Von oben herab: Toskanisches Vergnügen in W.

Nr. 25 –

Stefan Gärtner war nicht im «Open Ground»

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Wie lange ist das her, dass die dumme «Zeit» vom westdeutschen Wuppertal als «neuem Berlin» sprach? Nur weil da eine «Kunstszene» in aufgelassenen Fabriken billige Ateliers finde?

Papier ist bekanntlich geduldig, und ich Zufallswuppertaler und Berlinskeptiker war da gar nicht bös drum, auch wenn das Nachtleben hier nicht sehr ergiebig ist, falls man nicht einfach ein Bier trinken oder zum Spanier will. Das geht selbst in Wuppertal ganz gut, sofern es nicht unter der Woche nach Mitternacht sein muss, eine Zeit, zu der wir Familienväter längst im Bett liegen. Das ist auch einer der Gründe, warum ich vom Technoclub Open Ground, der in der deutschen Presse gerade als ­«einer der besten Technoclubs im ganzen Land» («taz»), ja «bester Club Europas» («Spiegel») gefeiert wird, noch nie etwas gehört habe; der andere ist, dass mich Techno nicht interessiert und mir Distanzneurotiker Entgrenzungen auch suspekt sind.

Ich freue mich trotzdem, dass über die Stadt, zu der ich gekommen bin wie die Jungfrau zum Kind und in der ich bleiben werde, bis der Jüngste aus der Schule ist (er ist noch nicht mal drin), was Gutes in der Zeitung steht. Zwar ist es dumm, sein Selbstwertgefühl aus seinem Wohnort zu ziehen (womit wir wieder in Berlin wären), aber wenn es zwei Sorten Provinzler gibt: die eingefleischten und die notgedrungenen, dann bin ich vermutlich doch eher vom zweiten Schlag, falls das nicht eine dumme Ausrede ist und ich in die Mittelstädte, die zumeist mein Wohnsitz waren, nicht alles in allem gut hineingepasst habe. Das würde auch meine Sympathie fürs Helvetische erklären.

Nun also Wuppertal, das sich zu Düsseldorf verhält wie Winterthur zu Zürich und zwei Attraktionen hat: die Schwebebahn und Pina Bausch, wobei die Tanzkünstlerin Bausch, ganz wie der Wuppertaler Friedrich Engels, bereits tot ist. Manchmal überlege ich, ob ich lieber in Bochum leben würde, weil Bochum eine U-Bahn und mehr Kinos hat, aber eine U-Bahn ist keine Attraktion und meine Grönemeyer-Phase längst vorbei. Die Schwebebahn ist eine Stadtbahn auf Stelzen, durchquert die Stadt, 1929 aus Elberfeld, Barmen und drei kleineren Orten zusammengefügt, sehr malerisch die Wupper entlang und kostet die Stadt Unsummen. Der Rest des öffentlichen Nahverkehrs ist darum gut mit dem Wort «Grundversorgung» bezeichnet, auch weil Wuppertal in den Zeiten, als das als modern galt, seine Strassenbahnen entfernt hat und sich jetzt Busse die allgegenwärtigen, zum Tal gehörenden Berge hochquälen. Fahrradfahren ist hier eher was für Unentwegte, denn Wuppertal ist eine Art Freiluftmuseum zum Thema «Die autogerechte Stadt der Wirtschaftswunderzeit», wobei das Wirtschaftswunder hier noch viel entschiedener vorbei ist als andernorts.

Zu Engels’ Zeiten, seines Zeichens Textilfabrikant, gab es viel Industrie, weshalb auch das «bettelarme» («taz») Wuppertal ein Villenviertel hat. Dort leben die vierzig Prozent Stadtbevölkerung mit dem sogenannten Migrationshintergrund eher nicht, denn wer arm ist, wohnt im Zentrum, während sich das in Berlin nur Erbinnen und Spitzenverdiener noch leisten können. Der Stadt eigentümlich ist ein geradezu grotesker Lokalpatriotismus, der Leute sagen lässt, sie hätten ja nun in Paris und New York gelebt, aber in Wuppertal sei es doch am schönsten; man wartet dann auf ein Ironiesignal, doch es kommt keins. «Im Dunkeln einer Juni-Nacht ist ein kurzer Spaziergang über den Bahnhofsvorplatz in Wuppertal ein fast schon toskanisches Vergnügen: Im Rücken strahlt der klassizistische alte Bahnhof Elberfeld über der Piazza, und selbst die bisweilen funktionale Architektur wirkt hier etwas leichter als sonst wo in der Bundesrepublik», singt der Technokorrespondent der «taz», über dessen Geburtsort das Internet leider nichts verrät. Ich habe so eine Ahnung.

Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er jede zweite Woche das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.