«Indian Arrival Day»: Verklärung einer Gewaltgeschichte
Vor über 170 Jahren verschiffte das britische Empire erstmals indische Arbeiter:innen in die Karibik, wo sie unter schlimmsten Umständen ausgebeutet wurden. Trotzdem wird das Ereignis jährlich gefeiert. Warum eigentlich?, fragt sich unser Autor, dessen Ururgrossvater auch einer dieser Geknechteten war.
Ende Mai erhielt ich Post von meinem Cousin in Trinidad und Tobago. Er schickte mir Zeitungsausschnitte, da er wusste, dass ich an einem Roman über meine Vorfahr:innen sowohl in der Schweiz wie in Trinidad arbeitete. Die Zeitungen feierten enthusiastisch den «Indian Arrival Day», die Ankunft der ersten indischen Arbeiter:innen, die 1845 auf einem englischen Schiff, der «Fatel Razack», in die Neue Welt gekommen waren. «We salute», hiess es im «Trinidad Guardian», «the rich heritage, the valued cultures, and the treasured customs which have harmoniously blended into the intrinsic beauty of our nation» (Wir begrüssen das reiche Erbe, die geschätzten Kulturen und die wertvollen Bräuche, die sich harmonisch in die immanente Schönheit unserer Nation eingefügt haben).
Der Tenor ging dahin, durch den «Indian Arrival Day» die Erinnerung an die Tugenden der Ahn:innen und damit das Selbstbewusstsein der indischen Community zu stärken. Und die Verbindung zu den indischen Traditionen wiederherzustellen, auch um sich besser gegenüber den anderen Bevölkerungsgruppen zu behaupten.
Eingeschifft in Kalkutta
Ich war im Zuge von Romanrecherchen auf die Geschichte meines indischen Ururgrossvaters gestossen, der sich 1876 im Hafen von Kalkutta auf der «Foyle» in Richtung Trinidad eingeschifft hatte. Gespannt hatte ich den Genealogen Samshu Deen in Port of Spain, der Hauptstadt von Trinidad und Tobago, aufgesucht, der seit Jahren die Stammbäume indischer Familien zurückverfolgt. Jeder Fall, sagte er mir, sei wie ein Puzzle und einmalig. Wenn es ihm gelinge, einen Familienstammbaum zu vervollständigen, ergreife ihn das Gefühl der Vollendung. Der Strang des indischen Erbes sei tief in uns verwurzelt.
Dieser Befund traf zweifellos auch auf mich zu und brachte mich zum Nachdenken. Auch in mir hatte sich der Wunsch nach einer «Vervollständigung» meiner Genealogie gemeldet. Was ich im Folgenden bei meinen Nachforschungen (heraus)fand, war eine traumatische Geschichte von Entwurzelung und Zerrüttung, die zu meinem Aufwachsen in der behüteten Schweizer Umgebung in schroffem Gegensatz stand. Das Erbe dieser Auswanderergeschichte bedeutete, dass meine Geschichte schon vor meiner Geburt begonnen hatte, lange bevor ich in einem kleinen aargauischen Dorf zur Welt gekommen war. Ich begriff, dass die indische Community eine uralte Wunde heilen wollte: Der Riss, der durch jede Familie ging, sollte durch den Anschluss an die Ahn:innen ungeschehen gemacht werden. Die Suche nach den Vorfahr:innen sollte die Auslöschung der eigenen Geschichte rückgängig machen.
Die Route der «Fatel Razack»
Ich hatte Glück. Als ich dem Genealogen meine Daten nannte, sagte er, zufälligerweise sei er wegen einer Familienzusammenkunft gerade dabei, die Geschichte meiner Familie zu rekonstruieren. Und er händigte mir den «Immigration Pass» meines Ururgrossvaters aus, der, wie die meisten Einwander:innen, von der britischen Kolonialmacht getäuscht und hintergangen worden war. Sie hatten ihm eine Reise in das Land versprochen, in dem Milch und Honig fliessen. Aber als mein Ururgrossvater die Karibik erreichte, hatte er nicht nur seine Heimat verloren, sondern fand sich in sklavenähnlichen Zuständen wieder. Unversehens war er Teil eines der grössten «Umsiedlungsprogramme» und sklavenähnlicher Deportationen geworden, die die britische Kolonialmacht im 19. Jahrhundert in die Wege geleitet hatte. Wie war es so weit gekommen?
