Literatur: «Welche Frau steht hin und sagt das laut?»

Nr. 23 –

In ihrem Memoir «Mit Hund und Wort» blickt Esther Spinner auf die Schweizer Literaturszene – von schräg unten und ohne jede Bitterkeit.

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Esther Spinner sitzt draussen mit ihren Hunden
Ihre Rückschau ist viel mehr als eine Bilanz: Esther Spinner bricht auch ganz selbstverständlich mit den Tabus des Literaturbetriebs­. Foto: Katrin Simonett

Als Esther Spinner das entstehende Manuskript ihres Memoirs einer Kollegin zeigt, meint diese, der Hund müsse «überall im Text» sein. «Ob es mir gelingen würde, den Hund, die Hündin neben jedem Wort mitgehen zu lassen, so wie Cima neben mir an der Leine geht – ob das gelingen kann?»

«Du brauchst einen Hund», sagte ihr damaliger Mann, als sie mit knapp dreissig Jahren mit dem Schreiben ernst machte und dafür auf Sardinien ein einsames Häuschen mietete, und seither ist sie immer mit Hund. «Mit Hund und Wort» heisst nun der fertige Text, und beides ist darin gleichberechtigt.

In ihrem Memoir lässt sich Esther Spinner beim Schreiben zuschauen, das ist eine der vielen Qualitäten dieses ungewöhnlichen Buches. «Ich will herausfinden, ob ich es nochmals schaffe, diese Geschichte, die keine ist, zu einem Ende zu bringen. Mich ziehen zu lassen von den Sätzen, von den Ideen, den Erinnerungen, von der Schrankwand voller Zettel, weiterzumachen, auch wenn ich, wie immer, nicht weiss, wohin dieses Weitermachen führt.»

«Mit Hund und Wort» handelt davon, wie es war (und auch, wie es teilweise immer noch ist), in der Schweiz als Frau zu schreiben. «Ich will schreiben. Welche Frau steht hin und sagt das laut? Ich jedenfalls kannte damals keine.» Esther Spinner ist 1948 geboren. Als junge Frau machte sie eine Ausbildung zur Krankenpflegerin, wurde Berufsschullehrerin in der Pflegeausbildung und gab später Kurse für «Schreiben und Pflege». Ausserdem hat sie sechs Romane geschrieben, dazu Anagramme sowie ein Kinderbuch veröffentlicht.

Spinners erster Roman, «die spinnerin», erschien 1981, ausgerechnet in jenem Jahr, in dem der Gleichstellungsartikel von Mann und Frau in die Verfassung aufgenommen wurde. Sie sei nie ganz dabei gewesen in der Frauenbewegung, erinnert sie sich in ihrem Memoir, sei dort nicht als Schriftstellerin wahrgenommen worden, sondern nur als Feministin. Und in den vielen Frauengruppen, die sie mitgründete – angefangen 1988 mit dem «Netzwerk schreibender Frauen» –, galt sie als Vorzeigehetera. Bis sie sich dann doch in eine Frau verliebte.

Souverän im Zweifel

«die spinnerin» war das einzige ihrer Bücher, das «zur rechten Zeit kam und daher einigen Erfolg hatte». Obwohl es nichts Schlimmeres gebe als eine «halbbatzige» Schriftstellerin, gehöre sie «nicht zu den Grossen, Berühmten, Bekannten», konstatiert Esther Spinner nüchtern. «Es gab – und gibt? – eben Literatur, die richtige, wahre, von Männern geschriebene, und es gibt Frauenliteratur.» Das galt zumindest für die ersten Jahrzehnte ihres Schreibens, damals sei sie in der Schublade «Frauenliteratur» stecken geblieben.

Esther Spinner erzählt nicht vom Erfolg, sondern von dessen Ausbleiben, und sie bricht dabei ganz selbstverständlich die Tabus des Literaturbetriebs. Sie erzählt von der Scham, als zu einer Lesung niemand kommt («Die Unsicherheit hat mich seither begleitet»), und sie gesteht, dass sie Literaturfestivals meidet. «Aus Angst, den Begegnungen nicht gewachsen zu sein? Aus Scham darüber, nicht eingeladen zu sein? Aus Hochmut?» Doch in ihrem Memoir findet sich keine Spur von Ressentiment, Larmoyanz oder gar Bitterkeit, nur präzis gesetzte Worte.

«Mit Hund und Wort» ist ein ungemein ehrliches Buch. Es wirft einen Blick von schräg unten auf die Schweizer Literaturszene, den Blick einer Autorin, die einerseits ihrer Sache sicher ist und andererseits die Legitimation ihres eigenen Schreibens ständig in Zweifel zieht. «Masse ich mir etwas an, das mir nicht zusteht? Bin ich eine Falschspielerin?» Es ist dieser zugleich verletzliche und souveräne Ton, der die literarische Qualität des Memoirs ausmacht. Hier zieht eine Autorin nicht einfach Bilanz, sondern es geht um die Erforschung der eigenen Vergangenheit.

Trügerische Erinnerung

Dabei traut Esther Spinner ihrer Erinnerung nicht über den Weg: Ein ums andere Mal steigt sie in den Keller hinunter und überprüft ihr Archiv. Meistens ist die Erinnerung düsterer als der handfeste Befund. Als sie 1987 bei den Solothurner Literaturtagen eingeladen war, las sie aus einem unveröffentlichten Manuskript («Ich sass völlig allein vor einem grossen Saal»), und nach der Lesung stand ein Mann im Publikum auf und zerpflückte ihren Text («Sagte er gar Weibergewäsch?»), doch die Fotografien zeigen, dass sie keineswegs allein auf der Bühne war, wie sie es erinnerte.

Esther Spinner hat in ihrem Leben einen weiten Weg des weiblichen Schreibens zurückgelegt, an ihrer Seite Gea, Lina, Cora, Punta, Cima. Die Hündinnen liefern in diesem Memoir viel mehr als kurzweilige (und manchmal, ja, auch herzerwärmende) Anekdoten. Sie sind mit ihrem Leben und Sterben im Text so präsent wie die Worte und Zitate, etwa von Verena Stefan, mit der Esther Spinner befreundet war, oder von Virginia Woolf, die sich zur Überraschung der Autorin unversehens ins Buch drängt. «Vielleicht lebe ich mit Hündinnen zusammen, um ein wenig mehr von einer Welt zu begreifen, in der Flüsse oder Bäume als Wesen gelten.»

Esther Spinner ist eine Autorin, der nichts selbstverständlich ist, und das ist die Haltung, aus der Literatur entsteht.

Buchcover von «Mit Hund und Wort. Ein Memoir»
Esther Spinner: «Mit Hund und Wort. Ein Memoir». Edition 8. Zürich 2024. 288 Seiten.