Dominic Deville: Ein Kindergärtner schlägt Alarm mit Drei-Akkorde-Songs

Nr. 42 –

In seinem Soloprogramm «Kinderschreck» beschreibt der Punk Dominic Deville seinen Alltag als Kindergärtner. Eine schaurig laute Märchenstunde für Erwachsene – und ein Plädoyer gegen die Angst.

«Ich lege keinen Wert darauf, in allen Kreisen gut anzukommen»: Dominic Deville, der lauteste Kindergärtner der Schweiz, erschreckt am liebsten Erwachsene.

Zwei Bier muss Dominic Deville schnell bereitstellen, bevor er sich im Backstageraum des Kleintheaters Luzern hinsetzt und eine Cola trinkt. Das Bier ist für die Bühne. Er trägt ein T-Shirt der britischen Anarcho-Punkband The System, auf dem steht «The System – Is Murder». Auf der Bühne wird er später erzählen, wie seine Shirts ihm beruflich schon mehr als einmal in die Quere kamen.

Deville ist Kindergärtner, seit fünfzehn Jahren steht er immer wieder vor einer Klasse Vier- bis Sechsjähriger. Das führte zu einem unerschöpflichen Anekdotenpool, aus dem Deville in seinem zweistündigen Stück «Kinderschreck!» fischt. Wobei «fischen» hier die falschen Assoziationen weckt – von Idylle keine Spur, von Ruhe und Entspannung schon gar nicht. Der 39-Jährige ist laut, schnell und unberechenbar. Der Kindergarten hat ihn geprägt: «Ich konnte mir nie vorstellen, Schule zu geben, da werden die Kinder schon langsam erwachsen und angepasst. Die Erwachsenenwelt interessiert mich nicht.» Im Kindergarten schleife man Rohmaterial zurecht, das mache Spass.

Selbermachen ist sein Credo

In Luzern ist Deville ein kleiner Star. Die Heimspiele im Kleintheater sind ausverkauft, man freut sich, das verlorene Kind wieder in der Stadt zu haben. Nach diversen Auftritten mit Bands und als DJ und nach seinen legendären «Vinylmassakern», bei denen Platten entweder versteigert oder mit der Kettensäge geschreddert wurden, findet Deville, die Stadt sei «abgespielt». «In Luzern war ich am Ende zu exponiert. Das wurde langweilig.» Zürich ist sein neues Zuhause. Eines muss er seiner Heimatstadt aber lassen: «Luzern ist die einzige noch wahre Punkstadt der Schweiz», sagt er und nimmt noch einen Schluck Cola.

Kann man heute noch Punk sein? Und wenn ja, wie? «Die Bewegung ist heute noch inspirierend und von Bedeutung», sagt Deville. «Das Do-it-yourself-Ding war für mich früher wahnsinnig wichtig. Warte nicht darauf, dass dich jemand fragt, ob du eine Band gründen willst, mach selber!» Vielleicht sei es heute aber eher der Hip-Hop, der das propagiere. Dass sich Deville stark mit der früheren Punkbewegung identifiziert, merkt man auch an seiner Biografie. Über das Jahr 1977, das offizielle Jahr null des Punk, schreibt er in seinem Lebenslauf: «Mehrwöchiger Aufenthalt in der kinderpsychiatrischen Abteilung wegen unerklärlicher Schreianfälle, welche sich schliesslich als angeboren und daher harmlos erweisen.»

Ängste und Explosionen

Wäre Deville gern zu sich selbst in den Kindergarten gegangen? «Ich denke, ja. Im Kindergarten kann ich Themen machen, die ich gut finde, bin also sicher motiviert.» Das Wichtigste, so findet Deville, sei es, keine Angst zu haben. Das gelte für Kinder wie Erwachsene. Der Programmtitel «Kinderschreck!» impliziere bewusst, er sei der Kinderschreck. Aber: «Nicht ich erschrecke die Kinder! Sie erschrecken mich mit ihren Antworten, Fragen, ihrer Schlagfertigkeit und ihren wilden Ideen», sagt Deville. Kinderängste hingegen seien ernst zu nehmen. «Wenn es beim Erzählen für zwei, drei Kinder nicht mehr stimmt, muss man bremsen. Es geht mir ja darum, wie man Ängste überwinden kann. Keine Angst zu haben, macht das Leben einfacher und sicherer.»

Die Faszination für die Materie nimmt man ihm ab, die Attitüde ist kein Rollenspiel. Deville ist ein begnadeter Unterhalter, aber kein Schauspieler. Und anders als andere, die sich in der Kleinkunstszene mit dem Titel «Punk» schmücken, bleibt er auf der Bühne authentisch. Sein Stilmittel: Überraschung und Schnelligkeit. Er springt von Situation zu Situation, referiert über die sektiererischen Konventionen eines Kindergeburtstags, über mühsame Elterntelefone und verkaterte Montage, über Werkstunden, die keine Bastelstunden sein sollten, und darüber, wie er jedes Jahr von zwanzig kleinen FreundInnen verlassen wird. Deville schreit Drei-Akkorde-Songs mit einfachen Messages, die auch im Kindergartenkontext effektiv eingesetzt werden könnten. Dazwischen ploppt eine Flasche Bier.

Das Publikum ist dankbar, selten genug erlebt man in der Schweizer Kleinkunstszene eine solche Explosion. «Auf der Theaterbühne mache ich das, was ich schon auf den Konzertbühnen gemacht habe: ein bisschen Alarm», sagt Deville. Er habe sich bei seinen Projekten nie gross reflektiert, sei ein Bauchmensch geblieben. Das gelte auch politisch. «Sobald irgendwo nur noch von Angst gesprochen wird, macht mich das wütend. Da stimme ich extra anders.» Deshalb tritt er auch nicht überall auf. «Ich lege keinen Wert darauf, in allen Kreisen gut anzukommen. Nie würde ich an einer SVP-Versammlung auftreten, ich habe keinen Bock darauf, dass mich solche Leute lustig finden.»

Wer Devilles Märchenstunde besucht, läuft grinsend und mit einem Ohrwurm von The Exploited heim. «Ich spiele mit dem popkulturellen Hintergrund des Punk, und nicht mit dem Image.» So ist «Kinderschreck!» nicht nur ein Einblick in die aufregende Achterbahnfahrt der Gefühle eines Kindergärtners, sondern auch ein kleiner Punk-Crashkurs.

Was läuft momentan auf Devilles Plattenspieler? «Es ist ganz schlimm, ich höre immer noch das ganz alte, verstaubte Punkzeug wie momentan Flux of Pink Indians. Ich hätte nie gedacht, dass ich das sage, aber neuer Punk interessiert mich nicht, das ist alles Scheisse.»

Nächste Vorstellungen von «Kinderschreck!»: Opfikon, Kleintheater Mettlen, Freitag, 31. Oktober 2014; Basel, Theater Fauteuil, 
Mittwoch–Freitag, 5.–7. November 2014; 
Kirchberg SG, Depot, Samstag, 29. November 2014.