Unzimperliche Anwerbung
Als 1834 in den britischen Kolonien die Sklaverei aufgehoben wurde, stürzte das Staatseinkommen im Vereinigten Königreich drastisch ab. Jahrhunderte von Sklav:innenarbeit auf den Baumwollfeldern, den Kaffee- und Kakaoplantagen hatten dem Britischen Königreich Wohlstand und den Vorteil verschafft, die industrielle Revolution in Gang zu setzen. Nach der Abschaffung der Sklaverei aber brach das Wirtschaftsmodell, das auf der krassesten Ausbeutung des Menschen durch den Menschen basierte, zusammen. Die befreiten Afrikaner:innen machten sich selbstständig. Es dauerte aber nur wenige Jahre, bis die Plantokratie im englischen Parlament auf die Idee kam, sie durch billige Arbeitskräfte aus den anderen Kolonien zu «ersetzen». John Gladstone, im Indienhandel tätiger Abgeordneter, startete 1837 das Menschenexperiment und liess erstmals 400 Arbeitskräfte von Bengalen nach Britisch-Guayana verschiffen. Gladstone hatte Routine mit menschlichem Besitz; er hatte in der Karibik mehr als 2000 Sklav:innen ausgebeutet. Nach der Abolition hatte ihm die britische Regierung seinen Verlust mit 105 769 Pfund abgegolten – wie sie es anderen Pflanzern auch tat.
Autor und Essayist
Der in Basel lebende Schriftsteller Martin R. Dean wurde 1955 in Menziken AG als Sohn eines Trinidaders indischer Herkunft und einer Schweizerin geboren. Er studierte Germanistik, Philosophie und Ethnologie und arbeitete als Gymnasiallehrer. 1982 veröffentlichte er mit dem Roman «Die verborgenen Gärten» sein literarisches Debüt; es folgten zahlreiche Romanveröffentlichungen. Zuletzt kam 2022 «Ein Stück Himmel» im Atlantis Verlag heraus. Im kommenden Jahr erscheint unter dem Titel «Tabak und Schokolade» ein Buch, in dem Dean seine Familiengeschichte aufrollt.
Martin R. Dean betätigt sich immer wieder als Essayist, wiederholt auch in der WOZ.
Gladstone griff auf die altbewährte Kontraktarbeiter:innenschaft («indentured labour») zurück. Diese wurde erstmals im 17. Jahrhundert praktiziert, als Brit:innen und Ir:innen nach Barbados arbeiten gingen, als Aufseher:innen wie als Arbeiter:innen. Das Kontraktarbeiter:innen-Modell besteht in einem Vertrag, in dem sich eine Arbeitskraft für mehrere Jahre zu einem Niedriglohn verdingt. Hin- und Rückfahrt werden mit Arbeit abgegolten. Faktisch jedoch wurden die meisten Arbeitsaufenthalte zu einer versteckten Leibeigenschaft. Ab 1837 wurde der indisch-karibische Menschenversand für achtzig Jahre regularisiert, 1845 landete das erste Schiff in Trinidad.
Mein Ururgrossvater Baap Se Ondon hatte sich 1876 als Zwanzigjähriger von seinem Städtchen Mojowah in Uttar Pradesh auf den Fussweg nach Kalkutta gemacht. Er war vor einer durch die koloniale Wirtschaftspolitik verursachten Hungersnot in Indien geflohen, die über fünf Millionen Menschen das Leben kostete. Insgesamt brachte der britische Menschenhandel zwischen 1838 und 1917 mehr als 400 000 Menschen in die Karibik. Verarmte Inder:innen, Chines:innen sowie anderen Gruppen zugehörige Menschen wurden von den Kolonien als billige Arbeitskräfte auf die ehemaligen Sklav:innenplantagen in Britisch-Guayana, Jamaica, Surinam, Trinidad und Tobago sowie auf Mauritius und Fidschi gebracht, ganze Generationen wurden entwurzelt.
Die Anwerbungsmethoden der Agent:innen im Hungergürtel Indiens waren nicht zimperlich, sie reichten von falschen Versprechungen bis zur Entführung minderjähriger Mädchen und junger Frauen. Man lockte die Hungernden mit hohen Löhnen und versprach ihnen das Blaue vom Himmel.
