Nachtleben: Die Zukunft ist (nicht) vorbei

Nr. 7 –

Nach zwanzig Jahren schliesst Ende März ein zentraler Ort des Zürcher Nachtlebens: Der Club Zukunft entstand einst als ein Versprechen des neuen Jahrtausends.

eine Person läuft die Treppe des Zürcher Club Zukunft hoch, im Hintergrund ein Plakat mit der Aufschrift «ZUKUNFT 29. October 2005 – 23. March 2025 †»
Die Gentrifizierung frisst ihre Kinder: Der Zürcher Club Zukunft war weit mehr 
als eine Tanzfläche.

Zukunft. Sieben Buchstaben, die zunächst eine Richtung, aber kein Ziel vorgeben: Sie steht Optimist:innen offen und denen, die pessimistisch auf den Lauf der Dinge blicken. Es ist verlockend, einen Text über das Ende des Zürcher Clubs Zukunft mit einem Wortspiel zu beginnen. Der potente Name, erdacht von Künstler und Grafiker A. C. Kupper, regt die Vorstellungskraft an.

Ein zentraler Ort des Nachtlebens im Zürcher Kreis 4 gab sich 2005 diesen Namen und wird im März schliessen. Dass er einem mischgenutzten Neubau weichen muss, klingt wie eine sich selbsterfüllende Prophezeiung, direkt aus dem Handbuch neoliberaler Stadtentwicklung. Der Fortschritt lässt sich nicht aufhalten, die Gentrifizierung frisst ihre Kinder. Bevor sie bald der Vergangenheit angehört, stellt sich die Frage: Wie sah die Zukunft aus, die sich in diesem unscheinbaren Bürogebäude nahe der Langstrasse fast zwanzig Jahre lang Nacht um Nacht ereignet hat? Wer kam hier zusammen, um dem Zerrinnen von Zeit beizuwohnen?

Die Zukunft war ein durchlässiger Ort, der für unterschiedliche Erfahrungen zur Verfügung stand. Als inoffizieller Nachfolger der legendären Dachkantine in Zürich West, deren Macher zum Teil auch hier Inhaber wurden und somit ein Vierteljahrhundert des städtischen Nachtlebens mitprägten, erlangte der Club schnell über die Landesgrenzen hinaus Bekanntheit. Sein qualitätsbewusstes Programm, in dem die lokale Szene auf internationale Künstler:innen traf, brachte ihm einen guten Ruf ein. Unter dem Oberbegriff «Club» subsumiert war die Zukunft eine Tanzfläche, aber auch eine generationenübergreifende Begegnungszone, Konzertlokal, Pop-up-Restaurant, Fumoir, Musiklabel, Verlag, interdisziplinäre Kollaborateurin sowie Kunst- und Designfreundin.

Versprechen des Jahrtausends

Man sollte die Zukunft als Produkt ihrer Zeit begreifen, eingeschrieben in Diskurse und Entwicklungen, die die Clubkultur der letzten zwanzig Jahre beeinflusst haben. Der zeitliche Zusatz ist wichtig, denn: Die Clubkultur in den USA in der Disco- und House-Ära der 1970er Jahre meint etwas anderes als die Clubkultur in Berlin nach dem Fall der Mauer im Jahr 1989. Die erste erzählt eine Geschichte der Emanzipation, in der neue Räume für eine meist queere, afro- und lateinamerikanische Gemeinschaft entstanden. In den Undergroundclubs von Chicago und New York konnte sich diese den Gefährdungen durch eine konservative Politik und Gesellschaft entziehen und machte die Tanzfläche zu einem politischen Ort. Die zweite evoziert das Bild einer Stadt und Jugend im Aufbruch, die Freiräume besetzte, neue Möglichkeiten imaginierte und ein wiedervereintes Land im Zeichen des Techno feierte.

33 Tage Abschied

Das Abschlussfestival der Zukunft dauert ambitionierte 33 Tage und bringt viele Weggefährt:innen der letzten zwanzig Jahre zusammen. Alte Helden wie Bruno Spoerri und junge DJs wie Jamira Estrada, Ayshat Campbell oder DJ Aya gesellen sich zu festen Grössen des Clubs wie Alex Dallas, Kalabrese oder Lexx. Ein Best-of Zürichs, dazu internationale Gäste wie das DJ-Duo Optimo, Matthew Herbert oder Seth Troxler. Ein Programm für viele letzte Momente.

Closing Festival der Zukunft: 19. Februar ­bis 23. März 2025. Das ganze Programm findet sich hier: www.zukunft.cl.

 

Seit der Gründung der Zukunft 2005 ist die Welt eine andere geworden, und die Rolle der Clubkultur hat sich mit ihr verändert. Damals existierten Plattformen wie Spotify, Facebook oder Youtube noch nicht oder erst seit kurzem, die erste Präsidentschaft Barack Obamas stand bevor, Angela Merkel wurde deutsche Bundeskanzlerin. In Zürich war der Prime Tower noch nicht Teil des Stadtbilds, auch das Toni-Areal als neuer Standort der Zürcher Hochschule der Künste oder die Europaallee befanden sich erst in der Planungsphase. Das junge Jahrtausend trug angedeutete Versprechungen eines gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Fortschritts in sich.

