Nukleare Bedrohung: «Das ist nicht der Weg zu einer sichereren Welt»
Dan Smith, Direktor des Thinktanks Sipri, erinnert der Angriff Israels auf den Iran an den Irakkrieg 2003. Der brachte Chaos statt Frieden.
WOZ: Dan Smith, hat Sie als renommierten Friedensforscher der Angriff Israels auf den Iran überrascht?
Dan Smith: Zunächst hat er mich nicht überrascht. Es war schon lange klar, dass Israel die nukleare Entwicklung im Iran stoppen will. Das ist seit Jahren eine Priorität, man könnte sogar sagen eine Obsession von Premierminister Benjamin Netanjahu und einem Grossteil des israelischen Sicherheitsapparats. Und es ist auch klar, dass sie dieses Ziel nicht durch Verhandlungen oder Vereinbarungen erreichen wollen. Nachdem 2015 das Wiener Abkommen über das iranische Atomprogramm beschlossen worden war, gehörte Israel zu jenen Kräften, die sich für einen Ausstieg der USA aus dem Abkommen einsetzten. Genau das tat Trump 2018 dann auch. Vor diesem Hintergrund überrascht mich die israelische Kriegshandlung gegen den Iran und sein Atomprogramm nicht.

WOZ: Trotzdem kam der Angriff auch unerwartet?
Dan Smith: Ja, und zwar aus zwei Gründen. Erstens hat Tulsi Gabbard, die Direktorin des nationalen Nachrichtendiensts der USA, im März dieses Jahres vor beiden Kammern des Kongresses, vor dem Senat und dem Repräsentantenhaus, sehr deutlich gesagt, ihr Dienst sei nicht zu der Einschätzung gekommen, dass der Iran Atomwaffen entwickle oder dazu in der Lage sei. Das war also die Sichtweise der USA im März, und die unterscheidet sich doch deutlich von der aktuellen Darstellung der israelischen Seite, wonach der Iran kurz vor der Fertigstellung nuklearer Waffen steht. Die USA haben ja auch erst Mitte April neue Verhandlungen mit iranischen Vertretern über das Atomprogramm aufgenommen. Die sind nun obsolet geworden.
WOZ: Und was ist der zweite Grund?
Dan Smith: Israel führt im Moment Krieg in Gaza und im Libanon. Hinzu kommt die Eroberung weiterer Gebiete im Westjordanland, der Kampf um Gebiete an der Grenze zu Syrien, die Konfrontation mit den jemenitischen Huthis. Und jetzt nehmen sie es auch noch mit dem Iran auf. Das hat mich überrascht.
WOZ: Die israelische Regierung begründet die Kriegshandlungen gegen den Iran vor allem mit dem Argument, dass die Zerstörung des iranischen Atomprogramms Israel – und letztlich auch die restliche Welt – sicherer mache. Was sagen Sie dazu?
Dan Smith: Ich glaube nicht, dass es jemals sicherer ist, einen Krieg anzufangen, so wie es Israel jetzt völkerrechtswidrig getan hat. Im aktuellen Fall bedeutet das, dass in einer grossen Nation sehr viele Menschen gerade tief verletzt und extrem wütend sind. Und zwar auf Israel. Ich glaube, dass hier vor unseren Augen der Keim für Terrorismus gesät wird – in einem riesigen und beängstigenden Ausmass. Das ist das Gegenteil von «für Sicherheit sorgen», gerade in Bezug auf die israelische Bevölkerung. Hinzu kommt, dass es keineswegs so klar ist, dass das iranische Atomprogramm wirklich zerstört ist. Im Gegenteil.
WOZ: Wie meinen Sie das?
Dan Smith: Die Internationale Atomenergie-Organisation IAEA sagt, dass mindestens zwei Standorte im Iran, die zum Atomprogramm gehören, nicht getroffen oder beschädigt worden seien, weil diese tief in den Bergen vergraben seien. Die einzigen Möglichkeiten für Israel, auch diese Standorte zu erreichen, sind der Einsatz von Atomwaffen, über die Israel ja verfügt, oder eine militärische Intervention am Boden. Ich bin überzeugt, dass keiner dieser beiden Wege zu Frieden und zu einer sichereren Welt führt.
