Film: Machtmissbrauch ist ansteckend

Nr. 21 –

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Still aus dem Film «Santosh»
«Santosh». Regie: Sandhya Suri. Grossbritannien/ Deutschland/Frankreich 2024. Jetzt im Kino.

Sie nennen es «Anstellung aus Mitgefühl»: Als ihr Mann bei einem Aufruhr ums Leben kommt, erbt Santosh (Shahana Goswami) dessen Posten bei der Provinzpolizei in einer fiktiven Stadt im Norden Indiens. Es ist eine Regierungsmassnahme, um den Frauenanteil in der Polizei zu erhöhen – und für Santosh ihre erste Chance auf finanzielle Unabhängigkeit.

Die Schulung umfasst «auf Frauen zugeschnittene Aufgaben»: Im Park jungen Paaren auflauern, die sich zu nahe kommen, die Kniebeugen der Ertappten zählen, Schmiergelder annehmen. Doch schon bald wird es ernst: Im Brunnen der Landarbeiter:innen taucht die Leiche eines Mädchens aus einer unteren Kaste auf, mit Spuren einer schweren Vergewaltigung. Wenige Tage zuvor hatte Santosh dem Vater vergeblich dabei zu helfen versucht, eine Vermisstenanzeige bei ihrem Vorgesetzten aufzugeben, der die Tat nun vor laufenden Kameras auf das «sittenlose» Verhalten des Mädchens schiebt (Smartphone, Jeans, Ausgehen).

Patriarchaler Machtmissbrauch, sexuelle Gewalt, Kastenwesen, Korruption: In gerade mal dreissig Minuten fächert der Film ein ganzes Bündel an sozialen Problemen und Menschenrechtsverletzungen auf, die gemeinhin mit Indien verbunden werden. Dabei fängt das Drama da erst richtig an. An der Seite der auch nicht zimperlichen Inspektorin Sharma (Sunita Rajwar), die nach der öffentlichen chauvinistischen Entgleisung ihres Vorgängers die Ermittlungen übernimmt, missbraucht Santosh schleichend selbst ihre neu gewonnene Macht: Im Namen der Frauen und ihres von einem muslimischen Demonstranten getöteten Mannes erklärt nun auch die junge Polizistin das nächstbeste Opfer zum Täter.

Auch wenn der Plot es vermuten lässt: Das Debüt der britisch-indischen Regisseurin Sandhya Suri ist alles andere als ein postkolonialer «Problemfilm» für ein selbstgerechtes westliches Publikum. Beklemmend präzise und hervorragend gespielt, analysiert «Santosh» die Selbsterhaltungsmechanismen jedes (Unrechts-)Systems, das alle korrumpiert, denen es Zugang gewährt – egal wie sehr sie selbst diskriminiert werden.