Was weiter geschah: Angriff auf den Frieden

Nr. 11 –

Ein Jahr und sechzehn Tage: So lange blieb der mit weissem Klebeband auf der Schaufensterscheibe einer Buchhandlung im Zentrum von St. Petersburg angebrachte Schriftzug «Miru mir!» (Frieden der Welt!) unbeschädigt. Kurz vor dem russischen Angriff auf die Ukraine hatte Ljubow Beljazkaja, die Betreiberin des Ladens «Alle sind frei», damit ihre Haltung zu Militarismus und Krieg für alle sichtbar offengelegt. Seither gab es weder Schmierereien noch sonstige Formen von Vandalismus.

Am Samstag war es doch so weit: Über dem ersten «M» klaffte ein Einschussloch, über die Scheibe hinweg zogen sich lange Risse. «Kaum zu glauben, dass es Menschen gibt, die so sehr etwas gegen das Konzept des friedlichen Zusammenlebens haben», kommentierte Beljazkaja auf Instagram. Nach dem ersten Schreck bat sie um Spenden, um die Scheibe auszutauschen. Zusätzliche Ausgaben kann der kleine Laden zurzeit nicht stemmen, dank breiter solidarischer Unterstützung liess sich aber zumindest dieses Problem rasch lösen.

Die Polizei einzuschalten, zog Beljazkaja gar nicht erst in Betracht; die tauchte dann von selbst auf. Obwohl sie ihren Verzicht auf eine Anzeige schriftlich versichert hatte, fand sich eine Kriminalexpertin ein. Sie bestätigte, dass der Schaden durch den Schuss aus einer Waffe entstanden war. Es folgte eine kurze Tatortbesichtigung – doch weder im Laden noch im Schneedickicht auf der Strasse liess sich das Projektil auffinden. Damit hatte sich die Geschichte für die Polizei auch schon erledigt.

Wer hinter dem Angriff steckt, ist nicht bekannt. Die Haltung der Polizei ist derweil eindeutig: Selbst im Fall einer Anzeige würden keine Ermittlungen eingeleitet. Nicht einmal die Aufnahmen der Videoüberwachung wollten die Uniformierten einsehen.  

Nachtrag zum Artikel «Ein Leben in der Anti-Utopie» in WOZ Nr. 8/23.