Viele Expert:innen gehen davon aus, dass das iranische Atomprogramm nicht das Hauptziel des Angriffs von Israel war. Im Kern gehe es um einen Regimewechsel …
Dan Smith: Dass der Angriff auch zu einem Regimewechsel führen könnte, ist sicher einkalkuliert. Aber jene Kräfte, die das anstreben, sollten sich vielleicht daran erinnern, was 2003 nach dem Sturz von Saddam Hussein, einem brutalen und schrecklichen Diktator, im Irak passiert ist. Sein Sturz war der Beginn von anderthalb Jahrzehnten des Chaos und der Verwüstung, nicht nur im Irak, sondern etwa auch in Syrien. Er hat den Grundstein für die Entstehung des «Islamischen Staates» gelegt. Ich halte einen kriegerisch erzwungenen Regimewechsel nicht für eine rationale Strategie. Die entscheidende Frage ist nämlich, was danach kommt: Was soll auf das Mullahregime folgen? Es könnte eine demokratische Alternative sein, aber es könnte auch die Revolutionsgarde sein, militant, wütend und gut organisiert.
WOZ: Entscheidend für den Ausgang des Krieges dürfte die Reaktion der USA sein, der mit Abstand wichtigsten Schutzmacht Israels. Im Lager von Donald Trump scheinen zwei gegensätzliche Positionen vertreten zu sein: die «America First»-Fraktion, die einen Kriegseinsatz kategorisch ablehnt, und die proisraelische Fraktion, die eine militärische Intervention unterstützt. Ist für Sie schon absehbar, in welche Richtung es geht?
Dan Smith: Nein. Derzeit sind die Signale gemischt. Von einer Einigung mit dem Iran, die jener ähnelt, die Trump vor sieben Jahren in den Papierkorb geworfen hat, bis hin zu schweren US-Bombenangriffen, die auch unterirdische Ziele treffen können, ist alles möglich. Dabei sind diese gemischten Signale meiner Meinung nach nicht ein Ausdruck von Verwirrung oder Unsicherheit, sondern einer bewussten Strategie. Die unklare Haltung erlaubt es Trump, unabhängig von dem, was passieren wird, am Ende sagen zu können: Wir haben immer gesagt, dass wir es so tun werden.
WOZ: Ihr Institut hat gerade eben eine vertiefte Analyse zur «nuklearen Bedrohung» herausgebracht. Diese nimmt seit ein paar Jahren laufend zu. Hat der Krieg zwischen Israel und dem Iran Auswirkungen auf diese Bedrohung?
Dan Smith: Wenn ich etwa an Nordkorea denke, eine inoffizielle Atommacht, gehe ich davon aus, dass die israelischen Angriffe auf den Iran das nordkoreanische Regime ermutigen, seine Atomwaffen zu behalten und weiterzuentwickeln. Ihm soll nicht dasselbe passieren. Insofern hat der Krieg wohl eine Auswirkung auf die nukleare Bedrohungslage über die Region hinaus. Auch in Bezug auf den Iran selbst sehe ich ein Eskalationspotenzial. Die iranische Regierung könnte sich darin bestärkt sehen, dass ihr Überleben davon abhängt, Atomwaffen zu besitzen. Die Konsequenz wäre der Austritt aus dem Atomwaffensperrvertrag (NPT), dem zentralen internationalen Instrument, das die Verbreitung von nuklearen Waffen verhindert. Das wäre ein schwerer Schlag. Denn was wird Saudi-Arabien tun, sollte der Iran aus dem NPT austreten? Tatenlos zusehen oder ebenfalls ein Atomprogramm aufsetzen?
WOZ: Interessanterweise ist ja Israel dem NPT bis jetzt nicht beigetreten …
Dan Smith: Ja, das ist die Ironie an der Geschichte. Jener Staat, dessen Atomprogramm insbesondere in Europa und Nordamerika als legitim angesehen wird, besitzt seit sechzig Jahren heimlich Atomwaffen. Und das Atomprogramm des anderen Staates, der den Atomwaffensperrvertrag ratifiziert und eine Zeit lang sein Atomprogramm einer internationalen Kontrollbehörde gegenüber zugänglich gemacht hat, gilt als illegitim. Darin liegt ein Widerspruch in der Behandlung, den nachfolgende Generationen nicht leicht verstehen werden.
Dan Smith (73) ist Direktor des Stockholm International Peace Research Institute (Sipri), das umfassende Analysen zu aktuellen Kriegen und Konflikten sowie zu den globalen Waffenarsenalen publiziert.