Al Jazeera und die «nationale Sicherheit»
Gestern Sonntag hat die israelische Polizei in Jerusalem die Büros des katarischen Fernsehsenders Al Jazeera gestürmt, wenige Stunden nachdem das Kabinett einstimmig dessen Schliessung in Israel angeordnet hatte. Der Sender sei ein «Sprachrohr der Hamas», sagte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, er gefährde die Sicherheit des Landes und seiner Soldaten.
Für die Pressefreiheit in Israel sind das düstere Nachrichten. Grundlage für das Verbot ist ein neues Gesetz, das das israelische Parlament vor einem Monat eigens wegen Al Jazeera verabschiedet hat: Es gibt der Regierung die Möglichkeit, gegen ausländische Medien vorzugehen, die die «nationale Sicherheit des Landes» gefährden würden. Die vage Formulierung macht das Gesetz auch für andere Medien gefährlich. Was genau ist unter der «nationalen Sicherheit» zu verstehen? Wann wird legitime Kritik an der israelischen Regierung, der Armee oder ihrer Kriegsführung in Gaza zu einer Gefahr dafür? Wo zieht die israelische Regierung, die über die Umsetzung dieses Gesetzes jeweils im Einzelnen entscheidet, die Grenze?
Es stimmt, dass vor allem der arabische Kanal von Al Jazeera einen unkritischen Umgang mit der Hamas pflegt und die Massaker vom 7. Oktober kaum als solche benannt und verurteilt hat. Der Sender verbreitet regelmässig Propagandavideos, die die Hamas von ihren Gefechten gegen die israelische Armee veröffentlicht hat – als handle es sich dabei um seriöse Quellen. Damit ist Al Jazeera aber schlicht die Kehrseite der meisten grossen israelischen Fernsehsender, die den Krieg in Gaza vor allem aus der Perspektive der israelischen Armee zeigen und die Folgen des Kriegs für die Zivilbevölkerung in Gaza ausblenden.
Der Nachrichtensender, der auf Arabisch und Englisch nach eigenen Angaben mehrere Hundert Millionen Zuschauer:innen erreicht, ist eine der wenigen Quellen, die noch aus erster Hand über die dramatische Lage der Menschen in Gaza informieren können. Die Korrespondent:innen des Senders berichten bis heute aus allen Gebieten des Gazastreifens, selbst aus dem Norden, wo eine Hungersnot herrscht und von wo ansonsten kaum noch Informationen nach draussen dringen: über Bombenangriffe auf Wohnhäuser, Schulen oder Krankenhäuser. Sie sind potenzielle Augenzeug:innen von Kriegsverbrechen der israelischen Armee.
Immer weniger Israelis glauben, dass Israel den Krieg gegen die Hamas gewinnen kann, und das ohnehin schon geringe Vertrauen in die Regierung schwindet weiter. Indem Netanjahu nun gegen Al Jazeera vorgeht, reagiert er darauf, wie man es von autoritären Amtskollegen kennt: Er versucht, Kritik auszuschalten. Dass er dadurch das Vertrauen der Bevölkerung wiedergewinnt, ist allerdings unwahrscheinlich.