Laut der Passagier:innenliste der «Fatel Razack» erreichten 1845 erstmals 21 Inderinnen das trinidadische Eiland, das von den Kolonist:innen «Westindien» genannt worden war; die Zahl der Männer betrug 225. Wie die meisten Kolonist:innen waren auch die Brit:innen nicht an intakten Familienstrukturen, sondern nur an billigen Arbeit
skräften interessiert. So kamen auf den ersten Schiffen auf hundert Männer jeweils nur fünf bis zehn Frauen. Nach Protesten – und nachdem einige britische Parlamentarier die «Sittenlosigkeit» auf den Transporten beklagt und an der «moralischen Substanz» der Frauen Zweifel angebracht hatten – wurde die Frauenrate angehoben. Es waren ebenso mutige wie verzweifelte Frauen, Dalits oder Witwen, die den Kontrakt unterzeichneten, um sich aus ihrer aussichtslosen Lage im Kastensystem zu befreien. Während der Viktorianismus in den Gewächshäusern botanischer Gärten wie den Kew Gardens tropische Pflanzen zum Blühen brachte und über die Jungfräulichkeit der englischen Töchter wachte, wurden Zehntausende indische Frauen misshandelt und vergewaltigt. Die Frauen wurden nicht nur auf den Schiffen missbraucht; sie dienten auch auf den Plantagen als Sexsklavinnen für die Aufseher.
Es war ein schottischer Aufseher, der meine Ururgrossmutter Sinya Bardeo auf den Zuckerrohrfeldern «Plain Palais» im Süden Trinidads jahrelang vergewaltigte, sodass sie drei Kinder von ihm bekam. Alle drei waren «hellhäutig», wie man in meiner Verwandtschaft sagt, darunter auch Martha Bardeo, die meinen Urgrossvater ehelichte. So kam nicht nur die hellere Haut, sondern auch das doppelte Trauma der Verschiffung und der sexuellen Gewalt in meine Familie. Und ein neuer «Strang» ins Gewebe meiner schweizerisch-indisch-karibischen Herkunft: ein schottischer Vergewaltiger.
Unterwegs im «dunklen Wasser»
Nach weiteren Nachforschungen traf ich die indisch-guyanische Schriftstellerin Gaiutra Bahadur, die sich in ihrem 2013 erschienenen Buch «Coolie Woman. The Odyssey of Indenture» grundlegend mit dem Thema auseinandergesetzt hat. Von ihr erfuhr ich von den Bedingungen, die mein Ururgrossvater auf seiner dreimonatigen Höllenfahrt von Kalkutta bis nach Trinidad erlebt haben musste. In den Hindi-Sprachen gibt es für diese Schiffspassage das Wort «Kala Pani» – «dunkles Wasser» –, das den Schrecken der Menschen zum Ausdruck bringt, die noch nie das Meer gesehen hatten, und denen sprichwörtlich der Boden unter den Füssen wegbrach. Viele verfielen in Panik und begingen Suizid, indem sie sich über Bord warfen. Andere glaubten, nachdem sie durch diese Hölle gegangen waren, an ihre Wiedergeburt. Um diesen Glauben an die Reinkarnation aufrechtzuerhalten und die Passagiere zu beruhigen, stellten die britischen Seeleute auf dem Schiff Becken mit Wasser aus dem Ganges auf.
Begonnen hatte die Verschiffung mit dem, was meistens am Anfang von Vertreibung oder Flucht steht: mit dem «Umbau» und der Erniedrigung der Menschen. Stets geht der Deportation die Zerstörung der Identität voraus, man beraubt die Menschen ihrer Geschichtlichkeit, ihrer Herkunft, Tradition und Kultur. So ist der «Flüchtling» immer das Produkt einer Erniedrigung und «Dekulturierung».
