschaft leben, sehen Hilfswerke in langfristigen Projekten der Ernährungssicherung und ländlicher Entwicklung. Um den Ertrag zu steigern, werden DorfbewohnerInnen Methoden zur Landgewinnung vermittelt, Material zum Bau von Brunnen zur Verfügung gestellt sowie einfache Bewässerungs- und Düngemethoden beigebracht. Da die Menschen aber ihre Gewohnheiten ändern müssen, brauchen diese Projekte Zeit. «Sie müssen klein und langsam sein, um zu funktionieren», sagt Heidi Keita. Die eingeführten Bewässerungssysteme funktionieren mit Ochsen, Eimern und geschnitzten Übersetzungsrollen aus Holz. «Klar könnten wir auch Motorpumpen kaufen», so Barké. «Aber sind die einmal defekt, können sie die Dorfbewohner nicht mehr selber reparieren.»