Von oben herab: Es wird Zeit
Stefan Gärtner über teure Skiferien

A. ist der Patenonkel des Grossen und ein Mann, den man anrufen kann, wenn der Computer nicht funktioniert, also insgesamt eine Idealbesetzung für den Posten eines Freunds der Familie. Im Winter fährt er gern in die Berge, wobei wir gar nicht wissen, ob er da Ski fährt oder nicht doch lieber, nach einem kleinen Schneespaziergang, im Tweedanzug vorm Kamin sitzt und sich einen Schümli-Kaffee servieren lässt.
Er fährt nämlich am liebsten in die Schweiz, oder jedenfalls: fuhr. «Na, wieder nach St. Moritz dieses Jahr?», habe ich neulich gewitzelt, woraufhin er antwortete, nee, die Schweiz sei ihm mittlerweile zu teuer, er weiche nach Südtirol aus. Nach Südtirol wollte ich auch immer mal, wobei der Haken wäre, dass ich mir als Salonvegetarier den hervorragenden Speck verkneifen müsste. Das muss A. nicht, und auch in diesem Sinne wünsche ich ihm einen angenehmen Aufenthalt, und am Geld muss es nicht so scheitern wie in der Schweiz. Ein Fünfsternegast, lesen wir in der «NZZ am Sonntag», «lässt pro Tag im Schnitt 630 Franken liegen. Ein klassischer Fall von: Weniger ist mehr», womit die alte Tante den Umstand kommentiert, dass sich die (im Wortsinn) schmelzenden Skigebiete der Schweiz im wachsenden Masse auf den Luxusgast konzentrieren. Die Zahl der Mittelklassehotels sinkt, die der hochpreisigen Unterkünfte steigt, und in Zürich ist man einverstanden: «Die schneesicheren Destinationen in den hohen Lagen werden in den kommenden Jahren noch exklusiver. Es wird Zeit, sich damit abzufinden – und die positiven Seiten zu sehen. Luxustourismus beugt überbordendem Massentourismus vor.»
Wenn ich jetzt sage: «So kann man das natürlich auch sehen», ist das viel weniger ironisch, als es klingt. Ich wiederhole mich, wenn ich auf Max Goldt verweise, der mal schrieb, viele Umweltprobleme hätten wir gar nicht, wenn Autofahren ein Hobby für die Reichen geblieben wäre. Demokratisierung von Konsum, zumal unter kapitalistischem Vorzeichen, heisst, dass mehr konsumiert wird, und es ist nicht allein konservatives Ressentiment, das sich fragt, wem das nun eigentlich hilft, dass jeder Tubel nach Paris fliegen kann, um die «Mona Lisa» zu fotografieren, eine «Mona Lisa», die ihm so lange egal ist, wie er sie nicht auf dem Handyspeicher hat.
Irgendwann noch mal möchte ich ein Buch über Widersprüche schreiben, über Fragen, die sich der einfachen Antwort entziehen. Eine einfache Antwort ist zum Beispiel: Es ist richtig und wichtig, dass Abitur machen und studieren kann, wer immer das will. Je mehr Leute nun aber Abitur machen, desto grösser ist das Stigma für die, die keines haben. Statt immer mehr Abiturienten zu entlassen, die nicht wissen, in welchen Jahrhunderten Goethe lebte, bitte mehr Sekundarschülerinnen, die es nach der zehnten Klasse wissen – das wäre eine gute Forderung, wenn die Klassenkämpfe nicht sowieso auch in der Schule ausgetragen würden und das Wort «Bildungsprivileg» anzeigt, worum es geht. Da das Buch aber von Widersprüchen handeln soll, die auch Linke gern einmal aushalten dürfen, bliebe die Frage, wem das nun eigentlich hilft, wenn von zwanzig Studierenden nur einer (!) weiss, was die Nürnberger Gesetze waren, und sie dann auch noch mit den Nürnberger Prozessen verwechselt.
Als jemand, der, um es auszuprobieren und auf Gruppendruck hin, mit Anfang zwanzig mehr als einen Skiurlaub eher durchgestanden als genossen hat – um 8 Uhr aufzustehen, um dann den ganzen Tag unter Todesangst den Anfängerhügel hinunterzuschlittern, entspricht meiner Vorstellung von Urlaub nur bedingt –, kann es mir wirklich egal sein, wenn Skifahren zum Luxushobby wird. Die andere Möglichkeit wäre, dass ein Sozialismus die Winterferienplätze wieder nach DDR-Sitte zuteilt, und dann vielleicht nicht jedes Jahr. Ein klassischer Fall von: Weniger ist mehr. Aber mehr für alle, nicht bloss fürs Gewerbe.
Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er jede zweite Woche das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.