In den Ghats, den Hafenanlagen von Kalkutta, wurden die Ankommenden ohne Unterschied von Kaste, Rang, Religion und Geschlecht zusammengeworfen; Hindus erhielten dasselbe Essen wie Moslems, Frauen und Männer mussten sich das gleiche Lager teilen. Ironischerweise wurden die Männer in alte Kleider aus den Beständen der britischen Armee gesteckt, die Frauen in Wollstrümpfe und Flanelljacken. Oder wie es ein bei Gaiutra Bahadur zitiertes Lied erzählt: «When we reached Calcutta, our miseries increased / We were stripped of all our beautiful clothes, Rosary beads and sacred threads / Bengali rags decorated us now / The sadhu’s hair was shaved / And Sadhu, Dom, Chamar and Bhangi / All were thrown together in a room» (Als wir Kalkutta erreichten, vergrösserte sich unser Elend, wir wurden all unserer schönen Kleider, Rosenkranzperlen und heiligen Fäden beraubt, bengalische Lumpen schmückten uns nun, dem Sadhu wurden die Haare geschoren, und Sadhu, Dom, Chamar und Bhangi wurden alle zusammen in einen Raum geworfen).
So wurden aus Bürgerinnen und Bürgern «Coolies». Das Wort «Coolie» kommt vom Tamilischen «kuli» und bedeutet so viel wie «Lohn»; die Briten machten den Begriff zum Schimpfwort. Sichtbarer Ausdruck dieser «Verwandlung» von Menschen in wertlose Coolies war die Verstümmelung der Namen: Mein Ururgrossvater, der einmal Se Ondon hiess, wurde zu einem Sinanan.
Als Konkurrent:innen positioniert
Die Frage, inwieweit die Indentur (Vertragsknechtschaft) als eine Art Sklaverei anzusehen ist, wurde in Trinidad eher zögerlich gestellt. Es sind Diskussionen, die sich erst heute durch den kritischen Geist der «Postcolonial Studies» zuspitzen, die auf Theorien des 2014 verstorbenen jamaikanischen Soziologen Stuart Hall basieren. Ältere Inder:innen möchten ihre Ankunft nicht mit der Sklaverei verbunden sehen. Andere, wie der aus Guayana stammende Schriftsteller David Dabydeen, bezeichnen das Leben in den Arbeitslagern unumwunden als eine «neue Form von Sklaverei». Tatsache ist: Es gab in den Arbeitslagern keine privaten Räume, die hygienische Ausstattung war miserabel, die wenigen Frauen wurden unter den vielen Männern «aufgeteilt», die Arbeiter:innen durften das Lager nicht ohne Erlaubnis verlassen. Arbeiter:innen wurden schon mal von den Aufsehern erschossen, wenn sie sich gegen Befehle auflehnten. Frauen, die vergewaltigt worden waren, wurden beim Einreichen der Klage von den Kolonisten oft gleich noch einmal missbraucht. Ihre eigenen Männer, in ihrem Stolz gekränkt, «bestraften» und verstümmelten sie mit dem Buschmesser. Die Frauen lebten durch diese doppelte Gefahr in stetiger Angst und Verzweiflung, und viele begingen, wenn sie von einem Vergewaltiger schwanger wurden, Suizid.
Mit der Verschiffung der indischen Migrant:innen gelang es den Brit:innen, eine «Pufferzone» zwischen sich und den befreiten Sklav:innen zu schaffen. Rede nicht mit den Inder:innen, sagten sie den Afrikaner:innen, die sind widerwärtig und tragen Krankheiten mit sich. Das Gleiche sagten sie den Inder:innen über die Afrikaner:innen. Beide wurden als Konkurrent:innen gegeneinander in Stellung gebracht, denn die indischen Einwander:innen arbeiteten zu einem niedrigeren Lohn als die befreiten Schwarzen. Nachdem England 1962 die Inseln in die Unabhängigkeit entlassen hatte, grassierte der Rassismus. Und die koloniale Gewalt hat Folgen bis heute: Der Alkoholmissbrauch und die häuslichen Übergriffe schlagen sich in einer horrenden Kriminalitätsrate nieder. Auf jeder der karibischen Inseln lassen sich die Etappen, die Gewaltspuren und kulturellen Marken der grossen Kolonialgeschichte noch heute deutlich erkennen. Und doch: Die traumatisierenden Aspekte der eigenen Herkunftsgeschichte wurden im kollektiven Gedächtnis schamhaft ausgelöscht. Man vermied es, sich als Überlebende:r zu definieren, und war stolz, Teil des britischen Weltreichs zu sein.
