Fussball und andere Randsportarten: Der Tod des Diktators

Nr. 51 –

Pedro Lenz befürchtet, dass die Fifa ihren Sitz bald nach Pjöngjang verlegt

Der letzte Montag präsentierte sich frisch eingeschneit, keusch, unberührt und vollkommen unschuldig, als aus meinem Transistorradio vom plötzlichen Tod des Diktators berichtet wurde. Das Surren der alten Kaffeemaschine hatte den Namen des Verstorbenen übertönt. Deshalb hörte ich bloss noch, er sei ein allseits gefürchteter Alleinherrscher gewesen, der das vollkommen abgekapselte und autoritäre Regime, das er seinerzeit übernommen hatte, in seiner Amtszeit mit aller Autorität gefestigt und perfektioniert habe.

«Jesses Gott, Sepp Blatter ist gestorben!», entfuhr es mir spontan. Unverzüglich wurde mein Empfinden getrübt. Trotz allem, was ich über den König der Fifa bis anhin gelesen und gehört hatte, verspürte ich die gleiche Trauer aufkommen, die mich immer einnebelt, wenn mich eine Todesnachricht erreicht. Es gibt niemanden, dem ich den Tod wünsche. Das hat vermutlich damit zu tun, dass ich nie aufgehört habe, an die Lernfähigkeit der Menschen zu glauben. Jedenfalls wurde ich nachdenklich und melancholisch. Also schaltete ich den Radioapparat aus und fragte mich, ob Blatters Tod, so traurig er mir vorkam, wenigstens dem Schweizer Fussball ein bisschen zugute kommen könnte. Bekanntlich hatte ja der Diktator eben erst gedroht, die Eidgenossenschaft aus der Weltgemeinschaft fussballspielender Nationen auszuschliessen.

Seit es den Fussballweltverband gibt, sind fussballerisch auf der Welt schon etliche grosse oder ganz grosse Schweinereien passiert. Es gab jede Menge Wettskandale, Dopingskandale, Bestechungsskandale, Steuerskandale und was ein Menschenhirn sich an Skandalen sonst noch vorstellen kann. Doch kein auch noch so schmutziger Skandal ist in seiner Tragweite vergleichbar mit dem Riesenskandal, der nun zur Verbannung des Schweizer Fussballverbands aus der Fifa führen soll.

Wie bitte, liebe Leserinnen und Leser? Sie fragen, was Christian Constantin, der Präsident des FC Sion, verbrochen hat, dass seinetwegen das ganze Land aus allen internationalen Fussballwettbewerben ausgeschlossen werden muss? Sie fragen, ob er Milliarden unterschlagen habe? Sie fragen, ob er im grossen Stil mit Drogen gehandelt habe? Sie möchten wissen, ob er Spieler oder Funktionäre geschmiert hat? Nein, schlimmer, viel, viel, viel schlimmer! Christian Constantin hat Zivilgerichte angerufen. Zivilgerichte sind im Weltbild der Fifa das Böse schlechthin. Zivilgerichte sind Verbündete der Justiz. In Zivilgerichten wird nach geltenden Gesetzen Recht gesprochen. Und demokratisch beschlossene Gesetze sind eine unvorstellbar lästige Errungenschaft für all jene, die ausschliesslich ihre eigenen Gesetze akzeptieren.

An diesem schneeweissen Montagmorgen fragte ich mich, ob der Diktator seine Nachfolge vor dem Tod geregelt hatte. Würde der neue Regent genau so streng und unerbittlich sein wie sein Vorgänger? Würde er wie Sepp Blatter verlangen, dass wir den FC Sion mit all seinen Spielern und Fans auf dem Altar der Fifa opfern, um uns von allen Sünden freizuwaschen?

Erst im Verlauf des Tages bemerkte ich meinen Irrtum. Der verstorbene Diktator war Kim Jong Il und nicht King Sepp. Das streng autoritäre Regime, von dem die Rede gewesen war, hiess Nordkorea und nicht Fifa.

Damit bleibt fussballerisch betrachtet alles unklar. Nun haben die Funktionäre des Schweizerischen Fussballverbands SFV fast keine andere Wahl, als die eigene Meisterschaft zur Farce zu erklären. Andernfalls wird die Fussballschweiz von der Weltkarte gestrichen. Die Axpo Super League wäre ab nächstem Jahr eine Alternativliga. Die Schweizer Nationalmannschaften aller Stufen könnten aufgelöst werden. Der FC Basel müsste seine Träume von weiteren Champions-League-Erfolgen begraben. Und die Fifa würde ihren Hauptsitz vermutlich von Zürich nach Pjöngjang verlegen.

Pedro Lenz, 46, ist Schriftsteller und lebt 
in Olten. Er wünscht allen WOZ-LeserInnen, inklusive Sepp Blatter, besinnliche Weihnachtstage.