Von oben herab: Menschen 2017

Nr. 51 –

Google erklärt Stefan Gärtner die Schweiz

Die Welt ist ja bekanntlich alles, was der Fall ist, wobei das, was der Fall ist, sich nicht mehr von Fall zu Fall oder per Zufall bestimmt, sondern durch eine Google-Suche. Jedes Menschenleben, sofern internetfähig, ist ein Google-Suchverlauf, und wer etwa wissen will, was die Schweiz im grad vergehenden Jahr beschäftigt hat, erfährt im Google-Trendreport 2017, dass ihre zehn populärsten Suchanfragen waren: «iPhone 8», «Wimbledon», «iPhone X», «Mall of Switzerland», «Donald Trump», «Fidget Spinner», «Ueli Steck», «Eurovision», «Ski WM» und «Irma».

Es wird die deutsche Bildungspolitik, die sich so glühend für die Digitalisierung der Klassenzimmer einsetzt, freuen, dass der Beweis hier gewissermassen selbst antritt, dass Fragen, die dem Weltnetz gestellt werden, den Ausgang aus selbstverschuldeter Unmündigkeit zum Ziel haben: Unter den zehn am häufigsten platzierten Suchbegriffen sind immerhin zwei, die wenigstens entferntes politisches Interesse verraten, alles andere ist Sport und Einkaufen, was durchaus genau zu der Information passt, dass nur mehr zwanzig Prozent der Leute Bücher lesen und die anderen ihre Zeit damit vertun, ihr noch gar nicht so altes iPhone zu fragen, wann denn endlich das neue iPhone herauskommt.

Der Kreis ist damit geschlossen und das Ziel nicht nur von Apple glücklich erreicht, denn auch Google ist ja seine eigene konkrete Wahrheit; und da ich neulich zum ersten Mal die heikle Bildungsvokabel «hypostasieren» verwendet und gleich ziemlich falsch verwendet habe, kann ichs hier gleich noch mal probieren: Google hypostasiert sich als letztinstanzlich. (Obs diesmal hinhaut? Bitte googeln!)

Aber «das Internet» (Sascha Lobo) bietet, neben Informationen zum Internet und zu Geräten, mit denen man ins Internet gelangt, um Informationen über neue internetfähige Geräte zu erhalten, gottlob auch Lebenshilfe, und die brennendsten helvetischen «Was-Fragen» lauteten: Was ist Schmand? Zeckenbiss, was tun? Was besteht aus Spiegel und Fahne? Hexenschuss, was tun? Was ist Halloween? Früher gab es in der Schweiz gar kein Halloween, dafür wusste man noch, was Schmand ist, wie ich allerdings selbst schon im Supermarkt stand und googeln musste, ob zwischen Schmand und Creme fraiche ein Unterschied besteht. (Eben gegoogelt, dass es freilich Crème fraîche heissen muss.) Vermutlich wusste Oma noch ganz analog, was bei Zeckenbissen zu tun ist, aber sie hatte eine fünfzigprozentige Chance, die Zecken falsch herauszudrehen, weil kein Internet ihr sagte, dass das unbedingt im bzw. gegen den Uhrzeigersinn zu geschehen hat. (Lieber noch mal googeln, ah, schon falsch: «Da der Stechapparat einer Zecke zwar viele Widerhaken, aber kein Gewinde besitzt, müssen Sie die Zecke beim Entfernen weder rechtsherum noch linksherum herausdrehen.») Ich glaube aber, eine sog. Zeckenzange ist ganz gut (Quelle: Ehefrau, hatte mal einen Hund).

Bei Hexenschuss gab es früher eine Spritze, das machen die Ärzte heute leider nicht mehr, wie ich vorm Krankheitengoogeln aber auch warne, da hat man so gut wie immer etwas ganz und gar Tödliches. Und die Frage, was aus Spiegel und Fahne besteht, kann ich ausnahmsweise sogar aus dem Effeff beantworten: die «Spiegel»-Redaktionskonferenz. Hahahaha!

Kommen Sie gut über die Feiertage und ins neue Jahr; und sollten Sie noch Fragen haben: Startpage, Duckduckgo o. ä. wissen die Antworten auch.

Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.