Von oben herab: Unterm Joch

Nr. 1 –

Stefan Gärtner über das Warten auf den Schnee

Den Schnee, auf dem wir alle talwärts fahren, kannte zu Falcos Zeiten noch jedes Kind, aber dass es damit zu Ende geht, markierte in meiner Wahrnehmung vor ein paar Jahren die H&M-Reklame für einen Wintermantel, in der das Model nicht im Schnee, sondern im Schneeregen stand. Auch in der Fernsehwerbung kommt der Weihnachtsmann nicht mehr durch den Tiefschnee gepflügt, und wenn ich Schuberts «Winterreise» höre, bemühe ich mich ernstlich, nicht aus dem Fenster zu sehen.

In der Schweiz ist im Dezember so wenig Schnee wie seit Messbeginn nicht gefallen, und unter dem irisierenden Rubrum «AlpTraum» fragte der «Blick am Abend»: «Wann wirds mal wieder richtig Winter?» Vor der nächsten Eiszeit dürfte das schwer werden: Laut dem Institut für Schnee- und Lawinenforschung der Uni Neuenburg wird der Schweizer Winter seit 35 Jahren immer kürzer. «Im Schnitt beginnt die Schneesaison heute 12 Tage später als 1970, und sie endet 25 Tage früher. Auch die maximal gemessene Schneemenge ging zwischen 1970 und 2015 um ein Viertel zurück» («NZZ»). In den Schweizer Bergen (wie in denen Österreichs und Bayerns) brennen neuerdings sogar die Wälder, und das Pressefoto, das Bundesrat Guy Parmelin bei seinem Besuch im Bündner Misoxtal zeigt, wo die Armee beim Löschen hatte helfen müssen, ist so schmutzig aus Grün und Braun zusammengesetzt, wie es die Fernsehbilder von der Vierschanzentournee waren, sofern sie die Sprungschanze mal verliessen.

Was, mit Ulbricht, lehrt uns das? Dass erstens der Klimawandel evtl. doch keine Erfindung der Chinesen ist; und dass zweitens freilich alles einwandfrei weitergeht. Denn der Skitourismus ist kein ganz unbedeutender Erwerbszweig, und wo wir in einer Welt, in der es nicht auf die Verwertbarkeit von allem und jedem und jeder ankäme, die veränderten «Wetterverhältnisse» (Ror Wolf) zur Besinnung nutzen könnten, wird in der unseren nach alter Methode versucht, per Technik zu retten, was per Technik erst ruiniert worden ist: «Heute graben viele die Berge um, verlegen Wasser-, Strom- und Datenleitungen, setzen Kanonen und Lanzen. Die Hälfte der Schweizer Pisten kann beschneit werden. In Österreich sind es 80 Prozent, in Südtirol in Italien gar 95. (…) Die Anlagen sind durstig. Laut Pro Natura verbrauchen sie jährlich 18 Millionen Kubikmeter Wasser, wie 140 000 Haushalte. Trotz dreier Speicherseen werde das Wasser in Lenzerheide knapp», zitiert der Abend-«Blick» den Fahrer einer Pistenraupe samt dem Scherz: «Wir sollten im Winter weniger duschen.»

Dass Natur vorm «Imperialismus» des Menschen ein «Objekt totaler Ausbeutung» ist, war schon Max Horkheimer aufgefallen, der Systemprobleme erkannte, wenn er sie sah: «Die Geschichte der Anstrengungen des Menschen, die Natur zu unterjochen, ist auch die Geschichte der Unterjochung des Menschen durch den Menschen.»

Und damit es damit keinesfalls ein Ende habe, berichtet der Tages-«Blick» vorsorglich über «Gras-Ski»: «Anstatt auf dem Schnee zu rutschen, rollen die Ski über die grüne Wiese.» Von der natürlich niemand wissen will, wie grün sie hinterher noch ist; und das ist dann vielleicht doch schade, dass die Natur sich gegen die remmidemmisüchtige Menschheit nicht mehr so wehren kann wie zu Zeiten Erich Kästners: «Das Gebirge machte böse Miene. / Das Gebirge wollte seine Ruh. / Und mit einer mittleren Lawine / deckte es die blöde Bande zu.»

Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.