Was weiter geschah: Freispruch für Asli Erdogan
«Das ist Satire», sagte Autorin Asli Erdogan im Juni 2019 gegenüber der WOZ und meinte damit die Anklage des türkischen Staates gegen sie. Diese lautete: «Zerstörung der Einheit und Integrität des Staates» – es ist derselbe Paragraf, nach dem auch Abdullah Öcalan, Chef der kurdischen Arbeiterpartei PKK, angeklagt ist.
Die Autorin von Büchern wie «Der wundersame Mandarin» und «Das Haus aus Stein» wurde 2016 – kurz nach dem vereitelten Putschversuch – in Untersuchungshaft genommen. Der offizielle Grund: Sie war im Beirat der prokurdischen Tageszeitung «Özgür Gündem». Viereinhalb Monate war sie inhaftiert, der Staatsanwalt forderte lebenslange Haft. Im Dezember 2016 kam sie überraschend frei, schwer krank und traumatisiert. Nach einer Ausreisesperre konnte sie im September 2017 die Türkei verlassen und wurde in Frankfurt als Gastautorin aufgenommen.
Seither wurde der Prozess immer wieder verschleppt, die Anklage verschoben, bis sich im Januar ein neuer Staatsanwalt der Sache annahm. Am 13. Januar wurde der Prozess wiederaufgenommen, bis zu neun Jahre Haft forderte der Staatsanwalt in Istanbul, unter anderem wegen «Terrorpropaganda». Grundlage der Anklage sind vier von ihr verfasste Artikel aus dem Jahr 2016, die heute als «Propaganda» gelten. Darunter ist auch der Text «Faschismustagebuch: Heute», der in der Essaysammlung «Nicht einmal das Schweigen gehört uns noch» erschienen ist. Dass das Verfahren sogar auf ihre literarische Arbeit ausgeweitet wurde, machte den Prozess noch skandalöser. Überraschend dann am vergangenen Freitag die Nachricht: Das Gericht in Istanbul befand die Autorin der «Mitgliedschaft in einer Terrorvereinigung» sowie «Zersetzungsversuchen» für nicht schuldig. Ausserdem wurde angeordnet, ein weiteres Verfahren wegen Terrorpropaganda einzustellen. Trotz des Freispruchs möchte die Autorin nicht in die Türkei zurückkehren.
«Ich wurde verhaftet, weil ein Mann zornig auf mich ist», sagte Asli Erdogan im Interview mit der WOZ letzten Juni. Dieser Mann hat in der Türkei fast uneingeschränkte Macht. Umso erfreulicher und gewichtiger ist deshalb Asli Erdogans Freispruch.
Nachtrag zum Artikel «‹Die Person, die Sie heute hier treffen, ist eine gespaltene Überlebende›» in WOZ Nr. 26/2019 .