In der Zukunft spiegelten sich diese Versprechungen in einer ausgeprägten Experimentierfreudigkeit. Seit Beginn wurde, neben dem musikalischen Programm, Wert auf publizistische und gestalterische Arbeit gelegt, die den Kosmos und Kontext des Clubs anreicherte und ihn mit vielen kulturellen Akteuren (es waren vor allem Männer) in Kontakt brachte. In Zusammenarbeit mit Grössen der städtischen Grafik- und Kunstszene wie dem Fotografen Pierluigi Macor, dem Verleger Patrick Frey oder dem Grafiker Jonas Voegeli entstanden Fortsetzungsgeschichten, die als Monatsprogramme veröffentlicht wurden, Fotobücher und weitere thematisch vielseitige Publikationen. Mit der Graffiticrew KCBR wie mit dem Gestalter Laurenz Brunner entstanden Merchandiseartikel. Früh setzte der Club auf ein eigenes Onlinemagazin (zu dem auch ich Texte beigetragen habe), das Künstler:innen oder Zürcher Plattenläden vorstellte und, mit Texten über wegweisende Platten oder prägende Genres, Raum für Reflexionen über die elektronische Musikkultur bot.

Nachtleben in der Krise

Die Jahre vergingen, die Zukunft nahm ihren Lauf und etablierte sich; wurde so etwas wie der Platzhirsch des Zürcher Nachtlebens, der irgendwann weniger für sein innovatives Potenzial als seine Verlässlichkeit bekannt war. Mal kam neues Publikum dazu, mal kam welches abhanden, das weiterzog an besser versteckte Orte der Subkultur. Musikalisch wegweisend waren die frühen Jahre, als, oft erstmalig in Zürich, Pioniere des Detroit Techno wie Juan Atkins, DJ-Legenden wie DJ Harvey oder Theo Parrish und ambitionierte Bandprojekte wie Plaid – die noch einmal am Abschlussfestival (vgl. «33 Tage Abschied») auftreten werden – im engen Keller zu hören waren. Das Programm blieb beweglich genug, damit dem Publikum nicht langweilig werden musste, junge DJs der Stadt bekamen die Gelegenheit, den Sound des Clubs mitzuprägen. Neue Räume des Gebäudes wurden erschlossen, 2009 die Bar3000 im Erdgeschoss und vor zwei Jahren die Waxy Bar ein Stockwerk darüber, ein Ort für handgemachte Livemusik. Alles in allem darf man sich das Leben an der Dienerstrasse 33 als ein angenehmes vorstellen, die Zukunft konnte sich zwei Dekaden lang entfalten.

Nun, im Jahr 2025, erholt sich die Welt nur langsam vom Schock einer globalen Pandemie, Donald Trump steht am Anfang seiner zweiten Amtszeit als US-Präsident, die Kaufkraft schwindet, rechtskonservative Kräfte gewinnen weltweit an Einfluss, Russland führt seit drei Jahren Krieg gegen die Ukraine, die Situation in Gaza ist eine Katastrophe, die Meeresspiegel steigen. Die Digitalisierung verlagert den Alltag in den virtuellen Raum, und Algorithmen bestimmen die Entwicklung, Distribution und Rezeption von Kultur.

Mit der Welt befindet sich auch das Nachtleben in der Krise, es ist vom Clubsterben die Rede. In England mussten in den letzten vier Jahren 37 Prozent der Clubs schliessen, in Deutschland sieht es ähnlich aus. In der Schweiz laufen Pilotprojekte zur strukturellen Förderung der Clubkultur an, in der Hoffnung, eine vergleichbare Entwicklung zumindest zu verlangsamen. Die Gründe für diese Erosion sind vielfältig, sowohl wirtschaftlich als auch ideologisch: Clubs haben Konkurrenz bekommen durch grosse, auf ein Eventpublikum ausgerichtete Festivals, die sich den absurden Vorgang des DJs-um-die-Welt-Fliegens noch leisten können und wollen. Das Ausgeh- und Konsumverhalten jüngerer Generationen hat sich geändert, die politische Haltung, die ein Club vermittelt (oder eben nicht), wird wichtiger. Purer Hedonismus scheint angesichts der Weltlage antiquiert – und hat nicht zuletzt gerade deswegen weiterhin seinen Reiz.

Diese Herausforderungen machten auch der Zukunft zu schaffen: Der Wille, Dinge zu verändern und beweglich zu bleiben, war weiter spürbar, der grössere wirtschaftliche Druck allerdings ebenfalls. Ein Gefühl von Gemeinschaft, das für die DNA eines guten Clubs so wichtig ist, stellte sich seltener ein: Besucher:innen älterer Generationen verlagerten ihren Fokus, die Jüngeren suchten neue Orte, die niederschwelliger mitgestaltet werden konnten und mehr Identifikation boten.

Der italienische Philosoph Franco «Bifo» Berardi stellte 2009 in seinem Buch «After the Future» die These auf, dass die Zukunft kein eindeutiges Konzept, sondern eine kulturell konzipierte Projektion sei, um dann konsterniert festzustellen: «Die Zukunft ist vorbei.» Ein Club, der so heisst, muss nun schliessen, man könnte Berardi also einfach zustimmen. Oder aber hoffen, dass auf diese Zukunft bald eine neue folgt.