Der Kontrakt gewährte den indischen Einwander:innen die Möglichkeit einer Heimkehr nach Ablauf von fünf oder zehn Jahren. Die meisten machten nicht davon Gebrauch. Auch mein Ururgrossvater erwarb ein Stück Land (das ursprünglich den indigenen Karib:innen und Arawaks gehört hatte) und bebaute es. Seither versucht jede Generation von neuem anzukommen und die vererbten Traumata zu überwinden. Noch heute aber wandern viele der gut ausgebildeten Jungen nach Kanada und Grossbritannien aus.
Was wird da eigentlich gefeiert?
Während die alten Eingewanderten die Geschichte ihrer Ahn:innen zur mythischen Legende verklären, wird sie von Jüngeren zur Bekräftigung ihrer indischen Identität aufgenommen. Sie zelebrieren ihre indischen Feiertage wie Divali, Phangwah oder Hosay mit Selbstbewusstsein. In den Zeitungsartikeln vom 30. Mai dieses Jahres überschlagen sich die Dankbarkeitsbezeugungen. «Honoring those who came», heisst es, und die indischstämmige Premierministerin Christine Kangaloo ruft dazu auf, sich vermehrt an der Resilienz der Einwanderergeneration zu orientieren. Sie bezeichnet die Ankunft des ersten Schiffes gar als Anfang einer Erfolgsgeschichte. Solche Parolen aber sind weniger der Ausdruck eines neugewonnenen postkolonialen Bewusstseins als der Versuch einer Politikerin, eine Gewaltgeschichte umzuschreiben.
Inzwischen wird diese Deutung auch kritisch diskutiert. Der guyanische Intellektuelle Rajiv Mohabir fragte 2016 in seinem Artikel «Why I Will Never Celebrate Indian Arrival Day» (Warum ich den Indian Arrial Day nie feiern werde), was da eigentlich gefeiert werde. Drogensucht, Kriminalität und Entwurzelung? Ausserdem erinnert er daran, dass die Stärkung der indischen Identität zu Konflikten mit den anderen Bevölkerungsgruppen führt. Den «Indian Arrival Day» zu feiern, so Mohabir, heisse, die Gewalt eines weissen Systems über braune Körper zu verherrlichen. Und er zitiert den Schriftsteller Andil Gosine: «Die Inder sind nicht gekommen: Sie waren lediglich die Fracht in einem System der Unterwerfung, und es ist lächerlich, dass wir den Beginn der Knechtschaft feiern.»
Die Geschichte Trinidads ist auch meine Geschichte. Nach meinen Recherchen weiss ich: Ich bin nicht nur der Enkel einer Stumpenarbeiterin und eines Stumpenarbeiters namens Galliker aus dem Wynental, sondern ebenso der Ururenkel des Kontraktarbeiters Se Ondon und eines namenlosen Schotten. Der Weg von einem aargauischen Kaff bis zu einem Dörfchen in Uttar Pradesh ist lang. Ich werde ihn schreibend ausmessen müssen, dabei immer dem Echo meiner Geschichte nachlauschend.
Schweizer Söldner
Bereits im 16. Jahrhundert wurde das Rechtssystem «Indentur», die Vertragsknechtschaft, eingeführt: Viele Europäer:innen, die nicht ausreichend Mittel für die Überfahrt in die Neue Welt hatten, schlossen Verträge ab, für eine bestimmte Zeit und ohne Lohn für eine andere Person oder für ein Unternehmen zu arbeiten. Im Gegenzug wurde die Überfahrt bezahlt, und sie erhielten Unterkunft, Lebensmittel und Ausbildung.
Das System der Indentured Labour baute darauf auf. Es wurde vom britischen Empire nach der Abschaffung der Sklaverei 1834 aufgebaut, bestand offiziell bis Anfang des 20. Jahrhunderts und wurde auch von anderen europäischen Kolonialmächten beansprucht.
Die Schweiz war ebenfalls ins System der Vertragsknechtschaft involviert: Von 1815 bis 1914 kämpften geschätzt 7600 Schweizer Söldner in den niederländischen Kolonien im Gebiet des heutigen Indonesien sowie ein paar Dutzend in der Karibik und in Surinam. Ihre Aufgabe bestand darin, Rebellionen von ausgebeuteten chinesischen oder javanischen Kontraktarbeiter:innen auf den Plantagen europäischer Handelsgesellschaften niederzuschlagen.